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Die Genossenschaft als Erfolgsmodell

Reinsdorfer Landwirte setzen auf das alte Prinzip. EU-Normen und Bürokratie hindern mehr als sie helfen.

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Von Dagmar Doms-Berger

Das leuchtende Gelb der Rapsfelder ist verschwunden und fügt sich in das zartgrüne Gesamtbild der Landschaft ein. Bis Ende Juli werden aus den Blüten die Ölschoten wachsen und erntereif sein. Bis dahin kann sich der derzeit schlechte Rapspreis wegen des großen weltweiten Angebotes an Ölsaaten noch verbessern. Auf den 1230 Hektar Acker der Reinsdorfer Agrargenossenschaft in Reinsdorf, Aschershain, Richzenhain und Hartha ragen neben Raps und Zuckerrüben vor allem Winter-Triticale, Winterweizen sowie Wintergerste in

die Höhe. In den beiden Ställen in Reinsdorf stehen rund 530 Milchkühe und ihre Nachzucht von rund 400 Tieren. Beim Blick über die Felder resümiert Vorstandschef Ekkehard Thiele: „Wir haben den Sprung in die Marktwirtschaft geschafft und sind ein leistungs- und zukunftsfähiges Unternehmen.“ Der 54-Jährige ist seit acht Jahren geschäftsführender Vorstand und leitet gleichzeitig die Pflanzenproduktion. Er ist mit Leib und Seele Landwirt, hat vor der Wende in der Pflanzenproduktion Hartha gearbeitet, wechselte nach der Wende in eine GbR. Für Thiele ist bewiesen, dass die Genossenschaft ein Erfolgsmodell ist. Sie habe als Großbetrieb den Beweis für Wirtschaftlichkeit angetreten.

Einbrüche in Produktion

Das trifft auf die Anpassung an die EU-Agrarpolitik mit Milchquoten, Flächenstilllegungen und sinkenden Erzeugerpreisen zu, ebenso auf die zusätzlichen Belastungen, die aus Einbrüchen in der Produktion, Altschuldenbelastung und Vermögensauseinandersetzungen entstanden, und auf die komplizierten sozialen Probleme, die aus den Zwängen zum abrupten Abbau von Arbeitskräften erwuchsen.

Von 1990 etwa 50 Mitarbeitern gibt es heute noch 30, hinzu kommen zwei bis drei Auszubildende. Im großen Maßstab liest sich das so: Im Wendejahr arbeiteten noch rund zehn Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft (Statistisches Jahrbuch der DDR, 1990), heute sind es noch knapp zwei Prozent.

Mit reichlich 1200 Hektar Ackerfläche, davon rund 180 Hektar Grünland, hat die Reinsdorfer Agrargenossenschaft die Durchschnittsgröße von landwirtschaftlichen Genossenschaften. Basis bildete die LPG Tierproduktion Rosa-Luxemburg Reinsdorf. Als reiner Tierproduktionsbetrieb hätte die Genossenschaft jedoch keine Überlebenschance. Flächen wurden daher aus der LPG Pflanzenproduktion Clement Gottwald Hartha neu gepachtet. Diese verfügte über eine Fläche von 4500 Hektar. Das Land ist heute in den Genossenschaften Gersdorf, Leisnig und Reinsdorf sowie in Händen von GbR und privaten Landwirten. Der Anteil von Pachtland in der Reinsdorfer Agrargenossenschaft beträgt 80 Prozent und liegt damit im Durchschnitt genossenschaftlich geführter Unternehmen.

