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Die Oberbürgermeisterin

Martha Fuchs war die erste Frau an der Stadtspitze von Braunschweig. Geboren wurde sie in Grubschütz.

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© Stadt Braunschweig

Von Miriam Schönbach

Es regnet in Strömen. Doch Martha Fuchs lässt sich diesen Schuss bei der Einweihung des Sportplatzes nicht entgehen. Ein Fotograf drückt auf den Auslöser, bevor er sich in Sicherheit bringt. Das Bild entsteht um 1960. Ein Jahr vorher wählen die Braunschweiger die Frau im dunklen Kostüm an die Spitze ihrer Stadt. Den Urnengang kommentiert sie sächselnd: „Nu wer‘ ich es den Männern mal beweisen, dass wir’s ooch können!“ Sie kann es mit einem Lächeln sagen, denn Bewährungsproben hat die Gastwirtstochter zu diesem Zeitpunkt schon viele erlebt.

Anstoß mit Rock und Hackenschuhen. Zur Einweihung des Sportplatzes in Querum tritt die Oberbürgermeisterin 1960 selbst gegen das runde Leder.
Anstoß mit Rock und Hackenschuhen. Zur Einweihung des Sportplatzes in Querum tritt die Oberbürgermeisterin 1960 selbst gegen das runde Leder. © Stadt Braunschweig
Ein Wahlaufruf für die SPD in der Braunschweiger Zeitung 1961.
Ein Wahlaufruf für die SPD in der Braunschweiger Zeitung 1961. © Stadt Braunschweig

Gestorben ist Martha Fuchs vor 50 Jahren in ihrer Wahlheimat, ihre Wiege jedoch steht in dem kleinen Dorf Grubschütz in der Nähe von Bautzen. Ihr Vater Johann Carl Büttner kommt aus Baschütz. Dort hütet er als Knecht Schafe und Kühe. Nach der Hochzeit mit Johanne Marie zieht er nach Grubschütz. Töchterchen Martha vervollständigt dort am 1. Oktober 1892 ihr Glück. Die Eltern eröffnen im romantischen Spreetal eine Gastwirtschaft.

Doch schon bald zieht es die kleine Familie in die Stadt. Ende der 1890er-Jahre kauft der Vater das Eckhaus in der Straße An der Petrigasse 1. In einem Beitrag für das Oberlausitzer Hausbuch 1996 beschreibt die Autorin Bärbel Felber das Familienoberhaupt als „herrischen Menschen“, der seine Bautzener Gaststube vor allem Arbeitern öffnet. Es sind unruhige Zeiten. Gerade fassen im politischen Leben der Stadt die Sozialdemokraten Fuß. Die Gewerkschaften rufen zu Streiks auf.

Ein Schicksalsschlag

In dieser aufgeheizten Atmosphäre wächst Martha auf. Ihr Vater wird selbst Gewerkschafter und Mitglied des Sozialdemokratischen Vereins für den Sächsischen Reichstagswahlkampf. Das Geld ist knapp, denn die gute Gesellschaft von Bautzen trinkt ihr Bier lieber in anderen Kneipen als in „Büttners Restaurant“. Dazu kommt ein schwerer Schicksalsschlag. Am 24. Juni 1905 stirbt die Mutter. Da ist Martha gerade 13 Jahre alt. Als große Schwester kümmert sie sich um ihre vier jüngeren Geschwister. Zugleich besucht sie die Bürgerschule.

Zwischen Waschzuber, Stopfstrumpf und eigenen Hausaufgaben träumt das Mädchen von einer besseren Welt. Sie möchte studieren. Schon damals ist sie ihrer Zeit voraus. Ihr Vater – so schreibt Bärbel Felber – zetert nur, dass die Mädchen arbeiten sollen. Für ihren Text im Oberlausitzer Hausbuch hat die Autorin mit einer Tochter von Martha Fuchs gesprochen. Sie erzählte, dass ihre Mutter dem strengen Familienvorstand wenigstens die Ausbildung an der Handelsschule abringen konnte.

