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Eine Familie – viermal Krebs

Bei den Schmidts aus Kamenz hat das Schicksal heftig zugeschlagen. Doch statt zu verzweifeln, schmieden sie Pläne.

Von Ina Förster
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Familie Schmidt aus Kamenz - besonders und doch ganz normal. Ihr gemeinsames Schicksal verbindet Mama Katrin, Friedrich, Richard und Papa Gerd (v.l.) noch mehr.
Familie Schmidt aus Kamenz - besonders und doch ganz normal. Ihr gemeinsames Schicksal verbindet Mama Katrin, Friedrich, Richard und Papa Gerd (v.l.) noch mehr. © Matthias Schumann

Kamenz. Eine Familie – vier Mal Krebs. Das ist der Fakt. Unumstößlich. Die Schmidts aus Kamenz leben damit. Seit Jahren. Mama Katrin (54), Papa Gerd (53), ihre Söhne Friedrich (19) und Richard (21). So wie gerade, sitzen sie selten zusammen. Zum bloßen Reden über dieses Thema, das man lieber ad acta legen würde. Geht aber nicht. Das wissen alle Vier. Realismus gehört zur Krankheit. Wenn man sie akzeptiert hat, kommt man meistens genau dort an. Doch immer wieder kocht es hoch: In einsamen Minuten. Oder in Gesprächen mit anderen. Die meisten sind betroffen, viele überfordert. Doch Gottseidank gibt es noch die, die den Schmidts zur Seite stehen ohne Wenn und Aber. Auch gern mal leichtfüßig und mit einem Augenzwinkern.

„Es geht gar nicht primär darum, was für eine Sorte Krebs jeder von uns hat“, sind sie sich einig. Die medizinischen Hintergründe, Befunde und Ergebnisse, Medikationen und Auswertungen füllen mehrere Hefter. Kaum ein „Normalo“ kann etwas damit anfangen. Mit dem Wort Krebs schon. Für das Jahr 2020 sagen Fachleute einen Anstieg auf über 500.000 Krebsneuerkrankungen deutschlandweit voraus.

Als Papa Gerd vor über 20 Jahren als Erster in der Familie erkrankt, ist es eher eine Episode, an der man sich nicht lange aufhält. Der Hubschrauberpilot ist topfit. Die Krankheit kommt und geht - nach Operation und Chemotherapie. Noch während der letzten Serie wird Richard geboren. Zwei Jahre später erblickt Friedrich das Licht der Welt. Es gibt andere Dinge zu tun, als sich in der eigenen Angst einzurichten.

Das Glück scheint perfekt. Bis vor elf Jahren das erste Mal Krebs bei seiner Frau Katrin diagnostiziert wird. Schicksalsschlag Nummer zwei ist auch gut wegzustecken. „Das Leben lief relativ schnell normal weiter“, erinnert sie sich. „Irgendwie war das alles weiter weg als heute", sagt sie. Der Plan, im eigenen Haus in der Kamenzer Altstadt die eigene Logopädie und Ergotherapie zu eröffnen, hilft dabei. Auch zu verdrängen. Katrin Schmidt ist lebenslustig - schon immer. Ihr Stresspegel steigt allerdings parallel zu den guten Absichten.

Freundschaftsdienst: Einmal Glatze für alle

Eine eigene Praxis – wie schön das klingt. Seit Monaten ist diese nun geschlossen. Auch wegen des erneuten Ausbruchs der Krankheit. Seit Oktober 2017 ist der Krebs wieder da. Die ohnehin verbrauchten Kräfte benötigt Katrin nun völlig für ihren Körper. „Ich bin damals von Arzt zu Arzt gelaufen, spürte, dass etwas nicht stimmt. Sogar im Krankenhaus haben sie mich weggeschickt. Vier Wochen später lag ich auf dem OP-Tisch. Sechs anstrengende Wochen Chemo und Bestrahlung folgten“, erzählt die 54-Jährige.

Und gerade, als es aufwärts ging und eine stückweise Eingliederung in den Berufsalltag ansteht, bekommt Friedrich seine Diagnose: Auch der Jüngste der Familie hat Krebs. „Was das mit einem macht – unvorstellbar. Ich wünsche es niemandem“, sagt die Mutter. An Weiterarbeiten war nicht zu denken.

Doch der damals 18-jährige Gymnasiast hat keine Lust, sich seiner Krankheit unterzuordnen. „Der Tumor musste raus, mehr hat mich erst einmal nicht interessiert. Klar habe ich gewusst, dass jetzt alles irgendwie anders wird, aber es konnte einem ja auch niemand sagen, wie genau das aussieht“, sagt er.

Friedrich stört es damals im April vorrangig, dass er in den kommenden Monaten auf so viele schöne Dinge verzichten soll. Seine letzte große Party kurz nach der OP und vor der anstehenden Chemo feiert er mit allen Freunden auf den Gelenauer Musiktagen. Noch immer kommt ihm ein Grinsen an, wenn er daran denkt.

Mit der Unbekümmertheit der Jugend fasst er einen Entschluss: So viel wie möglich mitnehmen. So wenig wie möglich Einschränkungen akzeptieren. Doch die Chemo fordert ihn. „Das Leben war wortwörtlich zum Kotzen in dieser Zeit“, sagt er. Freunde und Familie sind zwar an seiner Seite. Einige Kumpels, Bruder Richard und Papa Gerd rasieren sich parteiisch ebenfalls die Köpfe kahl. Die Glatzenbande fällt auf. Positiv.

