"Wir werden auf dem Platz keinen Abstand halten“

Dresden. Die Entscheidung treffe die Politik. Unter dieser Prämisse hatte die Deutsche Fußball-Liga vorige Woche ihr Konzept vorgestellt, wie die Saison in den Bundesligen trotz der Corona-Pandemie fortgesetzt werden soll. Ob es wirklich im Mai mit Geisterspielen weitergehen kann, wird am heutigen Donnerstag ein Thema sein beim nächsten telefonischen Krisengipfel von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder, darunter Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer.
Auch Markus Kauczinski erwartet das Ergebnis mit Spannung. Im Interview mit der SZ erläutert der Cheftrainer von Dynamo Dresden, wie er die Lage einschätzt.
Herr Kauczinski, wollen Sie weiterspielen oder wäre es besser, die Saison unter diesen Umständen abzubrechen?
Ich weiß bislang nicht genau, wie die Umstände sein werden. Für mich steht die Gesundheit der Spieler, Trainer und aller Beteiligten an oberster Stelle, es darf niemandem etwas passieren. Wir können drumherum alles organisieren, die Hygieneverordnung der DFL erfüllen: Wie wir uns aus dem Weg gehen, wie man sich die Hände wäscht und desinfiziert. Aber auf dem Platz kommt man sich nun mal in die Quere, berührt man sich, steht eng miteinander, eng gegeneinander. Man will ein Gefühl haben, das guten Gewissens tun zu können.

Was könnte Ihnen dieses Gefühl geben?
Entscheidend wird es sein, wie zuverlässig die Tests sind. Es stehen Menschen auf dem Platz. Die Spieler machen sich Gedanken um ihre Gesundheit, um ihre Liebsten, ihre Familien wie jeder andere auch. Einige sind junge Väter, manche werden es demnächst. So sehr es viele freuen würde, wenn es weitergeht, muss garantiert sein, dass die Spieler nach jedem Training und jedem Spiel sicher nach Hause gehen können. Man geht mit Maske einkaufen, und wir treffen ungeschützt aufeinander. Die Tests müssen hieb- und stichfest sein.
Zweifeln Sie daran?
Man liest mal dies und mal das wie die traurige Geschichte von dem Spieler aus der ersten französischen Liga, der sich wohl beim Einkaufen angesteckt hat (Junior Sambia von HSC Montpellier/Anm. d. Red.). Er wurde erst negativ auf das Coronavirus getestet, dann doch positiv und ins künstliche Koma versetzt. Er ist 23 Jahre alt, es kann also auch junge Menschen treffen. Deshalb macht man sich Gedanken um seine Spieler, selbstverständlich.
Wer müsste die Entscheidung treffen, damit Sie darauf vertrauen?
Für uns sind Bund und Land entscheidend, deren Entscheidungen gilt es zu vertrauen. Sie müssen einschätzen, ob die ergriffenen Maßnahmen wirken, um die Spieler ausreichend zu schützen. Vor dem Spiel kein Handshake, nicht jubeln – Abstand zu halten, ist seit Wochen unser Alltag genau wie der Alltag vieler Menschen. Aber wir werden auf dem Platz keinen Abstand halten, auch im Training nicht. Dementsprechend zuverlässig müssen die Tests sein. Fakt ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass wir uns als Gesellschaft irgendwann mit der Thematik beschäftigen müssen, wie ein Umgang in unserem Alltag mit Corona aussehen kann. Denn das Virus wird Teil unseres Lebens bleiben. Zumindest so lange, bis ein Impfstoff gefunden wurde.
Könnte sich das Spiel verändern, weil zumindest im Hinterkopf die Sorge mitschwingt, sich durch Körperkontakt anstecken zu können?
Das Spiel wird sich sowieso verändern, weil keine Zuschauer da sein werden. Das ist ein emotionaler Punkt. Möglicherweise kann die Nähe eine Rolle spielen. Ich glaube deshalb, dass die Mannschaft, die es am besten wegsteckt, erfolgreich sein kann. Das kann man jedoch nicht vorausahnen.

