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Ein verseuchtes Jahrzehnt

15 Jahre nach der Skandaltour 1998 sind Jan Ullrich und Erik Zabel als Dopingsünder endgültig entlarvt.

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An einem schwarzen Tag für den weltweiten Radsport sind die Doping-Lebenslügen zahlreicher früherer Topstars entlarvt worden. Jan Ullrich, Erik Zabel, Marco Pantani, Mario Cipollini und Dutzende weitere Topstars waren bei der Tour de France 1998 mit Epo gedopt. Das ergibt sich aus einem 238-seitigen Bericht der französischen Anti-Doping-Kommission gestern vor dem Senat in Paris.

Festnahmen und der tragische Tod: Auch der Tour-Sieger Marco Pantani gehörte zu den Betrügern. Foto: dpa
Festnahmen und der tragische Tod: Auch der Tour-Sieger Marco Pantani gehörte zu den Betrügern. Foto: dpa

Vor allem die vermeintlich goldene Ära des deutschen Radsports war demnach nichts anderes als Lug und Trug. Über viele Jahre hatten Ullrich, Deutschlands einziger Tour-de-France-Sieger, und Zabel, der sechsmalige Gewinner des Grünen Trikots, ihre Unschuld beteuert. Dabei haben sie offensichtlich dreist gelogen: Der einstige Saubermann Zabel, als er 2007 unter Tränen verkündete, elf Jahre zuvor ein einziges Mal Epo probiert zu haben – und Ullrich, der fast schon als Lebensprinzip seine Vergangenheit verklärt. Gegen beide liegen nun erstmals positive Tests vor. Das ist der eigentliche Sprengstoff der Pariser Enthüllungen. Auch der frühere Edelhelfer Jens Heppner ist überführt. Der Rennstall NetApp will trotz der Enthüllungen an Heppner als Sportlichem Leiter festhalten.

Die Ertappten schwiegen sich gestern aus. Zabel war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, Ullrichs Berater Falk Nier teilte lediglich mit, dass es „vorerst keinen Kommentar zu dem Thema“ geben werde. Rudolf Scharping, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, sagte, die Meldungen aus Paris seien „ein weiterer Beleg für das verseuchte Jahrzehnt“.

Der Pariser Bericht beruht auf 2004 vorgenommenen Analysen 1998 und 1999 entnommener Proben. Damals wurde noch nicht auf Epo getestet, 2004 fielen dann fast alle Nachtests positiv aus. Der französische Ausschuss machte es sich zur Aufgabe, diese anonymen Tests konkreten Radfahrern zuzuordnen – ein Stich ins Wespennest.

Rund 60 Athleten, angeblich nicht nur aus dem Radsport, sollen als Betrüger enttarnt worden sein. Noch nicht einmal von einem Drittel sind bislang die Namen durchgesickert. Große Rundfahrer wie Ullrich und der 2004 verstorbene 98er-Gesamtsieger Pantani, Weltmeister wie Laurent Jalabert (Frankreich) und Abraham Olano (Spanien), Sprintstars wie Zabel und Cipollini, Klassiker-Spezialisten wie der Italiener Andrea Tafi. In Australien legte Tour-Rekordteilnehmer Stuart O’Grady noch gestern ein Geständnis ab. Er habe Epo für zwei Wochen vor der Tour 1998 genommen. „Als die Festina-Affäre passierte, habe ich es weggeworfen und seitdem nicht mehr angefasst“, sagte der Australier, der am Montag seine Karriere beendete.

Die Frankreich-Rundfahrt 1998, die nach dem Dopingskandal ohnehin als dunkelste Etappe der Tour-Geschichte galt, ist im Rückblick endgültig eine Farce gewesen. Der Festina-Skandal, bei dem der Teambetreuer Willy Voet mit rund 400 Ampullen Epo und anderen Dopingpräparaten aufgeflogen war, hatte Polizeiverhöre und Razzien ausgelöst. Bei den Verhören wurde schnell klar, dass der Belgier auf Anweisung seines Rennstalls gehandelt hatte. Viele Teams traten danach die Flucht an. Nur 14 von 21 Mannschaften erreichten noch Paris.

Die besten Drei des Gesamt-Klassements – Pantani, Ullrich und laut der französischen Zeitung „Le Monde“ auch Bobby Julich (USA) – waren Betrüger. Der Verdacht von damals ist seit gestern Gewissheit. „Was ich bei den Franzosen wirklich bewundere, ist die nach wie vor große Freude an der Volkskirmes Tour de France. Das ist doch ein erstaunliches Verhalten“, sagte der Pharmakologe Fritz Sörgel. Nach den Enthüllungen forderte der Nürnberger, Ullrich und Zabel sogar von Jedermann-Rennen auszuschließen. „Von Zabel bin ich ganz besonders enttäuscht. Seine Beichte zielte damals auf Mitleid ab. Und jetzt das“, sagte Sörgel.

Zabel hatte am 24. Mai 2007 gemeinsam mit Rolf Aldag in Bonn unter Tränen ein Doping-Geständnis abgelegt. Er wolle damit auch seinen Sohn vor Dummheiten schützen, sagte er damals, erklärte aber, nur während der Tour 1996 „einmalig“ Epo genommen zu haben. Er habe das Mittel nicht vertragen und deshalb wieder abgesetzt. Der Berliner war mehr als 15 Jahre neben dem gebürtigen Rostocker Ullrich das Gesicht des deutschen Radsports.

Ullrich hatte erst im Juni im Gespräch mit dem Magazin Focus erstmals überhaupt Doping gestanden – allerdings „nur“ Blutdoping. Ja, er habe diese Blutdoping-Behandlungen beim spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes bekommen, sagte Ullrich. Zu umfassenden Vorwürfen des Epo-Dopings sagte Ullrich nichts.

Ullrich war im Februar 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof Cas schuldig gesprochen worden, gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen zu haben. Wegen der Verwicklung in die Fuentes-Affäre wurde er zu einer zweijährigen Sperre rückwirkend ab 22. August 2011 verurteilt. Sämtliche Resultate seit dem 1. Mai 2005 wurden gestrichen – damit darf Ullrich seinen Toursieg von 1997 behalten.

Ob es Möglichkeiten gibt, ihm sein Olympiagold von Sydney 2000 abzuerkennen, will das Internationale Olympische Komitee (IOC) nach Auskunft des deutschen Präsidentschaftsanwärters Thomas Bach eingehend prüfen. Bei der Aberkennung von Medaillen gilt laut IOC-Statuten eine Verjährungsfrist von acht Jahren.

Keine 24 Stunden vor Bekanntwerden seiner Epo-Sünde hatte Ullrich noch in seinem Eurosport-Blog fröhlich verkündet: „Der Radsport lebt! Auch die Reaktion meiner Gäste bei der zweiten Jan-Ullrich-Radsportwoche im Hotel Central in Sölden war durchweg positiv.“ (sid mit SZ/bn)