Bruder Richard und Papa Gerd rasierten sich während Friedrichs (M.) Chemo 2019 parteiisch ebenfalls die Köpfe kahl; ein paar Kumpels ebenfalls. Bei Richards (l.) Erkrankung wurde das Ganze natürlich wiederholt.
Bruder Richard und Papa Gerd rasierten sich während Friedrichs (M.) Chemo 2019 parteiisch ebenfalls die Köpfe kahl; ein paar Kumpels ebenfalls. Bei Richards (l.) Erkrankung wurde das Ganze natürlich wiederholt. © Privat / Schmidt

Und auch seine Lehrer am Beruflichen Gymnasium stehen hinter ihm. Friedrich bekommt einen Sonderlehrplan, um im Akkord alle erforderlichen Klausuren nachzuschreiben, denn über einen längeren Zeitraum ist nichts normal. Jetzt – kurz vor dem Abitur – weiß er das zu schätzen. Der hochgewachsene junge Mann schaut ein bisschen ernst in die Welt. Doch der Schalk sitzt ihm im Nacken.

Was er werden möchte, das steht in den Sternen. „Die Bundeswehr wird es schon mal nicht“, wiegelt er etwas sauer ab. Nach einigen Tests in Berlin haben sie ihm gesagt, dass seine Krebserkrankung einen Dienst ausschließe. „Das hätte man mir eigentlich schon beim ersten Gespräch in Bautzen erzählen können. Aber ja – habe ich wenigstens meine Schwimmstufen nachgeholt“, meint er sarkastisch.

Da hilft oft nur rabenschwarzer Humor

Die Späße und Sprüche sind den Schmidts nicht ausgegangen. Sie sind nur schwärzer geworden. Rabenschwarz, um genau zu sein. „Wir nehmen das halt alles mit Tumor“, sagt Richard. „Und fügt an: Wenn du über uns schreibst, möchte ich diesen Satz unbedingt lesen!“ Der 21-Jährige ist gerade in der Heimat. Zwangsurlaub. Wegen Corona. Eigentlich studiert er im vierten Semester Lehramt in Leipzig. Wenn er seinen Abschluss als Englisch- und Geschichtslehrer in der Tasche hat, will er zurückkommen. Am besten nach Kamenz. Doch das dauert.

Im Oktober 2019 kam auch ihm erst einmal die Diagnose Krebs dazwischen. Dass sein Bruder erkrankt war, machte ihn vorsichtiger. „Na klar beginnt man, sich selbst genauer zu beobachten“, sagt Richard. „Als der Befund da war, habe ich genau einmal geheult“, gibt er zu. Dank der Erfahrungen mit Friedrichs Chemo, fallen seine Nebenwirkungen etwas seichter aus. "Steckt ja eh jeder etwas anders weg", sagt er. Auch ihm tun die Freunde gut, ihre Besuche, die rauen Späße. Und da sind ja auch noch die älteren Geschwister - Anni und Ringo. Ein geballter Haufen Lebensfreude...

Seine Studentenbude in Leipzig ist derzeit verwaist. Zuhause kann man die angespannte Corona-Lage besser verdauen, findet Richard. Er geht viel spazieren dieser Tage. Über den Hutberg zum Beispiel. Musik half ihm schon immer im Alltag, so auch jetzt. Entgegen allen Trends beschäftigt er sich vor allem mit alten Volksweisen und Liedern aus dem Männerchor.

Kürzlich mischte er beim “Oberlausitzlied“ mit. Das Video der Kreismusikschule Dreiländereck ging viral durch die Decke. Zahlreiche Musiker und Sänger hatten ihre Videosequenzen für einen einmaligen Zusammenschnitt eingeschickt. Auch Richard schmetterte das Heimatlied aus voller Kehle im Hof des Elternhauses mit. Gemeinsam mit Friedrich und zwei weiteren Freunden singt er sogar im Männergesangsverein Jesau. "Wir drücken den Altersdurchschnitt ganz schön nach unten", lachen sie.

Irgendeiner ist immer mit Nachuntersuchung dran

Heute geht es den Jungs gut. Die Prognosen sind so schlecht nicht. Doch bei vier Krebserkrankten in der Familie, hangelt man sich von Nachuntersuchung zu Nachuntersuchung. "Einer ist immer dran. Das belastet einen stark", so die Mutter. Dass man ein Leben lang mit der Angst weiterleben muss, ist so. Die Familie bekam gute psycho-onkologische Betreuung. "Meine Schlafstörungen und Albträume sind trotzdem geblieben", so Katrin Schmidt.

Und Vater Gerd? Er wirkt nach außen ganz ruhig und versucht es mit Zweckoptimismus. Den Laden zusammen halten, weitermachen - das ist seine Aufgabe. "Was sagt man, wenn man denkt, dass man den Söhnen die Krankheit vielleicht weiter gegeben hat", fragt er. Wer trägt Schuld? Was bedeutet Schuld? Auf viele Dinge gibt es keine Antwort. Die Schmidts suchen auch nicht mehr danach.

Dafür haben sie ihren ganz eigenen Weg gefunden, mit der Krankheit zu leben. "Andere machen es sicher anders. Unser Kamenzer Opa Gerhard hat immer gesagt: Das einzige, was einen im Leben voranbringt, sind Mut, Härte und Ausdauer". Wir probieren es halt damit", sagt Richard. 

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