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Der Mann mit der Sammelmacke

Forstwirt Rainer Huhn sucht laufend gefällige Neulinge für seinen Bielataler Garten. Manchmal schnitzt er sich auch welche mit der Kettensäge.

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© Marko Förster

Von Jörg Stock

Bielatal. Huhn und Adler. Was sich dem Namen nach gar nicht verträgt, findet man in diesem Garten in trauter Dreisamkeit. Rechts und links hocken die grimmigen Krummschnäbel, und in der Mitte sitzt Rainer Huhn, der sie geschnitzt hat, mit der Kettensäge, wie es sich gehört für einen Forstmann. Er mag es rustikal. So ist der Komfort des Ruheplatzes auch begrenzt, trotz der Schaumstoffpolster. Das findet er ganz gut so, sagt Herr Huhn, und lächelt hintersinnig. „Ich kann ja nicht den ganzen Tag nur rumlümmeln.“

In Huhns Garten

Munterer Fassadenkletterer: Der Weinstock trägt wieder reichlich Trauben.
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Was guckst du! Reporter Jörg Stock mit Adler auf der Eichenholzbank.
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Dornröschenhafte Weggefährten: Dichter Bewuchs säumt den Zugang zur Haustür.
Dornröschenhafte Weggefährten: Dichter Bewuchs säumt den Zugang zur Haustür.
Süße Falle: Mit Duft und Nektar lockt das fleischfressende Schlauchblatt Insekten ins Verderben.
Süße Falle: Mit Duft und Nektar lockt das fleischfressende Schlauchblatt Insekten ins Verderben.
Genügsame Ästheten: Hauswurze in allen Varianten bevölkern die Terrassenmauern im Steingarten.
Genügsame Ästheten: Hauswurze in allen Varianten bevölkern die Terrassenmauern im Steingarten.

Rainer Huhn ist in Bielatal daheim. Um die Ecke stehen die skurrilen Sandsteintürme, die den Ort zum Magneten für Kletterfreunde machen. In Rainer Huhns Garten gibt es auch massig Steine. Aber klettern sieht man hier allenfalls seine Hortensie. Das opulente Gewächs strebt an der Hauswand hinauf, seit über dreißig Jahren. Ein dankbarer Schmuck, sagt der Gärtner. Sieht gut aus und macht den Putz nicht kaputt. Und vermehren kann man ihn auch. Pflanzennachwuchs erzeugen, auch wenn er ihn eigentlich gar nicht braucht, ist seine Gewohnheit. Schließlich gab es mal Zeiten, als man Exoten noch nicht beim Aldi kaufen konnte.

In diesen Zeiten ist Rainer Huhn aufgewachsen, hier im Ort. Damals war er viel draußen, stromerte im Wald umher oder ging in den Kleingarten, den seine Eltern beackerten. Er war gern dort. Er hatte schon früh eine Ecke für sich, wo er anfing, Pflanzen zu sammeln. Hauswurze zum Beispiel, Herbstzeitlosen, verschiedene Lilien, nichts Weltbewegendes. Im Tausch handelte er sich dann immer mehr Gewächse ein. Kein typisches Hobby für einen Schuljungen. „Aber so war es einfach“, sagt Herr Huhn. Er schiebt es ein wenig auf den Großvater, den er nie kennenlernte, und der, so weit er weiß, eine Gärtnerei hatte.

Rainer Huhn erhebt sich von der Adlerbank für einen Rundgang durch das dicht bewachsene Terrain. Einstmals war hier eine Wiese, die zum Gasthof gehörte. Viele Jahre grasten Ochsen darauf und düngten den Boden. Vielleicht liegt es daran, denkt Huhn, dass seine Pflanzen so gut gedeihen. Ob nun Gewürzstrauch oder Schneeglöckchenbaum, ob Korkenzieher-Lerche oder Schlangen-Fichte, ob Zucker-Ahorn, original aus Michigan, oder Japanische Schirmtanne, selbst gezogen aus den Samen eines Parkbaums – alle scheinen sich wohlzufühlen. Die Colorado-Tanne ist schon entschieden zu groß, findet der Gärtner. Er denkt daran, sie irgendwo als Weihnachtsschmuck anzubieten.

