Von Jens-Uwe Sommerschuh
Sieben Jahre lang war in der Dresdner Gemäldegalerie nur ein Teil der Schätze zu sehen. Nach umfassender Sanierung des Semperbaus am Zwinger werden nun neben den weltberühmten Gemälden vor allem aus Renaissance und Barock auch zahlreiche edle Werke der Skulpturensammlung von der Antike bis zur Zeit um 1800 gezeigt. Damit bekommt der Begriff „Alte Meister“ eine noch umfassendere Bedeutung. Wir stellen sieben bedeutende Werke vor:
1. Die schlummernde Venus
Die Hand in den Schoß legen … Giorgio da Castelfranco wurde Giorgione genannt: „der große Georg“. Er war wirklich ein großer Künstler. Diese schlafende Schönheit vollendete er kurz vor seinem frühen Tod 1510 in Venedig. Das Werk war vermutlich ein Auftrag von Girolamo Marcello, der zum venezianischen Patrizieradel zählte und 1507 geheiratet hatte. Es bezieht sich metaphorisch recht direkt auf den „Vollzug der Ehe“.
Ursprünglich hockte rechts am Bildrand, sozusagen „bei Fuß“, ein kleiner Amor, der später übermalt wurde. Nachdem Giorgione an der Pest gestorben war, widmete sich wohl der damals etwa zwanzigjährige Tizian, der mit dem Meister befreundet war, einigen Details wie dem zerwühlten Laken und Teilen der stimmungsvollen Landschaft im Hintergrund: ein einzigartiger Geniestreich der italienischen Renaissancemalerei.
August der Starke holte die „Schlummernde Venus“ schon 1699 nach Dresden. Während er nur wenige Spitzenbilder erwarb, kaufte sein Sohn und Nachfolger auf dem Thron Sachsens und Polens dann Hunderte Gemälde, darunter Raffaels „Sixtinische Madonna“, Tizians „Zinsgroschen“, Tintorettos „Kampf des Erzengels Michael mit dem Satan“ und Correggios „Heilige Nacht“.
2. Sixtinische Madonna
Der weltweite Ruhm der Dresdner Gemäldegalerie ist untrennbar mit einem einzigartigen Madonnenbild verknüpft. Raffaello Santi oder Sanzio aus Urbino, den wir als Raffael kennen, malte das Altarbild ab 1512 für die Klosterkirche San Sisto in Piacenza. Deswegen wird sie auch „La Sistina“ oder „Sixtinische Madonna“ genannt. Der Maler war damals Ende zwanzig und stand seit einigen Jahren in den Diensten von Papst Julius II., für den er auch mehrere Räume im Vatikan ausmalte.
Zu sehen ist eine Epiphanie, eine göttliche Erscheinung: Maria schwebt, ihren Sohn im Arm, über den Wolken, die sie mit den bloßen Füßen berührt, ohne einzusinken. Flankiert wird sie vom heiligen Sixtus, einem verkappten Porträt des erwähnten Papstes, und der heiligen Barbara. Am unteren Bildrand lümmeln zwei Engel und lassen es sich wohl sein.
Die Madonna vereint in ihrem Antlitz jene ebenmäßige Schönheit, die schon die Griechen als klassisches Ideal verewigt hatten, mit irdischer Verletzlichkeit und unbändiger Seelenstärke. Jesus erscheint als Kleinkind, in dessen frühreifem Blick bereits eine Vorahnung seines Schicksals aufscheint.
Bei dieser Erwerbung ging Sachsens Kurfürst, als König Polens August III., an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Er musste 25 000 römische Scudi berappen und außerdem die Kosten für eine Kopie tragen, die von da an den Altar der Sixtus-Kirche in Piacenza schmückte.
3. Mars
Giambologna oder Giovanni da Bologna, wie er auch genannt wurde, stammte aus dem Teil Flanderns, der heute zu Nordfrankreich gehört. Er studierte in Antwerpen und in Rom, wo er mit etwa zwanzig Michelangelo begegnete, der ihn stark beeinflusste. 1553 ließ er sich in Florenz nieder und avancierte bald zum Hofbildhauer von Francesco de’ Medici, dem Großherzog der Toscana.
Er schuf monumentale Skulpturen wie den „Raub der Sabinerinnen“, aber auch Kleinbronzen wie den Dresdner „Mars“. Die knapp 40 Zentimeter hohe Figur war den Quellen zufolge ein Geschenk des Bildhauers 1587 an Kurfürst Christian zu dessen Krönung, gewissermaßen eine Zugabe, denn Großherzog Francesco hatte drei ähnliche Werke Giambolognas, die heute im Grünen Gewölbe zu sehen sind, als Präsent an den sächsischen Amtskollegen geschickt.
Aus Dresden verschwand die Mars-Statuette bei der „Fürstenabfindung“ 1924. Die Wettiner verkauften sie damals, später gelangte sie in die Kunstsammlung der Bayer AG, die sie 2018 versteigern wollte. In einer konzertierten Aktion konnte der „Mars“ für Dresden zurückerworben werden, wo er nun, nachdem er in Freiberg, Torgau und Chemnitz gezeigt wurde, erstmals seit fast hundert Jahren wieder öffentlich zu sehen ist.
4. Schokoladenmädchen
Servierkultur um 1744: Zur Trinkschokolade, heiß oder kalt, wurde ein Glas klaren Wassers gereicht. Das sich im Getränk spiegelnde Fenster, die Spitze am Häubchen des „Schokoladenmädchens“ oder die Knitterfalten der Schürze –Jean-Etienne Liotard aus Genf, Sohn eines aus Frankreich in die Schweiz geflüchteten Hugenottenehepaares, hat mit diesem zarten Pastell auf Pergament ein delikates Meisterwerk geschaffen. Das Bild entstand, als der Künstler sich in Wien aufhielt.
