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Ein Mann, ein Bier

Am Sonntag ist Tag des Deutschen Biers. Auf Schloss Weesenstein freut sich einer ganz besonders auf den Feiertag.

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© Norbert Millauer

Von Jörg Stock

Weesenstein. Ein flotter Spruch fällt Ulrich Betsch immer ein. Zum Beispiel dieser: „In Sachsen ist das Leben scheen, drum trink’mer Bier uff Weesensteen.“ Betsch sächselt nur halbherzig. Er kann das einfach nicht, sagt er. Ulrich Betsch stammt aus dem Oberallgäu, dem südwestlichen Winkel Bayerns. Das hört man. Im Grunde sind ihm ja Dialekte und der Begriff Heimat nicht so wichtig. Er ist viel rumgekommen, war heute hier, morgen da. Hauptsache Kontakt kriegen, die Geselligkeit pflegen. Das hat hingehauen, vermutlich, so sagt er, weil immer ein gutes Bier dabei war. „Mit Wasser hätte das nicht funktioniert.“

Der Weg des Bieres

Getreu dem Reinheitsgebot wird das Bier auf Weesenstein nur mit Wasser, Hefe, Gerstenmalz (im Bild) und Hopfen gebraut.
Getreu dem Reinheitsgebot wird das Bier auf Weesenstein nur mit Wasser, Hefe, Gerstenmalz (im Bild) und Hopfen gebraut.
Die Maische lässt Ulrich Betsch einige Minuten im Läuterbottich rasten ...
Die Maische lässt Ulrich Betsch einige Minuten im Läuterbottich rasten ...
... bevor er sie, nun als gereinigte Würze, in die Kochpfanne pumpt.
... bevor er sie, nun als gereinigte Würze, in die Kochpfanne pumpt.
Im Braukeller lässt sich gemütlich das Schlossbier vertilgen.
Im Braukeller lässt sich gemütlich das Schlossbier vertilgen.
"Der Durst muss sich mit der Kunst des Zechens verbinden, mit Ritualen und Trinksprüchen. Trinken ohne Spruch ist wilde Sauferei", sagt Diplom-Braumeister Ulrich Betsch.
"Der Durst muss sich mit der Kunst des Zechens verbinden, mit Ritualen und Trinksprüchen. Trinken ohne Spruch ist wilde Sauferei", sagt Diplom-Braumeister Ulrich Betsch.

Die Schenke ist für Braumeister Ulrich Betsch eine Geselligkeitsmaschine und das Bier der Schmierstoff. Damit der Stoff nicht ausgeht, steht er an diesem Morgen im Braukeller von Schloss Weesenstein und dreht an einem Knöpfchen des rustikal in Holz eingehausten Steuercomputers. Nach anderthalb Stunden ist es Zeit, die Maische, das in warmem Wasser eingeweichte Gerstenmalz, in den Läuterbottich zu pumpen. Aus dem Sud sollen 500 Liter Weesensteiner Original werden. Alkoholgehalt: 4,8 Prozent.

Das schönste Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat, ist der gewaltige Durst, sagt Ulrich Betsch. Er sagt aber auch, dass sich der Durst mit der „Kunst des Zechens“ verbinden muss. Man trinke in Gesellschaft und möglichst immer mit einem Spruch dazu. „Trinken ohne Spruch ist wilde Sauferei.“ Auch der Braumeister trinkt nie alleine, nicht mal nach Feierabend auf dem Sofa. Allerdings ist er als Brauer und zugleich Wirt auf Weesenstein von Berufs wegen in Gesellschaft. Er prostet seinen Gästen zu, singt mit ihnen, sticht Fässer an und spielt den Dudelsack. Da ergibt sich so mancher Schluck wie von selbst.

Biergenuss auf dem Rückzug

Der Sonntag, 23. April, ist Tag des Deutschen Biers. Da gibt es in Betschs Lokal Biertorte, Biersuppe, Apfelringe im Bierteig und Brot, das aus dem Bodensatz der Maische, dem Treber, gebacken wird. Bier gibt es sowieso. Braucht das deutsche Bier überhaupt einen Feiertag? Ulrich Betsch sagt ja. Heutzutage muss man Dinge, die große Bedeutung haben, ins rechte Licht rücken, findet er. Bier ist für ihn ein Kulturgut. Um das den Leuten klarzumachen, sei der Tag des Bieres ein guter Anlass.