Im Schatten der Baumkronen, am unteren Gartensaum, stößt man, in Pötten und Brotkisten verstaut, auf Rainer Huhns Pflanzenkindergarten. Wann immer er irgendwo unterwegs ist, sucht er nach Saatgut, das er daheim zum Keimen bringen kann. Was er selbst zu viel hat, gibt er in Gefäße und hortet es, bis es irgendjemand haben will. „Ich kann einfach nichts wegschmeißen.“ So wachsen hier Enzian und Primula, Günsel und Zwerg-Weide, Waldglockenblume und Hirschzungenfarn. Zart zappelt das Zittergras, in freier Wildbahn heutzutage eine Rarität, sagt Huhn. „Früher gab’s das auf jeder Wiese.“

Rainer Huhn vermehrt aber auch vorbeugend. Sobald er an den etablierten Gewächsen Schäden bemerkt, setzt er Nachwuchs an. So steht für seine Japanische Blütenkirsche, an die sich der Pilz rangemacht hat, schon mehrfacher Ersatz bereit.

Das Sahnestück des Gartens strebt, in Terrassen aufgeteilt, zum Wohngebäude hinan. Stein auf Stein. Mit seinem ursprünglichen Beruf – Rainer Huhn war einmal Ofensetzer – hat das nichts zu tun. Ein Bekannter aus der Gartenbaubranche brachte ihn während des Hausbaus Anfang der 1980er auf die Idee, aus dem lehmigen Hang einen Steingarten zu machen. Er half ihm, von überall her die Brocken heranzuschaffen und sie so aufzuschichten, dass es ein Bild ergab. Es war ein großes Puzzlespiel, sagt Herr Huhn, bei dem nicht alle Teile passten. „Wir haben auch viele Steine wieder weggeschafft.“

Am Fuße der Kaskade steht ein Blickfang, für den sogar manches Auto anhält: ein gewaltiger weißer Blumenhartriegel. Ein hölzernes Schneckentier hockt unter einer Konifere. „Mein Wachhund“, stellt Huhn vor. Hauswurze, mit denen seine Gartenpassion einst anfing, gibt es immer noch. Die gezackten Rosetten sprießen aus den kleinsten Mauerritzen. Fingerhüte stehen nebenan, Morgensternseggen und die Taglilien, von denen Huhn an die zwanzig Sorten besitzt. Magnolien sind sein besonderer Stolz. In fünf Farben kann man die großblättrigen Büsche im Frühjahr bei ihm blühen sehen. Er schwärmt vor allem von der weiß-rosa Variante. „Das sieht fantastisch aus!“

Immer schön aufs Budget achten

Über die steinerne Stiege geht es ins Oberland des Gartenreichs. Vom Haus aus gesehen, ist man im Parterre. An der Haustüre steht eine Zitrusbaumversammlung, Orangen, Pampelmusen, Zitronen, Buddhas Hand, „meine Sammelmacke“, sagt Huhn. Zum Sammeln nutzt er zum Beispiel die Gartentage beim Schloss Pillnitz. Dutzende Händler aus dem ganzen Land bieten dort ihre Pflanzen feil. Eine feine Sache für Leute wir Rainer Huhn. „Da habe ich mir schon viele schöne Sachen besorgt“, sagt er. Die Verlockungen sind groß und können schnell ins Geld gehen. „Am besten, man setzt sich ein Budget.“

An der Hollywoodschaukel wird offenbar, dass Rainer Huhn nicht nur Pflanzen sammelt. Auch Hühnergötter. Auf Drähte gefädelt, baumeln sie an einem Rankgerüst. Gelochte Steine gibt es nicht nur an der Ostsee, sondern auch in Kärnten, in Südtirol und auf Mallorca. Über der Kollektion hängt ein Holzschild, auf dem „Ranger a. D.“ steht, Geschenk der Lehrlinge beim Forst. Huhn gehörte einst mit zur Waldwacht in Cunnersdorf. Wenn Not am Mann ist, rückt er auch heute noch aus.

Vorbei geht es an der Garage, die keine mehr ist. Isoliert und mit Heizung versehen, nimmt sie im Winter alle Gewächse auf, die frostempfindlich sind. Die Freilandkakteen, eingebettet in wärmespeichernden Lava-Kies, kommen mit Kälte gut zurecht. Die Spießer sind frosthart. Nur Dauerregen mögen sie nicht. Für alle Fälle hat Rainer Huhn ihnen ein passgenaues Gestell schmieden lassen, das, mit Glasplatten belegt, eine schützende Haube ergibt. Bedachen, wenn auch nur mit Gitter, muss er auch den Fischteich. Das lehrten die Besuche der Otter. Voriges Jahr wollte sogar der Schwarzstorch hier angeln gehen, nebst Gattin, und das völlig ohne Scheu.

Eigentlich wirkt Rainer Huhns Garten ganz vollendet. Er selbst sieht das anders. Neue Projekte schwirren in seinem Kopf, gerne nachts, wenn er im Bett liegt. Dann malen seine Gedanken Bilder, mal von einer Blumenwiese, mal von einem Staudenbeet. Man darf wohl sicher sein: Eins davon wird demnächst Wirklichkeit werden.