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Mit Bertolt Brecht im Flüchtlingsboot

Nostalgisch, virtuos, emotional: Die Banda Internationale und die Sängerin Bernadette la Hengst feiern in Dresden die Weltoffenheit.

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Die Banda internationale brachte Partystimmung ins Dresdner Kleine Haus.
Die Banda internationale brachte Partystimmung ins Dresdner Kleine Haus. ©  PR

Von Tom Vörös

Man meint zwar, fest im Sessel zu sitzen, doch gleich zu Beginn wird man prompt seekrank. So eindringlich schwappt das minimalistisch-elektronische Intro von der Bühne ins Ohr. Die 13 Musiker der Banda Internationale tragen im Kleinen Haus Dresden demonstrativ gelbe Regenjacken, Sängerin Bernadette la Hengst gar eine rote und der fast ausverkaufte Saal wird am Sonntag gefühlt zum Rettungsboot im Mittelmeer. Wobei man im Laufe des Konzerte nicht mehr genau weiß, ob man zu den Rettern zählt oder eher selbst gerettet werden sollte. Zugleich wird man mit der Brecht-lastigen Musiklesung hineingeworfen in die Flüchtlingswellen der Geschichte.

Klangwellen der Entrüstung

„Schön, dass sie uns dem Tatort vorziehen“, freut sich das Ensemble. Und es lohnt sich durchaus. Denn was die Teilzeit-Straßenband auf der Bühne von sich gibt, darf schmerzfrei als virtuos und berührend bezeichnet werden. Die Besatzung des musikalisch erzeugten Rettungsbootes ist bei hervorragendem Sound dermaßen gut eingespielt, dass die Berliner Sängerin Bernadette la Hengst ihren eigenen Kahn nur noch frank und frei durch das Konzert zu steuern braucht. Und das tut sie teils höchst emotional, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Wahrscheinlich sind es auch jene eigene Alltags-Storys, mit denen eine politisierte Musikwelt für sie zur Selbstverständlichkeit wird: „Meine Tochter wurde kürzlich als Jüdin in einer Berliner U-Bahn beschimpft, nur weil jetzt sie braune statt blonde Haare trägt“, sagt sie. Ihre persönlichen Anliegen für mehr Weltoffenheit spürt man in jedem gesungenen Ton der eigenen Lieder. Und auch in denen eines talentierten Flüchtlings namens Bertolt Brecht. Der Mann ist zwar 1956 gestorben, doch auf der Bühne allgegenwärtig. Nur der Rauch seiner dicken Zigarre hätte gerne noch in die Nase steigen dürfen.

Vom großen Dramatiker, Lyriker und Librettisten Brecht ist an diesem Abend zwar keine Dreigroschenoper zu hören, dafür, wie passend, sind es vor allem Lieder aus der Zeit seines Exils während der Zeit des Nationalsozialismus. Und so verschwimmt die Gegenwart mit Nachkriegsliedern wie „Die Bitten der Kinder“ von 1951, verschwimmen aktuelle Diskussionen über die Deutungshoheit der Geschichte mit den Mitgefühls-Wellen, die mit jedem Ton von der Bühne schallen. Zwischendurch wird im Rampenlicht Wein getrunken und Shisha geraucht. Ein bisschen Hedonismus muss wohl sein, doch die Freiheit im Geiste lässt die langen Instrumentalteile gefühlt berührender, dramatischer und tanzbarer werden. An den Seiten sammeln sich bereits erste euphorisierte Vortänzer, während Bernadette la Hengst von den Flüchtlingserfahrungen ihrer Mutter berichtet und beim eigenen Lied „Mutterland“ per E-Gitarre sogar ein wenig Rock-Feeling aufkommen lässt.

Ende der Sitzblockade

Man erfährt, dass der Tubist Alfred Haberkorn der größte Brecht-Fan der Band ist, und wie Bertold Brecht zum bekanntesten deutschen Autor im arabischen Raum wurde. Und dass der Großenkel jenes nahöstlichen Lyrikers, der einen Großteil dazu beitrug, mit im Publikum sitzt. 

Zwischen Mahnen, Motivieren und Balkan-Beats finden sich immer mehr Seitentänzerinnen und -tänzer ein. Lieder wie „Sag nein“ und „Wir sind die Vielen“, die eigene Hymne der letztjährigen Dresdner Unteilbar-Demo, tragen ihr Übriges zur Partystimmung bei. Und spätestens als sich der Beatbox-Virtuose der Banda Internationale wie in Trance Gehör verschafft, ist die Sitzblockade im Saal endgültig aufgehoben.