Bernstadts Bürgermeister Markus Weise (Kemnitzer Liste) gehört zu den glücklichen Gemeinde-Oberhäuptern, deren Etat gelegentlich Spielraum für ein Extra abseits aller Pflichtaufgaben zulässt: Die Sanierung und Neuausstattung der Stadtibiliothek war kürzlich so ein zusätzliches Plus, das die Gemeinde dank guter Steuereinnahmen endlich umsetzen konnte. Das geht bei weitem nicht allen Bürgermeistern im Landkreis Görlitz so, wie bei den Haushaltsdiskussionen der vergangenen Monate aus allen Ecken zu hören war. Viele drückt ein Schuldenberg, der manchmal noch aus der Nachwendezeit stammt und dessen Tilgung ihnen die Luft für solche Vorhaben nimmt.
Allerdings geht es beim Schuldenabbau voran: Am Anfang des Jahrzehnts lastete ein Berg von 190 Millionen Euro auf den 53 Gemeinden zwischen brandenburgischer und tschechischer Grenze. Innerhalb von acht Jahren haben sie laut Statistischem Landesamt fast 44 Millionen Euro davon abgebaut. Doch nicht alle haben gleichmäßig ihre Kredite getilgt. Manche sind sogar höher verschuldet als 2010. Und selbst Bürgermeister aus Gemeinden, die inzwischen schuldenfrei sind, müssen weiter jeden Euro umdrehen:
Welche Gemeinden haben den höchsten Schuldenberg?
Den höchsten Schuldenberg haben die großen Städte Görlitz, Zittau, Weißwasser, Löbau, Niesky - und Reichenbach. Sie vereinen rund 100 der 146 Millionen Euro Schulden aller Gemeinden im Kreis auf sich.
Aussagefähiger ist aber die Verschuldung pro Einwohner. Da liegt Reichenbach weit abgeschlagen mit 2.786 Euro pro Kopf auf dem letzten Platz. "Ja, wir sind am höchsten verschuldet", sagt Bürgermeisterin Carina Dittrich (parteilos). Die Ursache dafür liegt ihren Angaben zufolge vor allem in den Jahren kurz nach der Wende und bei einem neuen Wohnstandort. Damals herrschte Wohnungsnot, die Stadt gewann einen Architektenwettbewerb, nahm 7,5 Millionen Euro Schulden auf und baute los. Doch Reichenbach entwickelte sich - wie fast alle Gemeinden in der Oberlausitz - nicht so, wie erhofft. Die Betriebe schlossen, Einwohner zogen weg. Der im Volksmund "Papageiensiedlung" genannte Standort war viel zu groß. Die Refinanzierung über den Verkauf der Grundstücke funktionierte nicht. Reichenbach hatte plötzlich einen großen Schuldenberg, der durch Investitionen noch wuchs, die entsprechenden Zinsen zu zahlen, aber immer weniger Einnahmen. Heute kann sich die Stadt keine freiwilligen Aufgaben mehr leisten, hat gespart, wo zu sparen war. Was die Attraktivität einer Stadt, die um neue Einwohner kämpft, nicht gerade erhöht, wie die Bürgermeisterin sagt. Weiteres Einsparpotenzial sieht sie nicht mehr. Deshalb ist eine Studie beauftragt worden, die zeigen soll, was noch geht. Am Jahresende wird sie vorliegen.
Nach Reichenbach folgen laut Statistischem Landesamtes Beiersdorf im Süden und Bad Muskau im Norden mit 1.301 beziehungsweise 1.262 Euro Schulden pro Einwohner zum Stichtag 31. Dezember 2018. Die beiden haben sich auch wegen Investitionen wie für den Neubau von Kitas verschuldet. Während Beiersdorfs Bürgermeister Hagen Kettmann (parteilos) einen regelmäßig sinkenden Schuldenstand verkünden kann und in reichlich zehn Jahren den kompletten Abbau sieht, hat Bad Muskau 2015 einen Rückschlag erlitten. "Durch die Insolvenz des Kita-Betreibers fiel die Kita-Betreibung an die Stadt zurück", teilte Kämmerin Anita Handschack auf SZ-Anfrage als eine der Hauptursachen mit. "An den Insolvenzverwalter waren rund 1,9 Millionen zum Erwerb der Einrichtung zu zahlen. Weitere 600.000 Euro an Eigenanteilen wurden zur Fertigstellung des Kita-Baues geplant. Da auch diese Mittel nicht im städtischen Haushalt vorhanden waren, blieb nur der Weg, neue Kredite aufzunehmen." Ihren Angaben zufolge wird es noch Jahrzehnte dauern, bis sich Bad Muskau davon erholt hat - wenn der Freistaat nicht eines Tages doch auf vorgebrachte Vorschläge der Stadt eingeht.
