Die Frau im Schatten Helmut Kohls

Auch das hatte Helmut Kohl seiner Frau zu verdanken: In Leipzig fand sich der Konterrevolutionär aus der Pfalz bei einem Besuch Anfang der 70er-Jahre unverhofft in der Lumumba-Schule zur Ausbildung afrikanischer Revolutionskämpfer wieder. Walter Kohl, der Sohn, lacht sich fast kaputt, als er von dieser Szene und seinem verdutzten Vater erzählt. Die Familie war zu Besuch in der Heimatstadt von Hannelore Kohl: In Leipzig hatte sie ihre Kindheit verbracht. Dort besuchten sie dann auch die frühere Schule der Mutter - die eben inzwischen eine Revulotionsschule war.
Es sind allein schon solche Anekdoten aus dem Leben der Kanzlergattin, die den ARD-Film "Hannelore Kohl - die erste Frau" sehenswert machen. Und es sind nicht nur Anekdoten. Leipzig etwa war viel mehr als nur eine Episode im Leben Hannelore Kohls. Die Stadt ihrer Kindheit hat sie für ihr Leben geprägt, erzählt der Weggefährte und CDU-Politiker Bernhard Vogel im Dokumentarfilm.
Denn in Leipzig erlebte sie das Ende des Krieges, das Ende ihrer Kindheit, den existenziellen Zusammenbruch - und auch, als Zwölfjährige, Gewalt durch sowjetische Soldaten. Alles, was sie später in der Bundesrepublik mit ihrem Mann aufbaute, war ein Kontrapunkt zu dieser Erfahrung. Der Abzug der sowjetischen Truppen nach dem Ende der DDR war die vielleicht größte Genugtuung in ihrem Leben.
Ein Flüchtling aus Sachsen
Als sie nach dem Krieg in der Pfalz landete, war erst mal alles fremd. "Sie sprach Sächsisch, sie ist überall aufgefallen", erzählt Peter Kohl, der jüngere Sohn. "In dem Moment, in dem sie den Mund aufgemacht hat, haben alle nur den Kopf gedreht: Was? Flüchtling! Flüchtling! Flüchtling!"
In dieser Situation, das hat sie in einem Interview selbst erzählt, gab ihr die spätere Begegnung mit ihrem künftigen Ehemann, dem aufstrebenden CDU-Jüngling Helmut Kohl, neuen Halt im Leben. Wohl auch deshalb hat sie bis zuletzt, bis zu ihrem Suizid 2001, an dieser Beziehung festgehalten, obwohl diese für sie immer mehr zur Belastung wurde.
Autor Stefan Aust und Produzent Nico Hofmann - das sind so ziemlich die renommiertesten Namen, die man bei einer deutschen Fernseh-Dokumentation aufbieten kann. Hofmann hat, mit Filmen wie "Dutschke" und "Dresden", die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts längst auch zu Filmgeschichte gemacht. Aust war nicht nur lange Jahre Chefredakteur des Spiegel, sondern ist ebenfalls ein versierter Chronist der Zeitgeschichte. Sein Buch über die RAF etwa, "Der Baader-Meinhof-Komplex" ist, brillant recherchiert und erzählt, längst ein Klassiker.
Entsprechend anspruchsvoll sind die beiden an das Porträt der Kanzlergattin herangegangen, wollten raus aus Klischees wie Wolfgangsee und Hausfrau. In 90 Minuten Spielfilmlänge wird der Bogen sehr viel weiter gespannt, das Leben Hannelore Kohls wird eingebettet in sieben Jahrzehnte Weltgeschichte und die sich wandelnde Rolle der Frau.
Männer mit Pfeife und Strickweste
Diese Herangehensweise birgt jedoch auch eine Gefahr. Denn natürlich lässt sich die Nachkriegsgeschichte nicht erzählen, ohne immer wieder auch auf das Wirken Helmut Kohls zurückzukommen sowie andere mächtige Männer mit Pfeife oder Strickweste. Immer wieder kommt Kurt Biedenkopf zu Wort, als langjähriger Weggefährte Kohls und wortgewandter Deuter politischer Zusammenhänge. Zu Hannelore Kohl als Person hat Sachsens einstiger Ministerpräsident indes wenig Substanzielles beizutragen, außer dass Helmut Kohl "sehr stolz auf ihre Haartracht" gewesen sei, die in der Öffentlichkeit oft als "Betonfrisur" verspottet wurde. Kohl habe, erzählt Biedenkopf, Wert auf die Feststellung gelegt, dass es keine Perücke sei.
So passiert diesem Film über weite Strecken genau das, was die Macher wohl eigentlich vermeiden wollten: Er stellt Hannelore Kohl in den übergroßen Schatten ihres Mannes. Auch die beiden Söhne, die für den Film ausgiebig interviewt wurden, erzählen von ihrem Vater und sich selbst mindestens genauso viel wie von ihrer Mutter. "Die Kohls und der Kalte Krieg" wäre vielleicht der treffendere Titel für diese Dokumentation.
Dennoch bietet der Film genug Stoff zum Nachdenken über die schillernde Persönlichkeit Hannelore Kohls, die eine intelligente, starke Frau gewesen sein muss und sich dennoch nach außen hin scheinbar stets bereitwillig auf die Rolle als Hausfrau und Mutter beschränkt hat, die ihren Mann bei seiner Karriere unterstützt. "Alles, alles", habe sie zu Hause erledigt, erzählt Peter Kohl, sogar das Auto in die Werkstatt gebracht.
Spätestens seit ihrem Selbstmord in der Familienwohnung in Oggersheim und den Berichten über ihre Lichtallergie, die sie in den letzten Jahren gequält hat, kann jeder wissen, dass die Wolfgangsee-Idylle ein Märchen war. Der Film erzählt so gesehen nichts Neues, aber er bringt es anschaulich ins Bewusstsein.
"Hannelore Kohl - die erste Frau", Freitag, 18.30 Uhr, ARD