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Die miesen Tricks der Reinigungsbranche

Eine Bautzener Putzfrau fühlt sich bedrängt: Sie soll einen schlechteren Vertrag unterschreiben. Offenbar kein Einzelfall.

Von Tilo Berger
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Putzen im Akkord und doch verdienen Gebäudereiniger oft wenig. Jetzt gehen die Tarifverhandlungen für die Mitarbeiter der Branche weiter.
Putzen im Akkord und doch verdienen Gebäudereiniger oft wenig. Jetzt gehen die Tarifverhandlungen für die Mitarbeiter der Branche weiter. © Kristin Richter

Bautzen. Jeden Montag bis Freitag setzt sich Frau P. früh vier Uhr hinters Lenkrad und fährt nach Dresden. Dort reinigt sie Büros. Von da aus geht es weiter in die Sächsische Schweiz, wo Arztpraxen auf den Schrubber warten. Dann heißt die nächste Station Bautzen, wo Frau P. Treppenaufgänge säubert. 

Zum Abschluss des Arbeitstages schwingt sie noch den Besen in einer Stadt weiter östlich. Wenn sie dann irgendwann nachmittags wieder zu Hause in Bautzen ankommt, braucht sie nichts mehr. Das Saubermachen zu Hause übernimmt ihr Ehemann. Frau P. kann keine Wischeimer, Besen und Toilettenbürsten mehr sehen.

1.600 Euro brutto im Monat

Und doch macht sie ihren Job gern. „Ich sehe immer, was fertig wird“, sagt Frau P., deren wahrer Familienname mit einem anderen Buchstaben beginnt. Aber sie möchte unerkannt bleiben, um ihre Arbeit nicht aufs Spiel zu setzen. Eine Arbeit, die ihr monatlich etwa 1 600 Euro brutto einbringt. 10,05 Euro bekommt sie für eine Stunde Putzen – 50 Cent mehr als vor einem Jahr, 50 Cent weniger als 2020.

Frau P. ist in einem Alter, in dem sie sich keine Chancen mehr auf eine andere Arbeit ausrechnet. Also hält sie fest, was sie hat. Gelernt hatte sie etwas ganz Anderes. Aber die Treuhand wickelte ihre einstige Arbeitsstelle Anfang der 90er-Jahre ab. Auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme folgten mehrere Umschulungen und immer mal ein Aushilfsjob, aber nie etwas Festes. Bis sie vor einiger Zeit die Stellenanzeige einer Gebäudereinigungsfirma las.

Geänderten Arbeitsvertrag nicht unterschrieben

Ihren Chef und die anderen Angestellten der Firma sieht sie praktisch nie. Fast alle arbeiten einzeln. Zu jedem Monatsende schickt Frau P. ihren Stundenzettel an die Firma, ein paar Tage später findet sie die Gehaltsabrechnung im Briefkasten – das war’s. Umso mehr wunderte sie sich, als vor Kurzem der Geschäftsführer persönlich bei ihr anrief. Er müsse etwas Wichtiges mit ihr besprechen. Dann saßen sie sich unter vier Augen gegenüber, im Beratungsraum einer der Firmen, die ohne Frau P. schmutzig blieben. 

Der Chef lobte erst einmal ihre Arbeit, dann kam er zum Thema. Der harte Konkurrenzkampf der Reinigungsfirmen zwinge zum Sparen. Es ginge um jeden Auftrag und um die Existenz des Betriebes, das verstehe sie doch. Und deshalb könne sie jetzt nicht mehr so viel Urlaub bekommen wie bisher, sondern solle auf zwei Tage im Jahr verzichten. Alle anderen Mitarbeiter, erzählte der Chef, hätten den veränderten Arbeitsvertrag schon unterschrieben. Und er zeigte auf die Stelle, wo Frau P. ihren Namenszug setzen sollte.

Was sie aber nicht tat. Stattdessen wandte sie sich an die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU), für die sie seit vielen Jahren Beitrag zahlt. Für die Gewerkschaft ist Frau P. eines von derzeit vielen Beispielen. „In der Branche geht es gerade hoch her“, sagt Peter Schubert von der IG BAU Ostsachsen. „Viele Reinigungskräfte werden regelrecht dazu gedrängt, geänderte Arbeitsverträge zu unterschreiben.“ Seit der Kündigung des Rahmentarifvertrages für das Gebäudereiniger-Handwerk durch die Arbeitgeber zum 31. Juli scheuten viele Unternehmen nicht davor zurück, ihren Beschäftigten die Arbeitsbedingungen neu zu diktieren.

Arbeitgeber machen Gewerkschaft verantwortlich

Natürlich gebe es in der Branche nicht nur „schwarze Schafe“, aber von Tag zu Tag mehr, behauptet die IG BAU. Sie hat eine bundesweite Online-Umfrage gestartet, zu der auch alle 1 470 Gebäude- und Glasreiniger im Landkreis Bautzen aufgerufen sind. „Ziel ist es, das Ausmaß von Lohndrückerei und Urlaubskürzung zu ermitteln“, erklärt Schubert. Die Gewerkschaft warnt Reinigungskräfte davor, sich auf Änderungen im Arbeitsvertrag einzulassen. „Denn wer im Juli schon in der Branche gearbeitet hat, für den gelten die alten Bedingungen genau so auch weiter.“ Bei der nächsten Tarifverhandlungsrunde am 30. September wolle die Gewerkschaft deutlich machen, dass Sauberkeit ihren Preis habe.

Die Arbeitgeberseite weist die Vorwürfe zurück. Sie seien „in der beschriebenen Form inhaltlich haltlos“, erklärt Hans-Joachim Fust, Geschäftsführer der Gebäudereinigerinnung Chemnitz/Dresden. Die Arbeitgeber hätten in den Verhandlungen über einen neuen Rahmentarifvertrag zuletzt mehr Urlaubstage, einen höheren Gesellenlohn, Mehrarbeitszuschläge für alle Beschäftigten sowie einen eigenen Zuschlag für die Industriereinigung angeboten. „Die IG BAU hat dieses faire Angebot abgelehnt“, erklärt Fust. Deshalb trage die Gewerkschaft „eine Mitverantwortung dafür, dass es in der Branche nun einige Regelungen gibt, die von Betrieb zu Betrieb variieren können“.

Online-Umfrage der IG BAU: www.sauberkeit-braucht-zeit.de/umfrage