Corona-Party auf dem Lingnermarkt?

Dresden. Die gute Nachricht zuerst. Die Versorgung mit Toilettenpapier ist auch auf dem bekanntesten Dresdner Wochenmarkt gesichert. Gemüsehändler Steffen Drechsler hat eine ganze Palette mit zur Lingnerallee gebracht und verkauft das knappe Gut nun für 3,90 Euro pro Paket. Fast alle Händler sprechen am Freitagvormittag von dem geschäftstüchtigen Gärtner aus Gohlis. Der sagt, er habe die Palette bei einem Einkauf im Großhandel zufällig erstanden. "Es war die letzte Palette." Nun schwatzt Drechsler und erklärt seinen Kunden, wie es zu dem Deal kam. Schon am vergangenen Wochenende am Weißen Hirsch sei ihm der Mangel aufgefallen, daher habe er schnell zugegriffen, als er die Gelegenheit hatte.
Der Mann hatte ganz offensichtlich den richtigen Riecher. Am Donnerstagabend etwa waren sämtliche Klo- und Küchenrollen in städtischen Supermärkten und Drogerien aus. Obwohl mancherorts die Abgabe auf ein Paket rationiert worden war, seien manche Kunden täglich gekommen, um ein weiteres zu kaufen. Forensische Sachverständige würden das als Suchtverhalten bezeichnen. In verschiedenen Märkten sollen sich Kunden um das wertvolle Papier lautstark gestritten haben. Auch Berichte von angeblichen körperlichen Auseinandersetzungen in der Stadt machen die Runde.
Was machen die alle mit dem vielen Papier? Diese Frage hat auch den einen oder anderen Händler am Wochenmarkt beschäftigt. Eine Erklärung für die ungewöhnliche Nachfrage aber sucht man auch dort vergebens. "Beim Norovirus hätte ich das ja verstanden", sagt eine Gemüsehändlerin.
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An diesem ersten corona-beschwerten Handelstag ist das Kaufverhalten der Kunden nicht klar einzuschätzen. Manche Händler sind überzeugt, dass aufgrund der Infektionsgefahr sicher weniger Dresdner gekommen sind. Andere schieben die "etwas geringere" Resonanz auf das Wetter. Gegen 10 Uhr regnet es. Es ist die beste Zeit, sonst stehen die Kunden in langen Schlangen vor den Ständen. Textilien und Socken etwa werden kaum nachgefragt, Obst wenig. Gut geht, was sich kochen lässt, sagt eine Frau. "Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch, Sellerie, Gurken, Tomaten." Die Leute sind zu Hause, hätten mehr Zeit.
Es fällt jedoch auf, dass viele Kunden eine deutlich größere Distanz voneinander halten. Mancher Beschicker wie etwa "Das Marktfahrrad" hat sogar selbst beschriebene Schilder aufgestellt, um seine Kunden daran zu erinnern: "Bei Auswahl, Anstehen und Bezahlen - Abstand halten!" heißt es da etwa. Auch die Stadtverwaltung hat Schilder aufgestellt mit aktuellen Tipps: "Virusinfektionen - Hygiene schützt!" Niesen in die Armbeuge, Hände aus dem Gesicht fernhalten, Abstand, auf Berührungen verzichten, Hände waschen!
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Aber natürlich, auch in der Lingnerallee gibt es ignorante Besucher, die auf gute Ratschläge und eindringlichen Appellen, wie etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel, pfeifen. Sie verhalten sich, als ginge sie alles nichts an. Einige drängeln sich zwischen die Wartenden, um im Gemüse herumzugrapschen, und verschleudern ungebremst ihre Viren in den Wartegemeinschaften. Sie machen den Wochenmarkt zu ihrer Corona-Party.
Dabei ist das Risiko sichtbar. Manche Händler tragen einen Mundschutz, um sich nicht zu infizieren. "Mein Mann ist lungenkrank", sagt eine Gemüsehändlerin und weist darauf hin, dass er zur Risikogruppe gehöre, bei denen eine Infektion sicher schlimme Folgen haben kann. "Mir ist es egal, was die Leute sagen. Ich darf mich aber nicht anstecken", sagt die Frau ernst. Menschen wie diese Händlerin führen jedem vor Augen, dass das unsichtbare Virus tatsächlich eine Gefahr ist. Aller Ignoranz zum Trotz.