Welche Gemeinden haben (fast) keine Schulden?
Eine ganze Reihe. Seifhennersdorf und Bernstadt zum Beispiel haben ihre Kredite getilgt. Trotzdem weist das Statistische Landesamt für sie geringe Verbindlichkeiten aus, die aus anderen Verpflichtungen stammen. Die einzige Gemeinde, die tatsächlich keinerlei Schulden hat, ist Dürrhennersdorf im Oberland. Ohne Altschulden oder ähnliches nach der Wende gestartet, "gab es im Verlauf der Jahre danach im Gemeinderat dauerhaft den Konsens, mit den Einnahmen auszukommen, also nur das ausgeben zu können, was in irgendeiner Form auch eingenommen werden würde", so Bürgermeister Albrecht Gubsch (parteilos). "Natürlich gab es immer wieder auch Wünsche, die nicht oder nur zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden konnten, was wohl jeder auch aus seinem Privatleben kennen dürfte. Nicht zuletzt vermied man kostenintensive, aber leider nutzlose Mitgliedschaften in irgendwelchen Verbänden wie dem Sächsischen Städte- und Gemeindetag oder dem Arbeitgeberverband."
Welche Gemeinde hat am meisten Schulden auf- und abgebaut?
Mücka ist der Kreis-Spitzenreiter beim Schuldenabbau. Die kleine Gemeinde bei Niesky hat ihre Schulden zwischen Anfang 2010 und Ende 2018 von fast 1.700 Euro pro Einwohner auf 823 Euro mehr als halbiert. Den größten neuen Schuldenberg in dieser Zeit hat Bad Muskau aufgehäuft. Er wuchs um 562 auf 1.262 Euro pro Einwohner.
Insgesamt haben 37 der 53 Gemeinden unter dem Strich Kredite getilgt und zwölf neue Schulden angehäuft. Für vier konnte das Statistische Landesamt nur aktuelle, aber keine Vergleichsdaten liefern, wie in der Tabelle unten zu sehen ist.
Dürfen die Gemeinden so viele Schulden machen wie sie wollen?
Nein. Jeder Haushalt wird von der Rechtsaufsicht geprüft. Kann sich eine Gemeinde Tilgung und Zinsen nicht leisten, wird ihr die Aufnahme von Krediten untersagt. Trotzdem können die Gemeinden in finanzielle Schieflage geraten: Wenn sie schon Schulden haben und die Einnahmen nicht so sprudeln wie erhofft. Oder sie mehr Aufgaben erfüllen müssen als die Kasse zulässt.
Generell gilt in Sachsen für kreisangehörige Gemeinden mit 10.000 bis 25.000 Einwohnern eine Obergrenze der Verschuldung ohne die der Tochterunternehmen von 850 Euro pro Einwohner. "Das Überschreiten hat keine unmittelbaren Auswirkungen", teilte Ingolf Ulrich von der Landesdirektion Sachsen auf Anfrage mit. Die Gemeinde ist jedoch gehalten, die Richtwerte einzuhalten. Dies führt dazu, dass das Überschreiten der Richtwerte die finanziellen Spielräume der Gemeinde – insbesondere bei Investitionen – einschränkt."
Sind die schuldenfreien Gemeinden fein raus?
Jein. Sie müssen keine Zinsen und Tilgungen zahlen. Das heißt aber nicht automatisch, dass sie im Geld schwimmen. So wie zum Beispiel Bernstadt. Die Stadt hat ihre Kredite 2017 abgezahlt und durch Birkenstock und weitere Firmen vergleichsweise viel Gewerbesteuer in der Kasse. Aber: "Die bewusste Entscheidung des Stadtrates keine weiteren Kredite aufzunehmen, hat auch die Konsequenz, dass Maßnahmen mit zeitlichem Verzug oder gar nicht angegangen werden können", so Bürgermeister Markus Weise. Doch die Gemeinden müssen und wollen dem steigenden Anspruch der Bevölkerung an das Lebensumfeld gerecht werden. "Die im Grundgesetz verankerte Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen wird berechtigterweise zunehmend eingefordert", so Weise. Dafür braucht es Geld. Viel Geld. Woher aber die Eigenmittel für Investitionen nehmen, wenn die Kasse dafür nicht voll genug ist und der Stadtrat keine Kredite aufnehmen will? Steuern und Abgaben erhöhen? Für Weise ist das auch kein Weg. "Ich kann es auch niemandem erklären, warum wir die Hebesätze anheben sollten, wo doch die Steuereinnahmen bei Land und Bund förmlich sprudeln. Es ist meiner Ansicht nach nicht ohne Weiteres vertretbar, den Menschen unter diesen Vorzeichen tiefer in die Tasche zu greifen."