Der Bierabsatz in Deutschland geht seit Jahren zurück. Wurden 2006 noch fast 107 Millionen Hektoliter Bier verkauft, waren es 2016 noch knapp 96 Millionen. In Sachsen blieb der Bierkonsum weitgehend stabil, lag zuletzt bei deutlich über acht Millionen Hektolitern. Laut Brauerbund werden im Freistaat pro Kopf und Jahr 200 Liter Bier produziert, so viel, wie in keinem anderen Bundesland. Auch die getrunkene Jahresmenge, 135 Liter pro Nase, liegt weit über dem Bundesschnitt. Zusammen mit Bayern und Böhmen rechnet man Sachsen zum „Bermudadreieck des Biers“.

Ulrich Betsch steigt hinauf auf das Sudhauspodest zu seinen kupferglänzenden Braukesseln. Seine Hirschlederhose knarrt leise. Sie ist ein Souvenir aus der alten Allgäuer Heimat. Wenn er etwas mit nach Sachsen nimmt, sagte er sich, dann diese rustikalen Beinkleider. Durch ein Guckloch im Läuterbottich beobachtet Betsch den eingepumpten Malzbrei. Weißer Schaum bedeckt ihn. Der kommt vom Eiweiß. Jetzt darf die Maische einige Minuten rasten. Die Kornspelzen sinken ab und bilden einen natürlichen Filter, der beim Absaugen Richtung Sudpfanne die Schwebstoffe zurückhalten wird.

Im Jahr braut Ulrich Betsch rund 30 000 Liter Bier. Absatzsorgen kennt er nicht. Was die bundesweite Bierflaute anbelangt, hat er so seine Theorien. Zum Beispiel die, dass die Gesellschaft sich gerade neu erfindet, dass menschliche Kontakte mehr und mehr ins Internet verlagert werden, von Handy zu Handy stattfinden, statt von Angesicht zu Angesicht. Das Gasthaus als Treffpunkt verliert an Bedeutung und damit auch das Bier. Außerdem sind die Leute viel mobiler geworden. Autofahren und Promille vertragen sich nicht.

Vielleicht, denkt Betsch, hat es auch mit einer allgemein gesteigerten Skepsis gegenüber Alkohol zu tun. Dabei könne Alkohol Geist und Psyche befreien, sagt er, und führt die Erlebnisse in seinem Braukeller als Beleg an, wo wildfremde Menschen bei einem Krug Bier plötzlich miteinander quatschen. Jeder müsse selbst die Verantwortung übernehmen für sein Trinkverhalten. „Dann ist alles kein Problem.“

Zum Bier fand Ulrich Betsch recht früh, nicht durchs Trinken, sondern durchs Holen. Sein Vater schickte ihn oft ins Dorflädchen zum Bierkauf. Der kleine Ulrich tat das gern. Das Philosophieren der Großen über Sorten und Geschmäcker gab ihm die Idee, es müsse etwas Besonderes auf sich haben mit diesem Getränk. Beruflich wollte er in die Naturwissenschaften gehen, etwas im Labor machen, aber nicht gleich studieren. So lernte er einen Beruf, der mit natürlichen Dingen umgeht: Brauer und Mälzer. Siebeneinhalb Kästen Bier gab es vom Lehrbetrieb als monatliches Deputat. Das brachte ihm eine Menge Freunde ein, oder? Der Braumeister grinst breit. „Es war okay, immer ausreichend Bier zu haben.“ Ulrich Betsch braute Bier im Allgäu, in der Pfalz und am Bodensee. Am längsten hat er es bisher auf dem Weesenstein ausgehalten. 18 Jahre sind es jetzt. Langweilig ist ihm beim Brauen noch nie geworden, obwohl er streng nach Reinheitsgebot verfährt. Er braucht die neumodischen „Craft-Biere“, die mit unkonventionellen Geschmacksrichtungen von sich reden machen, nicht. Geschmackliche Vielfalt geht auch mit Hefe, Hopfen und Malz, sagt er. „Da ist das Ende noch lange nicht erreicht.“

Im Läuterbottich ist die Rast vorbei. Die Schwebstoffe haben sich gesetzt, das Flüssige, die Würze, strömt in die Kochpfanne. Zuckersüß schmeckt das rostbraune Zwischenprodukt. Die Hefen werden sich freuen über dieses Futter. In sechs Wochen ist das Bier genussreif. Ulrich Betsch greift ein wenig vor und schenkt Gläser am Lagertank voll. Schändlich wäre ein Brauereibesuch, sagt er, ohne einen Trunk zu tun. Und der Spruch? „Das Trinken lernt der Mensch zuerst, erst später dann das Essen. Drum soll er auch aus Dankbarkeit das Trinken nicht vergessen!“