Für die Umwandlung der Landwirtschaft hat es damals keine Vorbilder gegeben. Die Vermögensauseinandersetzung war das größte Konfliktfeld. Das 1990 von der DDR-Volkskammer beschlossene Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LAG), das die Umstrukturierung der LPG rechtlich sichern und die Vermögensauseinandersetzung zwischen den LPG-Mitgliedern und der LPG und seinen Nachfolgeunternehmen regeln sollte, führte nach der Novellierung durch den Bundestag zu einem Kapitalabfluss aus den Nachfolgeeinrichtungen der LPG. Dies hatte zur Folge, dass wenig Kapital in den Gemeinschaftsunternehmen vorhanden war und Investitionen behinderte. Zunächst musste der Wert der Inventarbeiträge ausgezahlt werden, die in Form von Sach- oder Geldleistungen eingebracht worden sind sowie der Wert des Feldinventars abzüglich aller Rückzahlungen. „Bei uns hat jeder sein Geld bekommen“, sagt Thiele. Fast zehn Jahre habe die Vermögensauseinandersetzung gedauert. Mit 43 Mitgliedern startete die Genossenschaft in die Marktwirtschaft, heute sind es 21.

Die Verpflichtung zur Übernahme der Altschulden der LPG durch die Agrargenossenschaften hatte viele Jahre negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Betriebe. „Für uns kam aber von vornherein nur die Genossenschaft als Unternehmensform infrage“, sagt Thiele. Denn trotz negativer Erfahrungen hatten die Bauern die positiven Seiten einer genossenschaftlichen Produktionsweise erfahren und verinnerlicht. Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung – das traditionelle Motto der Genossenschaften. Die Genossenschaftsmitglieder haben über den Aufsichtsrat das Mitbestimmungsrecht.

Im Unterschied zu anderen Bereichen, wo im Transformationsprozess ein Elitenwechsel durchgesetzt wurde, fand dies in der Landwirtschaft nur begrenzt statt. Die neuen Chefs waren überwiegend vertraute Fachleute, die sich bereits in der LPG als Leiter bewährt hatten. Mit Lothar Hertzsch als ersten Vorstandsvorsitzenden war dies der Fall. Ab der Wende bis 2007 hat er das Unternehmen geleitet und die Genossenschaft maßgeblich geprägt. Wichtigstes Produktionsmittel bleibt der Boden, und der bietet den Reinsdorfern mit 55 bis 65 Bodenwertpunkten eine mittlere Qualität. Sorgen bereitet der Genossenschaft die zunehmende Bürokratie. Problematisch seien auch politische Vorgaben. War es vor 15 Jahren die mit der Agenda 2000 festgeschriebene Absenkung der Erzeugerpreise, die die Landwirte ausgleichen mussten, ist es heute die Grünlandverordnung der EU. Danach müssen landwirtschaftliche Betriebe ab diesem Jahr zunächst fünf Prozent ihrer Ackerflächen als ökologische Vorrangflächen bereitstellen. Die Fruchtartenvielfalt ist ebenso eine Forderung aus dem Greening-Katalog. „Die Böden sind unser Kapital. Mit den Böden müssen wir Geld verdienen“, sagt Thiele. Diese Entscheidung sei schwer nachvollziehbar. Die deutlich gestiegenen Pachtpreise für Ackerland belasten ebenso das Budget der Genossenschaft. Der Boden sei die Basis für die wirtschaftliche Stabilität. Landkäufe seien in zurückliegenden Jahren möglich gewesen und werden künftig möglich sein. Pachtverträge konnten immer langfristig weitergeführt werden.

Biogas als weitere Einnahmequelle

Um fehlende Unternehmensgewinne abzufedern, hat die Reinsdorfer Agrargenossenschaft 2010 eine Biogasanlage als drittes Standbein gebaut. Die Anlage produziert aus Biomasse des eigenen Betriebes Strom und Wärme. Die Reinsdorfer Anlage hat eine Produktionskapazität von 550 Kilowatt. Für eine Genossenschaft wie die Reinsdorfer Agrargenossenschaft hängt die Zukunft maßgeblich von zwei Kriterien ab: von den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen für ihre wirtschaftliche Überlebensfähigkeit und von den Mitarbeitern. Von ihnen hängt es laut Thiele ab, ob und wie in der Agrargenossenschaft die „Genossenschaftsidee“ gelebt wird.