Sie sagten bereits in einem anderen Interview, es könne kein gerechtes Szenario geben. Ist denn ein fairer Wettbewerb möglich?
Ich kann das, ehrlich gesagt, nicht abschätzen. Egal, wie rum man es dreht, es gibt so viele Unwägbarkeiten. Wenn man spielt und es infiziert sich doch jemand, das hätte Einfluss auf die Mannschaft, auf das Umfeld. Viele Verträge laufen am 30. Juni aus – spielt man darüber hinaus mit einer anderen Mannschaft? Die englischen Wochen – sind sie für den einen kürzer als für den anderen? Mögliche Insolvenzen von Vereinen, beim Karlsruher SC wird darüber diskutiert… Am Ende muss man sich fragen, wie der Wettkampf aussieht. Wenn es um Meisterschaft, Auf- und Abstiege geht, finde ich es wichtig, dass die Voraussetzungen für alle gleich sind. Das wird ein schwieriges Unterfangen.
Wäre es nicht besser, einen sauberen Schlussstrich zu ziehen und neu zu starten, wenn es seriös möglich ist?
Wir wissen nicht, wie lange uns diese Pandemie beschäftigt. Und in einem Abbruch stecken ebenso Entscheidungen: Wer steigt auf, wer steigt ab? Belässt man es beim derzeitigen Stand? Jeder Viert- oder Fünftplatzierte in der zweiten Liga würde sagen: Wir hätten doch noch die Chance gehabt. Auch damit kann man es nicht allen recht machen. Deswegen ist es schwierig, diese Frage eindeutig zu beantworten. Das Beste wäre, wenn man spielen und sicher sein könnte, es besteht keine Gefahr für Spieler und andere. Dann sage ich: Wir spielen mit allen Konsequenzen. Das ist das, wofür wir trainieren.
Also auch mit Geisterspielen?
Damit werden wir uns sowieso anfreunden müssen. Allein bis 31. August gilt das Verbot für Großveranstaltungen, und ich glaube nicht, dass wir danach gleich eine ganz andere Situation haben. Wenn absehbar wäre, dass es im September anders ist, würde ich sofort sagen: Wartet, wir machen dann weiter! Aber die Aussagen der Virologen deute ich anders. Deswegen werden wir Geisterspiele hinnehmen müssen, auch wenn die Fans das nicht wollen. Das verstehe ich, ich möchte das genauso wenig. Aber man muss einen Kompromiss schließen. Ohne Fernsehgelder und ohne Zuschauereinnahmen werden sich viele Vereine nicht halten können, zumal auch die Sponsorengelder nachlassen werden.

Wie lange lässt sich die Ungewissheit aus- und die Spannung hochhalten?
Wir haben die Spannung derzeit nicht so hoch. Dafür bin ich erfahren genug, um zu wissen, wann ich einschreite und die Jungs auf den Punkt bringe. Das geht jetzt nicht. Man kann nur kämpfen, wenn man Wettkampfformen hat, man kann nicht aggressiv auf Abstand sein. Das kommt erst, wenn wir wissen, wann es konkret wieder losgeht und ein Spiel vor Augen haben.
Ist die Arbeit für Sie als Trainer derzeit entspannter, weil der Stress der Spiele wegfällt?
Nein, ich liebe das. Wer dafür nicht lebt, kann diesen Job nicht machen. Ein Spiel, nur, um zu spielen, hat mir nie Spaß gemacht – und macht mir auch jetzt keinen Spaß. Es ist ein stressiger Beruf, das Ganze zu lenken und zu leiten, aber am schönsten ist es, wenn es um etwas geht, es am Ende ein Ergebnis gibt.
Sie haben die auslaufenden Verträge angesprochen. Machen Sie sich Sorgen um Ihre Zukunft?
Ich habe einen Vertrag für die zweite und die dritte Liga. Gedanken mache ich mir um meine Mannschaft, um den Verein Dynamo Dresden, wie es für uns gemeinsam weitergeht. Ich tue alles dafür, dass wir es schaffen, sportlich drin zu bleiben, weiß aber auch, dass das Leben weitergeht, egal, welches Ende diese Saison nimmt. Sorgen mache ich mir deshalb keine. Im Moment stehen andere Dinge im Fokus, vor allem gesund zu bleiben und zu schauen, dass man das gemeinschaftlich mit allen Menschen hinbekommt.
Das Gespräch führte Sven Geisler.