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Der kalte Hauch der Gleichgültigkeit

Philipp Schaller holt in der Herkuleskeule keinen Zuschauer ab und zeigt Spinnen-Angst.

Von Rainer Kasselt
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Philipp Schaller zeigt einen hochpolitischen Best-Of-Mix.
Philipp Schaller zeigt einen hochpolitischen Best-Of-Mix. © ROBERT JENTZSCH

Die Herkuleskeule kehrt Corona wild entschlossen den Rücken. Egal, was kommt, ob zweite Welle oder nicht, der Spielplan des Dresdner Kabaretts bis Dezember steht. Sagt Philipp Schaller, 42, seit Januar künstlerischer Chef des Hauses. Er geht mit gutem Beispiel voran, zeigt am Dienstag im Kabarettkeller des Kulturpalastes sein neues Soloprogramm „Sie mich auch!“. Ein hochpolitischer Best-Of-Mix mit galligen und generösen neuen Texten. Der zweistündige Abend sollte im März Premiere haben, kurz vor der Generalprobe verriegelte das Virus das Theater. Schlechter kann ein neuer Leiter kaum starten. Nun erst recht, lautet Schallers Devise.

Und wie er loslegt! Mit gefühlten zwanzig Vor- und dreißig Nachbemerkungen. Erwartungsgemäß fällt das eigentliche Programm der knappen Zeit zum Opfer. Philipp Schaller macht über hundert Zuschauern mit viel Witz klar, was auf sie zukommt. Er wird sie nicht abholen, wie das heute heißt, er ist ja nicht Florian Silbereisen. Er hat statt Lösungen Fragen und Zweifel. Seine Haltungen schwanken, manchmal mehrmals am Tag. Er gewinnt den Eindruck, es gäbe in der gespaltenen Gesellschaft nur zwei Lager: „Nazis und Gutmenschen.“ Doch Schaller glaubt nicht an einfache Antworten, „der Platz zwischen den Stühlen“ sei für ihn der produktivste.

Niemand zündet Klobecken an

Er lädt die Gäste in seine Werkstatt ein, gibt eine knappe Definition von Ironie: „Das Gesagte ist nicht das Gemeinte.“ Das Wesen der Satire liege im „Überschreiten von Grenzen“. Bei Schaller heißt es aufpassen, ohne Vorwarnung wechselt er zwischen Ironie und Ernst hin und her. Er spielt keine Figuren, ist immer er selbst, versteht sich in gewisser Weise als Spiegel der Gesellschaft mit all ihrer Doppelmoral. Schallers schwarzer Humor kann einen in seiner Bitterkeit umhauen: „Das eigene Heim selber abzufackeln, besser kann man sich als Flüchtling in Deutschland nicht integrieren.“ Er thematisiert die besonders im Osten verbreitete Angst vor Fremden. Andere Ängste hätten wir doch auch im Griff, meint er. Die meisten Männer hätten Angst, das Klo zu säubern – „und trotzdem zündet keiner Toilettenbecken an!“. Und Schaller spöttelt: „Ich habe Angst vor Spinnen, trotzdem gehe ich ohne Transparent in den Wald.“

Dieser Nachfahre Tucholskys will verstören, aufmuntern, zum Denken animieren, graue Zellen vom braunen Müll trennen. Auf der Bühne bewegt er sich souverän, schäkert mit den Besuchern, reagiert schlagfertig auf Zwischenrufe. Nach der Pause schlüpft er in einen grauen Bademantel: „Udo Jürgens für Arme.“ Mal sitzt er, mal geht er ein paar Schritte, immer im Dialog mit dem Publikum. Hat das Kabarett noch Wünsche an die Welt? Oder versinkt es in Fatalismus? Bestimmt der kalte Hauch der Gleichgültigkeit die Gegenwart, ist die Welt noch zu retten? Diese Fragen quälen den Kabarettisten, er weicht ihnen nicht aus. Er befürchtet, dass die Kriege der Zukunft nicht mehr mit Drohnen geführt werden, „sondern mit der Privatisierung von Wasser und der künstlichen Verknappung von Nahrung“. An dieser Stelle ist für den „besorgten Kabarettisten“ kein Platz mehr zwischen den Stühlen, da ergreift er Partei. Sein heftigster Wunsch: „Eine Welt ohne einen einzigen Schuss.“

Wieder am 11., 13. und 20. September, am 15. Oktober, 11. November sowie am 15. und 22. Dezember im Dresdner Kulturpalast. Kartentelefon: (0351) 492 55 55

[email protected]


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