Francesco Graf Algarotti, umtriebiger Agent für den kunstsinnigen Sohn Augusts des Starken, entdeckte das Kleinod in Venedig und kaufte es für seinen Dresdner Auftraggeber: „Die Malerei ist fast ohne Schatten“, schwärmte der Graf in einem Brief. „Was die Vollendung des Werkes angeht, so ist es ein Holbein in Pastell.“ Man sei sich damals in Venedig einig gewesen, das „Schokoladenmädchen“ sei „das schönste Pastell, das man je gesehen hat“.
5. Ganymed
Mythen lassen Spielräume, und Künstler lieben die Freiheit, die ihnen so eine antike Geschichte lässt. Der Knabe Ganymed, ein Hirtenkind, wusste nicht aus noch ein, als ihn ein Adler schnappte und sich mit ihm in die Lüfte schwang. Der Kleine konnte nicht ahnen, dass Zeus persönlich, der oberste aller Götter, sich in den Raubvogel verwandelt hatte, um ihn auf den Olymp zu entführen, wo er als Mundschenk dienen sollte, bei freier Kost und ewigem Leben. Viele Maler haben dieses Sujet aufgegriffen, bei den meisten ist der entführte Ganymed ein Jüngling.
Der Holländer Rembrandt Harmenszoon van Rijn, bekannt für seine dramatischen Lichteffekte, malte 1635 den künftigen Götterkellner als Kind in Panik, das sich vor Schreck auf den Fuß pinkelt. Das macht die Szene so lebendig und beweist zugleich, dass Rembrandt kein Kind von Traurigkeit war und Sinn für Humor hatte. Das Bild kam 1751 in die Galerie und amüsiert seither das kundige Publikum. Denn ob König oder Köchin, Fürst oder Förster – vom Wasserlassen haben alle Ahnung. Damals freilich war das ein kühner Tabubruch.
6. Canalettoblick
Markennamen wurden nicht erst seit Levi’s und Gucci „nachgenutzt“. Ein „echter Canaletto“ war im 18. Jahrhundert eigentlich das Werk des bedeutenden Venezianers Giovanni Antonio Canal, der als „Canaletto“ signierte und von Licht durchflutete, aus heutiger Sicht fast impressionistisch anmutende Ansichten vor allem der „Serenissima“ schuf, der strahlenden Lagunenstadt.
Sein cleverer Neffe Bernardo Bellotto, Sohn von Canals Schwester Fiorenza Domenica, mopste sich später den Erfolgsnamen. Auch er malte Stadtansichten, allerdings war sein Stil glatter, strenger, dunkler und, wie wir heute sagen würden, fotografischer.
Als Hofmaler von August III. schuf Bellotto, ausgestattet mit einem fürstlichen Gehalt, viele detaillierte Dresden-Veduten. Unter ihnen ist diese hier von 1748 die mit Abstand bekannteste. Es war seine zweite von zahlreichen Arbeiten in der sächsischen Residenzstadt. Der Turm der katholischen Hofkirche existierte damals noch gar nicht, so dass der Künstler sie aus den Bauzeichnungen von Architekt Chiaveri übernahm. Im Volksmund ist diese Ansicht bis heute „der Canalettoblick“: Nie war ein Etikettentrick erfolgreicher. Seriöse Kunsthistoriker sagen zwar Bellotto. Aber den meisten Sachsen ist das wurscht: „Bellottoblick“ setzt sich einfach nicht durch.
7. Bei der Kupplerin
Der Holländer Jan Vermeer, gelegentlich auch Johannes Vermeer oder Joannis ver Meer genannt, führte in Delft einen Gasthof und malte hintergründige, berührende Bilder wie „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ oder „Die Briefleserin am offenen Fenster“. Letzteres kam 1742 nach Dresden und wird derzeit restauriert, wobei es eine atemberaubende Entdeckung gab. Ein Cupido, ein Engel, der dem Mädchen gewissermaßen über die Schulter blickte, war später übermalt worden.
Zur etwa gleichen Zeit, um 1656 mit Mitte zwanzig, malte Vermeer „Bei der Kupplerin“, ein Werk in der Tradition Caravaggios. Es kam später aus der Sammlung Wallenstein im böhmischen Dux nach Dresden. Dieses Bild erstrahlt seit seiner Restaurierung wieder in prächtiger Farbigkeit: Die dunkel gekleidete ältere Frau im Hintergrund hat, wie es scheint, dem Herrn in Rot ein Liebchen vermittelt.
Die Gespielin in Gelb hat in der Linken ein Weinglas und hält die Rechte auf fürs Lustgeld. Des Freiers Hand auf ihrer Brust ist ein Vorgriff auf den Fortgang der Ereignisse. Der Herr zur Linken mit den geschlitzten Ärmeln könnte der Maler selbst sein. Ein Bild voller Anspielungen. Es ist halt nicht leicht, immer hübsch auf dem Teppich zu bleiben.
- Eröffnet wird die Gemäldegalerie Alte Meister am Freitagabend mit einer "Nacht der Alten Meister". 20.30 Uhr wird das Konzert "How to hear a painting" von Christian Friedel und Woods of Birnam in den Zwingerhof übertragen.
- Freien Eintritt in die Gemäldegalerie gibt es am Freitag (28.2.) von 22 bis 2 Uhr und am Sonnabend und Sonntag von 10 bis 18 Uhr
- Das komplette Programm des Eröffnungswochenendes