SZ +
Merken

Die Auerochsen von Liebenau

Ökobauer Klaus Zimmerhäckel nutzt die Urrinder für den Naturschutz. Selten verkauft er ihr Fleisch. Das aber ist begehrt.

Teilen
Folgen
NEU!
© Frank Baldauf

Von Ulrike Keller

Klaus Zimmerhäckel stoppt seinen Geländewagen vor einem wenig spektakulären Weidezaun. Er hält ein Gerät an den Draht: 5 000 Volt. Gut so, verrät sein Gesichtsausdruck. Vorsichtig steigt er hinüber. Marschiert in seinem Blaumann zum nächsten Draht. Dort warnt ein gelbes Schild „Freilaufender Bulle – Lebensgefahr!“ Der Liebenauer Ökobauer grinst. Es ist sein Bulle. Zu dem eine ganze Herde von rund 40 Tieren gehört. Doch wo steckt die Truppe in dem steilen Gelände an den Müglitzhängen und im Trebnitzgrund, da, wo Schwarzstorch und Uhu brüten?

Ökobauer Klaus Zimmerhäckel mit der Leitkuh seiner Auerochsen-Herde auf einer Weide in Lauenstein: Das Tier erfüllt alle Schönheitskriterien einer Auerochsen-Dame: schwarzes Fell mit bräunlichem Sattel, weißes Maul, heller Pony. Zurzeit trägt sie noch ein
Ökobauer Klaus Zimmerhäckel mit der Leitkuh seiner Auerochsen-Herde auf einer Weide in Lauenstein: Das Tier erfüllt alle Schönheitskriterien einer Auerochsen-Dame: schwarzes Fell mit bräunlichem Sattel, weißes Maul, heller Pony. Zurzeit trägt sie noch ein © Frank Baldauf

Der 64-Jährige ist die Ruhe selbst. Ihm scheint zu gefallen, dass er seine Zucht suchen muss. Immerhin erstreckt sich ihre Weidefläche auf 100 Hektar. So, wie es als artgerecht gilt. Artgerecht für Auerochsen. „Im Zuchtbuch von Prof. Dathe ist als Haltungsbedingung über ein Hektar Freiraum pro Tier festgelegt“, doziert Klaus Zimmerhäckel. Dieses weitgehend krankheitsresistente Urrind war schon einmal ausgestorben. Im Mittelalter vom jagdfreudigen Adel ausgerottet. Erst nach dem Ersten Weltkrieg gelang den Tierparks Berlin und München die Rückzüchtung.

Urrinder vermehren seltene Pflanzen

Der Landwirt bückt sich. Im Wiesengrün deutet er auf Klappertopf und Frauenmantel. „Es gibt viele seltene Pflanzen auf meinen Flächen“, sagt er stolz. Auf den Auerochsen kam er, um diese wertvollen Biotope bewirtschaften und erhalten zu können. Dazu werden die Tiere bereits seit den 30er-Jahren genutzt. „Sie sind nicht so schwer wie Mastrinder, zertreten nicht die Grasnarbe“, erklärt Zimmerhäckel. Wieder macht er den Rücken krumm und taucht mit einer verblühten Perücken-Flockenblume auf. „Die vermehrt sich durch die Tiere“, erzählt er begeistert. „Sie schleppen die Diasporen im Fell mit.“ Inzwischen wächst die Perücken-Flockenblume sogar schon auf Weiden, auf denen sie früher nie zu sehen war, beobachtet er. Doch wo machen sich die Tierchen im Moment nützlich? Klaus Zimmerhäckel hat eine Vermutung, tritt den Rückweg zum Wagen an. „Die halten sich gern auf dem Berg auf.“

Angefangen hat er 1991 mit drei Auerochsen. Wobei der Name irreführend ist. Eine Herde besteht keinesfalls einzig aus kastrierten männlichen Tieren, sondern wie jede normale Rinderherde aus Bullen, Kühen und Kälbern. Das Gründungstrio seiner Zucht holte er aus dem Tierpark Stendal. Das weibliche Tier war bereits 17 Jahre alt. Drei Junge brachte es noch zur Welt. Auerochsen können durchaus 30 Jahre werden. Heute besitzt er zwei Herden, insgesamt rund 80 Tiere.

