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Wer ist der Eisschnellläufer unter Dopingverdacht?

Nach den Enthüllungen der ARD beteuert der Chemnitzer Nico Ihle seine Unschuld im Manipulationsskandal. Doch wer ist dann gemeint? 

Von Michaela Widder
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©  dpa / Symbolbild

Eigentlich ist es die Zeit zum Abschalten. Die Saison ist vorüber, die Vorbereitung auf die neue fängt erst in ein paar Tagen an. Doch anstatt jetzt mit der Familie zu entspannen und dabei auf andere Gedanken zu kommen, muss sich Nico Ihle erklären. Ein deutscher Eisschnellläufer, dazu noch ein Olympiastarter, soll in den Manipulationsskandal um den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt verwickelt gewesen sein. So heißt es im jüngsten Bericht der ARD-Dopingredaktion.

Der Chemnitzer wurde davon überrascht wie die Fernsehzuschauer am Sonntagabend. „Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es mich nicht betrifft“, versicherte Ihle auf SZ-Anfrage: „Ich kenne den Arzt nicht, das Verfahren nicht und den Athleten aktuell auch nicht.“ Er habe weder Kontakt mit der Staatsanwaltschaft München noch mit der ARD-Redaktion.

Eissprinter Ihle, der bei der WM 2017 in Gangneung Silber über 500 Meter gewann, gehört zu einem von zwei Leistungsträgern der seit Jahren kriselnden Sportart. Auch Patrick Beckert, der zweimalige WM-Dritte über 10.000 Meter, beteuerte am Montag via Facebook seine Unschuld und forderte, „Ross und Reiter“ zu nennen. „Aber keine Sorge, ich habe damit nichts zu tun“, schrieb der Erfurter. Er selbst habe den Namen des als Hauptbeschuldigter geltenden Mediziners aus seiner Heimatstadt nicht gekannt.

Der Name des womöglich betroffenen Eisschnellläufers sei der Nationalen Anti Doping Agentur (Nada) mittlerweile bekannt, berichtete die ARD – bestätigen oder dementieren wollte das die Nada allerdings nicht. Als Ihle am Sonntagabend davon erfuhr, habe er ein „sehr komisches Gefühl“ gehabt und wehrt sich gegen den Generalverdacht: „Dass ausgerechnet das Eisschnelllaufen mit so einer Meldung in die Presse kommt, ist unfair für alle Athleten, die ihre Leistung sauber erkämpfen.“

In Gedanken dürfte der 33-Jährige längst durchgegangen sein, mit wem er alles bei Olympia war. „Es klingt ja so, als ob es um einen männlichen Athleten geht, aber auch das weiß man nicht.“ Dass der mutmaßlich überführte Eisschnellläufer mit ihnen bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang gestartet ist, glauben Beckert und Ihle nicht. „Es wird keiner von denen gewesen sein, sondern vorher“, erklärte Familienvater Ihle. Und Teamkollege Beckert meinte: „Ich traue es ehrlich gesagt keinem meiner Weggefährten zu.“

Bei den Spielen in Südkorea waren sie zu viert am Start – 2014 in Sotschi noch zu sechst. Der Olympia-Achte Ihle hofft, dass der betroffene Sportler vielleicht seine Karriere schon beendet hat. „Aber egal, wer es ist, ich hätte nie gedacht, dass es einen deutschen Eisschnellläufer betrifft. Es gab ja auch keine auffälligen Ergebnisse.“ Ihle sei schon jetzt enttäuscht. „Man hat ja auch ein gewisses Vertrauen in seine Sportkollegen und engen Kontakt, wenn man als Olympiateam zusammen reist.“

Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) hatte sich in einem Statement „bestürzt und geschockt zugleich“ gezeigt. Der Verband wolle dem erhobenen Verdacht „mit allen Mitteln“ nachgehen.

Sollte sich der Verdacht bestätigen, wären die Folgen gravierend. Sportlich ist die einstige Goldschmiede auf internationalem Niveau mit wenigen Ausnahmen in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. In der abgelaufenen Weltcupsaison gewannen die deutschen Athleten in 78 Rennen keine Medaille.

Die anhaltende sportliche Krise nach zwei medaillenlosen Winterspielen hat sich längst negativ auch auf die Finanzen ausgewirkt, die DESG bemüht sich nach Kräften um neue Sponsoren. Ein Dopingfall eines prominenten Eisschnellläufers wäre dabei alles andere als hilfreich. Sollte sich der Verdacht erhärten, steht der Verband vor äußerst schweren Zeiten.

Dabei ist die DESG womöglich nicht der einzige deutsche Verband, den die Folgen der „Operation Aderlass“ erreichen. Weitere in den Skandal involvierte Sportler sollen laut der ARD-Dopingredaktion aus Deutschland kommen.

Nach Angaben der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Dopingkriminalität in München sind derzeit 21 Sportler aus acht europäischen Ländern im Visier der Ermittler. In zwölf Ländern sollen sie zwischen 2011 und 2019 unter Anleitung des Erfurter Netzwerks Eigenblut-Doping betrieben haben. Vier der fünf nach derzeitigem Stand involvierten Sportarten sind mittlerweile benannt: Eisschnelllauf, Leichtathletik, Skilanglauf und Radsport.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hielt sich am Montag zum Fall des mutmaßlich überführten Eisschnellläufers bedeckt. „Aus ermittlungstaktischen Gründen sagen wir weder etwas über die Sportart, das Geschlecht noch über die Nation der Betroffenen. Diese können sich weiterhin bei uns melden“, sagte Pressesprecherin Anne Leiding. Ein frühzeitiges Geständnis verbessere trotz fehlender Kronzeugenregelung für den Täter immer die Aussicht auf Strafmilderung. Und natürlich wartet auch Ihle auf den Namen.(mit sid)