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Ein Stück Mauerkunst kommt nach Bautzen

Eine graue Wand am Hotel erinnerte die Chefs des „Moments“ an die Berliner Mauer. Nun entsteht mitten in Bautzen eine kleine East Side Gallery.

Von Marleen Hollenbach
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Im Hinterhof des Bautzener Hotels „Moments“ an der Goschwitzstraße gestaltet Sebastian Girbig ein besonderes Motiv. Mit Farbdosen sprüht er den bekannten Bruderkuss an eine Mauer.
Im Hinterhof des Bautzener Hotels „Moments“ an der Goschwitzstraße gestaltet Sebastian Girbig ein besonderes Motiv. Mit Farbdosen sprüht er den bekannten Bruderkuss an eine Mauer. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Ruhig hält er die Spraydose in seiner Hand. Nur einmal hat Sebastian Girbig auf das ausgedruckte Bild geschaut, das auf dem Boden vor ihm liegt. Jetzt spritzt er rosa Farbe an die Wand. An eine Stelle, dann gleich an die nächste. Der Mann, der hier vor einer grauen Mauer steht, wirkt viel zu cool, für das Projekt, was er sich heute vorgenommen hat. An die leere Wand im Hinterhof des Bautzener Hotels „Moments“ wird er in nur wenigen Stunden ein Bild sprühen. Aber nicht irgendeines. Es geht um ein Motiv, das Kultstatus besitzt. Es ziert Magneten, Postkarten, Kaffeebecher und sogar das Etikett einer Ginflasche. Gemeint ist der „Bruderkuss.“

Die Geschichte zum Kultbild ist schnell erzählt. Im Oktober 1979 beendete Leonid Breschnew seine Rede zum 30. Jahrestag der DDR. Als er danach Erich Honecker küsste, drückte der Fotograf Régis Bossu auf den Auslöser. Elf Jahre später erinnerte sich der russische Maler Dmitri Vrubel an das legendäre Kussfoto. Er malte die Szene 1990 an die Berliner Mauer. Heute gehört der Bruderkuss zu den bekanntesten Gemälden der East Side Gallery.

Schon diese Fakten könnten einschüchtern auf jemanden wirken, der versucht, das Kunstwerk mit Spraydosen nachzustellen. „Klar ist es nicht einfach, weil jeder weiß, wie das Bild aussehen muss“, sagt Sebastian Girbig, der für die Fassadengestaltung Dresden arbeitet. An seinem gelassenen Tonfall hört man aber, dass ihn diese Herausforderung nicht beunruhigt. Am Morgen hat er begonnen. Jetzt, zwei Stunden später, sind die beiden Gesichter schon gut zu erkennen. Girbig erzählt, dass er sich für die nächsten Minuten und Stunden die Hautstruktur vorgenommen hat. Ist das erledigt, fehlen nur noch Details – wie beispielsweise die Augenbrauen. Wenn alles gut geht, soll das Bild am Nachmittag fertig sein. „Wir beeilen uns, weil dem Kunden dieses Motiv besonders wichtig ist.“

Mit dem „Kunden“ meint der Fassadengestalter Jörg Beutel und Enrico Paul, die zwei Inhaber des Hotels an der Goschwitzstraße. Die Unternehmer wollten die Mauer im Hinterhof neu gestalten. Sie sahen sich die Stelle an – und kamen so auf eine besondere Idee. „Die Wand erinnerte uns in ihrer Art an die Berliner Mauer“, erklärt Enrico Paul. Schnell kam ihm der Gedanke, diese Ähnlichkeit zu nutzen und einige Motive der East Side Gallery von Berlin nach Bautzen zu holen. Vor allem die bekannten. Neben dem Bruderkuss entschieden sich die Unternehmer für das Bild des Trabants, der die Berliner Mauer durchbricht. An der langen Wand sind zudem bunte Street-Art-Figuren zu sehen und das Motiv, dass sich in Berlin direkt am Checkpoint Charlie befindet. In den kommenden Wochen wird aber auch ein Motiv entstehen, das es so nicht in Berlin gibt. Schon jetzt kann man die Umrisse erkennen. Ganz am Rand der Mauer im Hotel-Hinterhof ist Platz für die Bautzener Stadtkulisse.

Die Wand ist voll mit Motiven der East Side Gallery. Der Trabant darf dabei natürlich nicht fehlen.
Die Wand ist voll mit Motiven der East Side Gallery. Der Trabant darf dabei natürlich nicht fehlen. © SZ/Uwe Soeder

Sebastian Girbig kontrolliert kurz seine Arbeit. Er tritt einen Schritt zurück, um das Motiv auf sich wirken zu lassen. Zwar hat er kein Spezialgebiet, doch Porträts liegen ihm besonders. Fotorealismus nennt er das, was er am besten kann. Er fügt aber auch hinzu: „Es gibt in dem Bereich auch Leute, die noch zehnmal krasser sind.“

Wenn er mit seiner Arbeit fertig ist, wird er den Bruderkuss fotografieren, ihn abheften in den dicken Ordner mit seinen Arbeiten. Bei so vielen Aufträgen fällt es ihm schwer, zu sagen, welches Projekt das anspruchsvollste war. Dafür weiß er noch genau, wann er sein erstes Graffiti sprühte. Vor 25 Jahren war das. Damals durfte er einen Bauwagen des Dresdner Grünflächenamtes gestalten. Girbig wählte eine Comicfigur. „Ich habe klein angefangen, mich Stück für Stück weiterentwickelt“, sagt er.

Das Ergebnis dieser Entwicklung können die Besucher jetzt sehen, wenn sie den Hinterhof betreten, der gleichzeitig ein Biergarten ist. Und sie dürfen ihr Handy aus der Tasche holen. Das Fotografieren der Bilder ist nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Hotel-Inhaber Enrico Paul hofft, dass viele Besucher die Motive als Hintergrund für ein Selfie nutzen.