Ist Dynamo bei Corona wirklich ein Sonderfall?

Dresden. Fußball gucken sie gemeinsam - allerdings mit gehörigem Abstand. In einem Konferenzraum sind die Stühle vor dem Bildschirm weit genug auseinander gerückt. Das Team von Dynamo Dresden bereitet sich gerade auf seinen verspäteten Neustart in der zweiten Liga am Pfingstsonntag gegen den VfB Stuttgart vor. Dafür muss die Mannschaft, so sieht es das Hygienekonzept der Deutschen Fußball-Liga (DFL) vor, diese Woche in einem Quarantäne-Trainingslager verbringen.
Die Spieler dürfen sich in dem Hotel am Elbufer nicht in die Lobby setzen, sich auch nicht auf den Zimmern besuchen. Die Langeweile quält. Sie sollen anderen Gästen aus dem Weg gehen, benutzen deshalb wie vorgeschrieben einen extra Fahrstuhl. Beim Essen sitzen sie an Einzeltischen, laufen in kleinen Gruppen zu den Übungseinheiten in den Sportpark Ostra, bevor es losgeht, wird Fieber gemessen. Es ist scheinbar bis ins kleinste Detail vorgesorgt, damit sich niemand mit dem Coronavirus infizieren kann.
Niemand mehr, muss es im Fall von Dynamo heißen. Der jüngste Test vom Dienstag war komplett negativ, aber davor war Covid-19 bei insgesamt vier Spielern nachgewiesen worden, zwischenzeitlich waren Mannschaft, Trainer und Betreuer für 14 Tage in häuslicher Quarantäne. Danach ergab der Test bei einem Profi ein positives Ergebnis. Außerdem muss ein Mitarbeiter aus dem Betreuerstab derzeit zu Hause bleiben, weil eine seiner direkten Kontaktpersonen infiziert ist.
Wegen dieser Umstände hätte sich Chefcoach Markus Kauczinski gewünscht, dass die Saison verlängert wird, um den Terminplan für Dynamo zu entzerren. Ein Notfallplan enthält eine solche Option, aber: "Vielleicht sind wir kein Notfall." Oder stolpert Dynamo über sein schlechtes Image, fehlt dem Verein die Lobby im gesamtdeutschen Fußball? "Das ist schwierig zu beantworten", meint Kauczinski. "Da wir diejenigen sind, die es am härtesten getroffen hat, und es noch keine anderen Fälle gab, vermag ich das nicht zu sagen."
Das ist tatsächlich auffällig: Seit der ersten Testreihe Anfang Mai, in der es laut DFL insgesamt zehn positive Ergebnisse gab, hat kein anderer Verein einen Corona-Fall gemeldet. Auf eine Anfrage der SZ hat der Ligaverband seit vorigem Donnerstag auch nach zweimaliger Aufforderung mit erhöhter Dringlichkeit nicht reagiert, die vier konkreten Fragen bleiben damit unbeantwortet:
- Wie viele positive Corona-Tests hat es seit dem Beginn des Mannschaftstrainings in den 36 Profi-Klubs der Bundesligen gegeben?
- Ist Dynamo Dresden statistisch gesehen ein Sonderfall?
- Wie stellt die DFL sicher, dass keine Fälle verschleiert werden - etwa durch Meldung normaler Verletzungen?
- Ist es möglich für die Vereine, positive Corona-Tests zu vertuschen?
Bestätigt wurden bisher einige Fälle zu Beginn der Pandemie unter anderem bei Hannover 96, wo Dynamo am 15. März antreten sollte. Das Spiel wurde als erstes abgesagt, am 13. März die Saison unterbrochen. Nach dem Training in kleinen Gruppen hatte der 1. FC Köln dann Anfang Mai gemeldet, dass zwei Spieler und ein Physiotherapeut positiv getestet worden sind, außerdem gaben Borussia Mönchengladbach zwei und Erzgebirge Aue einen Fall bekannt.
Die DFL hatte die Vereine zunächst aufgefordert, von öffentlichen Verlautbarungen abzusehen, die Ergebnisse sollten nur zentral kommuniziert werden. Diesen "Maulkorb" nahm man wenig später zurück. Den Verdacht, andere Klubs würden trotzdem zu dem Thema weniger offen kommunizieren, scheinen Medienberichte zu bestätigen, wonach Marcel Sabitzer von RB Leipzig der erste Profi gewesen sein könnte, der nach einer Corona-Infektion ein Tor in der Bundesliga erzielt hat.
Der Kicker und die Bild-Zeitung berichteten, dass RB vor dem Re-Start zwei positive Fälle hatte. Es soll sich dabei um einen Physiotherapeuten und Sabitzer gehandelt haben. Anschließend habe der Österreicher zwei Wochen in häuslicher Quarantäne verbracht und sei seitdem mehrfach negativ getestet worden. Sabitzer hatte am Sonntag beim 5:0-Sieg der Leipziger in Mainz den Treffer zum zwischenzeitlichen 3:0 erzielt.
"Wir werden medizinische Themen niemals öffentlich kommentieren", sagte RB-Sportdirektor Markus Krösche nach der Partie bei Sky. Bei Dynamo hält man es anders, Pressesprecher Henry Buschmann nennt das eine "pro-aktive Kommunikationsstrategie", und er erklärt: "Wir sind ein großer Verein mit verschiedenen Interessengruppen: Mitglieder, Fans, Sponsoren, Partner und Medien haben ein Recht, durch uns sachlich und authentisch informiert zu werden. Wenn wir versuchen würden, etwas zu verheimlichen, werden wir unglaubwürdig."
Natürlich gibt auch Dynamo die Namen der Betroffenen nicht bekannt, verweist auf den Schutz der Privatsphäre. Mit Simon Makienok hatte ein Spieler seine Corona-Infektion selbst öffentlich gemacht. "Keine Symptome, keine Indizien, nichts. Ich habe alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die ich konnte. Und trotzdem ist es passiert“, schrieb der dänische Stürmer bei Instagram.
Selbst während der Quarantäne gibt es mögliche Übertragungswege. Wenn man negativ getestet ist, dürfen im Haushalt lebende Personen weiter raus, also arbeiten, einkaufen ... Darauf hatte auch Kauczinski hingewiesen. "Wir haben gemerkt, dass man sich nicht komplett schützen kann, sondern
mit einem Restrisiko leben muss wie in allen anderen Branchen auch", sagte der Trainer. "Wir
versuchen, das Konzept bestmöglich umzusetzen, aber zu glauben, dass man
Infektionen ausschließen kann, ist ein Irrglaube."
Manche Maßnahme, die im DFL-Konzept in bester Absicht festgeschrieben wurde, erscheint in der Praxis absurd. So dürfen die Spieler in den Trinkpausen während des Trainings nicht zusammenkommen, müssen aber beim internen Spiel in den Zweikämpfen den Körperkontakt suchen - genau so, wie es Kauczinski angekündigt hatte: "Wir werden auf dem Platz keinen Abstand halten, auch im Training nicht." Das klappt eben nur beim Fußballgucken.
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