Klaus Zimmerhäckel legt einen Hebel um. „Ich bin geländegängig“, erklärt er und treibt seinen Pick-up die steile Koppel hinauf. Die Tachonadel zittert knapp über null. Ein munteres Rutschen beginnt. „Die sind in der Lage, so einen Berg hochzurennen“, schwärmt der Landwirt, wie es ein Vater von seinem leistungsstarken Nachwuchs tut. „Das schafft ein Mastrind nicht.“ Zu seiner Linken kommt ein Betontrog näher. Darin wird Quellwasser aufgefangen, erzählt er. Das friert auch im Winter nicht ein. Denn Auerochsen bleiben das ganze Jahr über auf der Weide. Ihr dünnes samtiges Sommerfell verwandelt sich in der kalten Jahreszeit in ein dickes Borstenkleid à la Wildschwein.

Und siehe da: In der Ferne stehen tatsächlich die Gehörnten. Je näher sie rücken, desto mehr meint man, auch Züge vom Schottischen Hochlandrind und Anteile des Kampfrinds aus Spanien zu erkennen. Der Mann am Steuer ist vorbereitet. Auf der Ladefläche des Geländewagens transportiert er Bio-Graspellets. Leckerlis zum Locken. Denn seine Auerochsen sind wild. „Die klaut mir keiner“, versichert er.

Früher hatte er auch zahme Tiere. „Einen Bullen gab es, der kam immer zu mir und hat das Bein hochgehoben, damit ich ihn krabbele und die Holzböcke herausdrehe.“ Doch irgendwann kam der Tag, als ihm der 800-Kilo-Koloss von hinten mit den Hörnern unter die Jacke fuhr und regelrecht aushob. Passiert ist nichts. „Aber das war kritisch“, wurde Zimmerhäckel klar. Seitdem hält er die Tiere auf Distanz.

Und trotzdem scheint auf beiden Seiten Freude spürbar, als er aussteigt und Pellets auf die Wiese streut. Zuchtbulle und Leitkuh stehen in vorderster Reihe, fressen als Erstes. Der Rest guckt aus sicherer Entfernung zu. Die Knopfaugen, der helle Wuschelpony, das weiße Maul – schön anzusehen. Bullen sind schwarz, ein gelblicher Strich überzieht ihren Rücken. Kühe tragen einen bräunlichen Pelz ohne Strich.

Auch Porsche hat Liebenauer Tiere

„Zeitweise hatte ich deutschlandweit die meisten Zuchttiere“, erzählt Klaus Zimmerhäckel. Etliche Auerochsen-Bestände hat er begründet, Tiere nach Ingolstadt, Hoyerswerda, an den Chiemsee, die Weser gebracht. Selbst die Porsche AG holte sich die Auerochsen für das Leipziger Werk aus Liebenau. Doch in den vergangenen Jahren ist die Nachfrage etwas zurückgegangen. Die, die Auerochsen wollten, haben sie. „Das sind oft auch Seiteneinsteiger.“

Auf der Weide herrscht Waldidylle pur. Kein Güllegeruch, kein Blöken. „Wenn die Bullen sich keilen, klingt das ganz anders“, schränkt Klaus Zimmerhäckel ein und zeigt auf das verkrustete Loch im Oberschenkel eines jungen Stieres. Die Quittung eines Rangkampfes. Um das Kräftemessen der heranwachsenden Männchen mit dem Zuchtbullen in Grenzen zu halten, lässt der Landwirt jedes Jahr einige drei- bis vierjährige Auerochsen schlachten. Das geschieht traditionell vor den Weihnachtsfeiertagen.

Dann sitzen seine Stammkunden schon in den Startlöchern. Auerochsenfleisch gilt als sehr zart, ärmer an Cholesterin, Fett und Kalorien als Rind und Huhn, reich an Vitamin B12 und Mineralien. Der Liebenauer verkauft es in der Preiskategorie von gutem Rindfleisch. Und bekommt es förmlich aus der Hand gerissen: „Das Fleisch ist immer in zwei Stunden alle.“

Kontakt: 035054 25221