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Als die Straßenbahn nach Kreischa fuhr

Vor 110 Jahren wurde die Lockwitztalbahn eröffnet. Sie war lange das wichtigste Verkehrsmittel in Kreischa.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Andrea Schawe

Kreischa. Die Details sind das Wichtigste: Während die Lockwitztalbahn rechts neben der Straße rollt, ruhen sich links im Gras ein paar Kühe aus und hinter den Bäumen am Straßenrand sitzt ein klitzekleiner Hase. „Diese kleinen Dinge in einem Modell zu finden, ist immer am Spannendsten“, sagt Martin Zschüttig. Monatelang hat der 27-Jährige an der Miniaturausgabe der Lockwitztalbahn gebastelt. Noch ist es nicht ganz fertig, die Oberleitungen fehlen noch. „Die Bahn ist ein Stück Heimatgeschichte“, sagt Zschüttig, der Mitglied im Modelleisenbahnclub Kreischa ist. „Daran sollte man erinnern.“

In den Räumen des Modelleisenbahnclubs in Kreischa hängen viele Erinnerungen an die Straßenbahnlinie 31, etwa ein Haltestellenschild.
In den Räumen des Modelleisenbahnclubs in Kreischa hängen viele Erinnerungen an die Straßenbahnlinie 31, etwa ein Haltestellenschild. © Karl-Ludwig Oberthür
Eine alte Streckenbeschreibung.
Eine alte Streckenbeschreibung. © Karl-Ludwig Oberthür
Der Klub hat seinen Sitz im Vereinshaus, der ehemaligen Straßenbahnhalle.
Der Klub hat seinen Sitz im Vereinshaus, der ehemaligen Straßenbahnhalle. © privat

Vor fast genau 110 Jahren wurde die Bahnstrecke von Niedersedlitz nach Kreischa eröffnet. Bereits 1879 gab es erste Pläne für eine Eisenbahn durch das Lockwitztal. Doch erst 25 Jahre später schlossen sich die Gemeinden Kreischa, Lockwitz, Sobrigau, Gombsen, Lungkwitz, Niedersedlitz und Saida/Wittgensdorf zusammen, um die Straßenbahn zu bauen. Nur sechs Monate dauerten die Arbeiten an der 9,2 Kilometer langen Strecke. Otto Rüger, der Besitzer der gleichnamigen Schokoladenfabrik in Sobrigau, und der Sanitätsrat Bartels, der das Sanatorium in Kreischa besaß, förderten den Bahnbau mit jeweils 3 000 Mark.

Die Szene im Modell ist typisch für die Strecke durch das Lockwitztal: eine holprige Pflasterstraße, stellenweise nur ein Feldweg, am Rand Gleise für die Schmalspurbahn, ab den 1960er-Jahren mit grün-beigefarbenen Waggons. Die Bahn fuhr eingleisig, an mehreren Punkten gab es Ausweichstellen, etwa an der Hummelmühle oder der Wartehalle Gombsen, die eigentlich nur ein klappriger Unterstand war.

Die Straßenbahn 31 wurde zu einem der wichtigsten Verkehrsmittel im Lockwitzgrund. „Ab Anfang der 1950er-Jahre fuhr die Bahn im Berufsverkehr im 15-Minuten-Takt“, erklärt Martins Vater Steffen Zschüttig, der seit 1993 der Vorsitzende des Kreischaer Modeleisenbahnclubs ist. Damals hatte fast niemand ein Auto, die meisten waren mit dem Fahrrad unterwegs. Mehr als 100 Leute konnten in einem Zug der Lockwitztalbahn mitfahren. „Das hätte ein Bus nie abfedern können“, sagt Steffen Zschüttig. 1956 wurden 2 400 Fahrgäste täglich gezählt.

Großvater war Straßenbahnfahrer

Doch die Bahn war noch für etwas anderes wichtig. Mit der Meterspurbahn konnten auch Güter transportiert werden. Von Anfang an wurde auch die Post statt mit der Kutsche mit der Bahn verteilt. Das Kreischaer Postamt befand sich direkt neben dem Depot am Haußmannplatz – dem heutigen Vereinshaus, in dem auch der Modelleisenbahnclub seinen Sitz hat.

Der Vorsitzende hat die Linie 31 noch selbst erlebt, sein Großvater war Straßenbahnfahrer. „Als Kind ist er nach der Schule oft mit mir bis zur Hummelmühle gefahren“, erzählt er. „Dort haben wir eine Bockwurst gegessen und dann ging es zurück.“ Die Faszination für Eisenbahnen ist so etwas wie eine Familientradition, im Haus der Zschüttigs steht sogar ein alter Schaffnerstuhl im Treppenhaus. Steffen Zschüttig ist seit 1977 Mitglied im Modelleisenbahnclub – dem Jahr der Stilllegung der Lockwitztalbahn. Nur ein Jahr davor wurde das 70-jährige Jubiläum gefeiert. Die Buslinie 96 übernahm danach den Verkehr.

Nicht nur die als Gleise angelegten Pflastersteine vor der ehemaligen Kreischaer Straßenbahnhalle erinnern an die Lockwitztalbahn. „An machen Stellen der Strecke kann man auch heute noch die Gleise sehen“, sagt Martin Zschüttig. Etwa am Alten Gasthof in Lockwitz oder an der Kreuzung zur B 172 in Niedersedlitz. Ein alter Triebwagen mit der alten rot-weißen Lackierung fährt außerdem im Kirnitzschtal mit der Aufschrift „Lockwitztalbahn“. In Zukunft ist auch ein Schaukasten vor dem Vereinshaus mit Fotos zur Geschichte der Straßenbahn 31 geplant.