Ein anderes Beispiel ist Seifhennersdorf. Auch die Oberlandstadt hat keine Kredite mehr abzutragen. Und doch ist die Finanzsituation alles andere als rosig. Vor drei Jahren musste Seifhennersdorf plötzlich unverschuldet Gewerbesteuern in Größenordnungen zurückzahlen. Geld, das die Stadt nicht hatte. Einen Kredit zum Ausgleich genehmigt die Rechtsaufsicht nicht, weil Seifhennersdorf zu wenige Einnahmen für Zinsen und Tilgung hat. Plötzlich standen freiwillige Aufgaben wie die Betreibung des Freibades oder des Museums auf dem Spiel. Doch Seifhennersdorf scheint sich durch das Finanztal gekämpft zu haben. "Ich denke, wir haben das Schlimmste überwunden", sagt Bürgermeisterin Karin Berndt (parteilos).
Die Zahlen im Einzelnen
Gemeinde Schulden in Euro pro Einwohner Schulden in Euro pro Einwohner
am 31. Dezember 2018 am 31. Dezember 2009
1. Dürrhennersdorf 0 keine Angaben
2. Seifhennersdorf 3 keine Angaben
3. Bernstadt a. d. Eigen 5 149
4. Mittelherwigsdorf 8 280
5. Hähnichen 11 88
6. Boxberg/O.L. 19 240
7. Gablenz 21 49
8. Hainewalde 25 91
9. Großschweidnitz 31 150
10. Weißkeißel 69 289
11. Rietschen 86 48
12. Leutersdorf 88 keine Angaben
13. Lawalde 107 397
14. Neusalza-Spremberg 116 180
15. Trebendorf 164 69
16. Kreba-Neudorf 175 580
17. Oppach 187 269
18. Rothenburg/O.L. 192 374
19. Kottmar 218 309
19. Groß Düben 218 35
21. Neißeaue 229 331
22. Ebersbach-Neugersdorf 235 545
23. Königshain 252 421
24. Oderwitz 254 491
25. Schöpstal 257 549
26. Rosenbach 259 391
27. Quitzdorf am See 280 193
28. Jonsdorf 286 keine Angaben
29. Hohendubrau 290 487
30. Markersdorf 300 730
31. Herrnhut 307 565
32. Vierkirchen 368 600
33. Kodersdorf 412 573
34. Horka 419 502
35. Schleife 428 47
36. Schönau-Berzdorf a. d. Eigen 487 852
37. Weißwasser/O.L. 509 746
38. Ostritz 530 939
39. Görlitz 558 693
40. Waldhufen 595 664
41. Bertsdorf-Hörnitz 703 270
42. Schönbach 794 345
43. Mücka 823 1.680
44. Zittau 838 1.031
45. Großschönau 884 1.084
46. Niesky 889 951
47. Olbersdorf 969 652
48. Krauschwitz i.d. O.L. 1.103 1.192
49. Löbau 1.182 1.014
50. Oybin 1.229 1.343
51. Bad Muskau 1.262 700
52. Beiersdorf 1.301 1.049
53. Reichenbach/O.L. 2.786 2.322
Quelle: Statistisches Landesamt
Das Statistisches Landesamt weist darauf hin, dass sich ab dem Berichtsjahr 2010 die Berechnungsvorschrift für den Gesamtschuldenstand aufgrund von Anforderungen der EU geändert hat. Bis einschließlich Berichtsjahr 2009 werden in dem Gesamtschuldenstand nur Wertpapier-, Kreditmarktschulden und Schulden bei öffentlichen Haushalten ausgewiesen. Ab 2010 enthält der Gesamtschuldenstand: Kassenkredite, Wertpapierschulden, Schulden aus Krediten, Versicherungstechnische Rückstellungen (nur 2010), übrige Verbindlichkeiten (ab 2013 nur Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen) und kreditähnliche Rechtsgeschäfte.