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„An der Grenze kratzen muss man immer“

Man nennt ihn Legende, Pionier und König. Dabei ist Kletterer Bernd Arnold vor allem Romantiker. Heute wird er 70.

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© Mike Jäger

Von Jörg Stock

Sächsische Schweiz. Es gibt Momente, sagt Bernd Arnold, die will man nicht wahrhaben. Momente wie diesen, 1971, am Friensteinwächter in den Affensteinen. Arnold klettert solo. Er ist schon auf dem Rückweg, fühlt sich sicher. Doch plötzlich bricht der Stein unter seinem Fuß. Er fällt, sechs oder sieben Meter, und schlägt auf eine Felsplatte. Dann ist Filmriss. Wie lange, das weiß Bernd Arnold nicht. „Als ich wieder zu mir kam, dachte ich, ich bin im Himmel.“

Bernd Arnold als 13-Jähriger in Seilschaft mit Mentor Adolf Kozemba.
Bernd Arnold als 13-Jähriger in Seilschaft mit Mentor Adolf Kozemba. © Sammlung Arnold
Bernd Arnold 50-jährig mit Seilgefährten Kurt Albert in Patagonien. Hinten der Fitz Roy, für Arnold „schönster Berg der Welt“.
Bernd Arnold 50-jährig mit Seilgefährten Kurt Albert in Patagonien. Hinten der Fitz Roy, für Arnold „schönster Berg der Welt“. © Sammlung Arnold

Die Szene mit dem Felsen und einer paradiesischen Wolke, auf der ein Kletterer liegt, hat ein Freund gezeichnet und Bernd Arnold geschenkt. Arnold hat sie in sein Arbeitszimmer gestellt. Sinnend, die Tabakspfeife im Mund, besieht er das Blatt. Damals hat er schnell gemerkt, dass die Schmerzen echt waren, dass der Himmel noch warten muss. Brenzlige Situationen gab es seitdem einige. „Die sieben Leben einer Katze habe ich wohl aufgebraucht.“

Obwohl er jetzt eine Katze hat, Benny, übriggeblieben beim letzten Hochwasser, ist der Hohnsteiner Bergsportler Bernd Arnold eher ein Hundefreund. Dass er heute seinen 70. Geburtstag feiern kann, hat viel mit Glück zu tun. Einige seiner Freunde und Seilgefährten haben die Welt bereits verlassen. Das liegt nicht bloß an Unfällen beim Klettern. Aber auch. Seine Siebzig erscheint Bernd Arnold gar nicht sonderlich feiernswert. Nicht auf die Zahl der Jahre kommt es an, sagt er. „Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit.“ Was das betrifft, kann er allerdings nicht meckern. Bisher hat er ein schönes und intensives Leben gehabt, findet er. „Ich bin ganz zufrieden.“

An dem kleinen drahtigen Mann, stets mit Halstuch und runder Goldrandbrille, der Hunderte Kletterrouten in der Sächsischen Schweiz und in vielen Winkeln der Welt als Erster gewagt hat, haften große Etiketten: Kletterpionier, Kletterkönig, Kletterlegende. Ihm liegt nicht viel daran. Er hat das Klettern nicht angefangen, um König oder Legende zu werden. Es war sein großes Glück, so sieht er das, hier, in Hohnstein, zur Welt gekommen zu sein, mit den Felsen vor der Haustür und mit dem Geschick und dem Willen, sie zu besteigen. Es macht eben jeder das, was er am besten kann, sagt er ganz bescheiden.

Im heutigen Arbeitszimmer geboren

Am 28. Februar 1947 wurde Bernd Arnold geboren, in dem Zimmer im 3. Stock des elterlichen Hauses, das heute sein Arbeitszimmer ist und das mit Ordnern, Büchern, Landkarten, Klettersouvenirs und Sinnsprüchen sein Leben zusammenfasst. Eben hockt Arnold über dem Leuchttisch. Er sucht Dias von seinen Reisen aus, für einen Vortrag in der Schweiz. Dias besitzt er mehrere Tausend. Ihm wäre nicht wohl bei dem Gedanken, all die schönen Momente nur einer Festplatte anzuvertrauen. An den Dias mag er das Gegenständliche und die Langsamkeit, mit der man sie benutzt. Das Klettern hat mit Langsamkeit zu tun und auch die Romantik, dieses Gefühl, das er stets gesucht hat, wenn er in die Berge zog. Dass Romantik heute oft mit Kitsch verwechselt wird, ärgert den Bergsteiger ein wenig. „Romantik ist zeitlos“, sagt er.

Der Hang zu Romantik und Abenteuer machte sich bei Bernd Arnold schon als Sechsjähriger bemerkbar. Befeuert vom Kinofilm über die Erstbesteigung des Nanga Parbat durch Hermann Buhl 1953 spielte er in den Schneewehen an der Hohnsteiner Napoleonschanze die Heldentat nach. Als Zwölfjährigen nahm ihn ein Elektriker von der LPG, ein alter, erfahrener Kletterer, auf sein Drängeln hin zum Hohnsteiner Panoramafelsen mit. Schon tags darauf kam Arnold wieder, wollte allein auf den Felsen. Doch da traute er sich nicht. Die Schlucht, so erinnert er sich, schien ihn damals zu erdrücken. Am Tag drei jedoch überwand er seine Angst und erstieg den Felsen.

Will man partout einen Anfang finden in der Karriere des Kletterers Bernd Arnold, so dürfte das eben dieser Tag gewesen sein, der Tag, an dem er die Angst besiegte. Verlassen hat sie ihn nicht wirklich. Sie hat sich verwandelt, in Ehrfurcht. „Ehrfurcht hat mir das Leben erhalten“, sagt Bernd Arnold. Früh begann er zu trainieren, wusste, dass er seinem Körper vertrauen, seinem Pioniergeist Raum geben durfte. Klettern, wo noch nie zuvor jemand war, findet Arnold ungemein erfüllend. „Nichts ist vorgeschrieben, du setzt die Maßstäbe selbst – das ist großartig!“

Unzählige Knochenbrüche

Bernd Arnold nimmt seine Goldrandbrille ab und putzt sie, so als wolle er nun genauer auf seine Lebensphasen zurückblicken. Das Ausprobieren hat er hinter sich, die Sturm-und-Drang-Phase, die Reifephase. Jetzt kommt die Phase, wo alles rückwärts geht, sagt er, wo der Körper den Anforderungen nicht mehr entspricht. „Die Zahnräder sind abgenutzt.“ Dazu kommen die zig Verletzungen, all die Knochenbrüche. Arnold hat sie nicht gezählt. Hört er sich die Prognosen seiner Ärzte an, sagt er, so schüttelt es ihn.

Bernd Arnold setzt sich neue Ziele. Aber nicht in „Wolkenkuckucksheim“, wie er es nennt, sondern da, wo es realistisch ist. Das soll nicht nach Bequemlichkeit klingen. Er will auch im Alter an sein Limit gehen. „An der Grenze kratzen muss man immer.“ Und dann sind da noch die Enkel, das größte viereinhalb, das kleinste ein Jahr alt. Bei den Kindern an den „Stellschrauben“ zu drehen, sieht Opa Bernd als seine Aufgabe. Was das bedeutet? Vor allem eine gesunde Lebenseinstellung vermitteln. Man darf überzeugt sein, dass das Klettern dazugehört. Bernd Arnold nennt es „ein Angebot“. Seine Hoffnungen aber sind unüberhörbar: „Ich sehe großes Potenzial.“