Alte Bekanntschaft geheiratet

Mit dem Abschluss als Buchhalterin hält die junge Frau nichts mehr in ihrer alten Heimat. Ihren Geschwistern kann sie den Rücken kehren, eine neue Frau hat ihren Platz eingenommen. Martha kommt herum, wird unter anderem in Jena Hotelbuchhalterin. Der Erste Weltkrieg spült sie wieder zurück nach Hause. Hier läuft sie unweit ihres Vaterhauses dem Schlosser Georg Fuchs über den Weg. Die beiden kennen sich schon von Versammlungen aus „Büttners Restaurant“. Allerdings hat sich im Leben des Arbeiters seit dem letzten Treffen vieles verändert. Seine Frau ist gestorben, die drei Kinder sind Halbwaisen.

Vielleicht ist es Liebe, vielleicht erinnern die Kleinen Martha an ihre eigenen Geschwister, die ohne Mutter aufwachsen mussten. Am 1. November 1919 wird Hochzeit gefeiert. Danach packt die neue Familie die Koffer. Ihr Ziel heißt Magdeburg. Georg Fuchs wird Redakteur bei der „Volkszeitung“, im Jahr 1923 übernimmt er in Braunschweig die politische Redaktion der Zeitung „Volksfreund“. Seine Frau kümmert sich um die Kinder aus der ersten Ehe und engagiert sich in vielen Ehrenämtern. Sie arbeitet als Armenwaisenpflegerin. 1925 wird sie für die SPD in den Stadtrat gewählt. Auch in den Landtag zieht sie ein.

Von den Nazis aus dem Amt geworfen

Doch den glücklichen Jahren folgt wieder eine Bewährungsprobe. Mit nur 45 Jahren stirbt Georg Fuchs. Zur Trauer bleibt keine Zeit. Die Kinder müssen ernährt werden. Martha Fuchs nimmt 1930 eine Stelle als Gewerbeaufsichtsbeamtin an. Drei Jahre später werfen die Nationalsozialisten die Sozialdemokratin aus dem Amt. Mit dem Handel von Kochtöpfen und Kochvorführungen bringt sie die Familie durch. Immer wieder holt die Gestapo sie und die inzwischen erwachsenen Kinder zum Verhör. Zwei von ihnen fliehen ins Ausland.

Martha Fuchs, die das Leben immer wieder auf die Probe stellt, bleibt. Sie verlegt ihre politische Arbeit in den Untergrund. Am 22. August 1944 wird sie verhaftet. Sie ist ein Bauernopfer: Nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli wird sie im Konzentrationslager Ravensbrück interniert. Über ihre Zeit dort schreibt sie 1946: „Das Leben war eine ununterbrochene Kette von Qualen. ... Kein Mitleid regte sich bei den Aufseherinnen, wenn bereits vom Tode Gezeichnete umsanken ... Kranke sind überflüssig, nur Arbeitsfähige werden gebraucht. Der dauernde Brandgeruch des Krematoriums ist erschütternde Bestätigung.“ Völlig entkräftet gelingt ihr im April 1945 mit zwei Jüdinnen die Flucht.

Noch einmal neu gestartet

Mit 53 Jahren könnte sich die Sozialdemokratin mit dem Ende des Krieges zur Ruhe setzen. Aber Martha Fuchs startet nach einem mehrwöchigen Lazarettaufenthalt noch einmal neu. Am 7. Mai 1946 wird sie die erste Kultusministerin im Freistaat Braunschweig, später Staatssekretärin für Flüchtlingswesen – und am 27. Mai 1959 folgt die Wahl zur Oberbürgermeisterin. Zwei Jahre später schenken die Braunschweiger der mittlerweile 70-Jährigen nochmals das Vertrauen.

Doch der Aufenthalt im Konzentrationslager fordert seinen Tribut. Aus gesundheitlichen Gründen legt Martha Fuchs am 14. September 1964 ihr Amt nieder. Ihr Ruhestand dauert nur ein gutes Jahr. Am 8. Januar 1966 hört das Herz zu schlagen auf. Am Grab verabschieden sich über 500 Trauernde von der einstigen Gastwirtstochter aus Grubschütz bei Bautzen.