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Dresdner Autor legt Roman-Debüt vor

In der Sächsischen Schweiz spielt Thilo Krauses erster Roman: eine bittere Geschichte über alte Schuld und neue Nazis.

Von Karin Großmann
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Thilo Krause stammt aus Dresden, lebt in Zürich.
Thilo Krause stammt aus Dresden, lebt in Zürich. © Peter Andreas Hassiepen

Ein Zauberer, der seine Welt nicht im Griff hat. So sieht sich der Icherzähler im Roman „Elbwärts“. Das Buch könnte genauso gut „Abwärts“ heißen. Denn es geht hinab mit den Figuren und mit der Gegend, wo die Jahre zerkrümeln und die Dachziegel in den Gärten zerschellen. In diese Landschaft des Elbsandsteins kehrt der Erzähler nach längerer Zeit zurück mit Frau und Töchterchen. Sofort stürzt die Erinnerung an die Kindheit auf ihn ein. Die alten Ängste, das Schuldgefühl, die Scham, alles ist wieder da. Dabei wollte er doch vergessen, „dass ich der bin, der seinem besten Freund das Bein geklaut hat“.

Auch für den Autor Thilo Krause bedeutet das Buch eine Rückkehr. Er lernte das literarische Schreiben in einem Kurs bei Pirna. Der 43-Jährige stammt aus Dresden und hat hier Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Er promovierte in Zürich, wo er inzwischen mit seiner Familie lebt, und arbeitete 15 Jahre lang in der Spitzenforschung. Das sei kein Widerspruch zur Poesie, sagt er. „Immer ordnen wir die Welt im Geist. Immer machen wir uns einen Reim auf sie.“ Für seine Gedichte erhielt er unter anderem den Schweizer Literaturpreis. 

Auch sein erster Roman lebt von starken poetischen Bildern. Die Intensität der Sprache nimmt einen gefangen von der ersten Seite an. So straff gebaute Sätze finden sich selten. Selbst die viel beschriebene Jahrhundertflut von 2002 zeigt der Autor in ungewöhnlichen Szenen. Sein Text liest sich wie die Komposition auf ein Thema, das in immer neuen Variationen umkreist wird: die große Verunsicherung. Damit trifft Krause einen Nerv seiner Generation. Noch bevor das Buch an diesem Montag erscheint, wurde es mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet.

Die Tüten im Konsumregal stehen auf Lücke, damit die Leere nicht auffällt. Die Rückblenden zeigen zwei Halbwüchsige in der Endzeit der DDR. Viel wichtiger ist den Jungen die Felsenwelt der Sächsischen Schweiz. Geradezu rauschhaft beschreibt Thilo Krause, wie sie die Klüfte, Spalten, Gipfel und den Himmel darüber erobern. Klettern haben sie nicht gelernt. Das ist was für Städter. Mutters Wäscheleine soll helfen. Doch Vito, der beste Freund des Icherzählers, stürzt ab. 

Trügerisches Idyll: In Thilo Krauses Debütroman „Elbwärts“ geht es inmitten der traumhaften Landschaft der Sächsischen Schweiz eher wie in einem Albtraum zu. Immerhin gibt es aber auch ein paar Lichtpunkte.
Trügerisches Idyll: In Thilo Krauses Debütroman „Elbwärts“ geht es inmitten der traumhaften Landschaft der Sächsischen Schweiz eher wie in einem Albtraum zu. Immerhin gibt es aber auch ein paar Lichtpunkte. © Steffen Unger

Wochen später sitzen sie in der Sonne: „Drei Beine und ein halbes.“ Ob die Amputation ein Arztfehler ist, bleibt offen. Die Jungen verteidigen ihre Freundschaft gegen alle Vorwürfe. Einer schiebt den anderen mit einem Handkarren ins Gebirge. Sie hausen in einer Höhle und wollen davonrauschen in die Freiheit. Die Ausbruchsversuche wiederholen sich und auch die Beschwörungen von Wald, Wind und Wolke. Über all dem Flirren und Schweben der Natur geht die Spannung ein wenig verloren.

Die Erinnerungen sind eingebaut in eine Handlung, die eher eine Handlungsvermeidung ist. Wenn der Icherzähler stundenlang auf einem Felsenriff sitzt und in die Baumkronen schaut, wenn er mit seinem tschechischen Freund im Bus auf die Festung fährt, wenn er mit seiner Tochter Beeren sammelt, dann tut er das, um das Wichtigste hinauszuzögern. Es dauert Wochen, bis er den einstigen Freund aufsucht. „Immer willst du es dir schwermachen“, sagt Vito. Der Autor inszeniert die Wiederbegegnung als psychologisches Kabinettstück zwischen Misstrauen und Verachtung, Rührung und Freude.

Auf Vitos Tisch liegen Landserhefte. Doch er gehört wohl nicht zu den Glatzen, die mit ihrem Bier am Markt von Königstein sitzen, im Roman nur benannt als die Stadt-die-keine-ist. Im Wald treffen sich die Neonazis zum Sommercamp. Hakenkreuze, Panzer und SS-Zeichen sind in den Sandstein geritzt. Höhlenmalerei von heute. „Mir ist, als hätten die Nazis sich direkt in den Vorgarten meiner Kindheit erleichtert“, so der Icherzähler. Krause porträtiert ihn als eine in sich verkapselte, zerrissene, zögerliche Figur. Dieser Mann trägt das traumatische Erlebnis des Unfalls und die Folgen immer noch mit sich herum. Wie er öffentlich beim Fahnenappell gerügt wurde. Wie er schließlich Schule und Ort verlassen musste. Wie er sich überall fremd fühlte und fühlt. „Ich halte mich selbst schlecht aus.“ Seine Frau hat diesen Zustand allmählich satt.

Es kommt zur Konfrontation, als die Elbeflut alles mitreißt. Manche Einwohner geben den Tschechen die Schuld, sie hätten die Staudämme geöffnet. Eine militante Gruppe bedroht das Haus des Icherzählers, der seinen tschechischen Freund aufgenommen hat. Steine fliegen. „Macht euch weg, sonst gibt’s aufs Maul.“ Sie fliehen zusammen über die Felder: der Tscheche, der Zugezogene und der Einbeinige. Gemeinsam säubern sie das Nazicamp und den Sandstein. Am Ende werden sie weggehen aus der Gegend. Denn auch da, wo das Hochwasser nicht war, ist alles zerstört. Das ist der Schlusssatz eines Romans, der das Poetische und das Politische brillant verbindet. Und der bei aller Bitterkeit einige Lichtpunkte setzt.