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Einsatz am Traumstrand

Rettungsschwimmer des Freitaler DRK wachen über den Badespaß an der Ostsee. Wie viel Urlaub ist da noch drin?

Von Jörg Stock
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Marcel Legler (23, li.) und Paul Rademacher (20) von der DRK-Wasserwacht Freital helfen im Sommer, die Ostseestrände zu sichern.
Marcel Legler (23, li.) und Paul Rademacher (20) von der DRK-Wasserwacht Freital helfen im Sommer, die Ostseestrände zu sichern. © Karl-Ludwig Oberthür

Marcel mag die Ostsee. Wie lange er diesmal bleibt? Etwa vierzig Tage. Am liebsten wäre er ja wieder mit dem Fahrrad bis nach Warnemünde gefahren. Aber das Gepäck überfordert die Radtaschen. Computer und Lernstoff für die Uni müssen mit. Mehrere Studienarbeiten drängeln, darunter seine Abschlussarbeit. Den Einsatz am Meer will er trotzdem nicht abblasen. Ein bisschen stolz ist er ja auch drauf, sagt er. Aber vor allem geht es um die Sache. „Die macht man aus Überzeugung.“

Marcel Legler aus Freital und Paul Rademacher aus Kurort Hartha sitzen auf einer Schattenbank hinter Freitals Rotkreuz-Zentrale und reden über ihre liebste Sommerbeschäftigung: den Rettungsschwimmerdienst am Meer. Paul war schon dreimal dort im Einsatz. Er ist erst zwanzig, aber die Ostsee ist schon so etwas wie ein Sehnsuchtsort für ihn geworden. Man trifft Kameraden aus dem ganzen Land, sagt er. Immer neue Freundschaften entstehen. Es wurmt ihn gehörig, dass er in dieser Saison keine Zeit hat. „Es ist eine schöne Sache, ich kann es nicht anders sagen.“

Die Sicherung deutscher Badegewässer ist ohne Ehrenamt undenkbar. Vor allem die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, die Johanniter Unfallhilfe, der Arbeiter-Samariter-Bund und das Deutsche Rote Kreuz schicken Freiwillige auf die Wachtürme, allein die DRK-Wasserwacht etwa 75 000. Der Dienst ist bitter nötig. 2018 ertranken landesweit über 500 Menschen, 21 davon in der Ostsee. Sachsen hat zwar kein Meer. Trotzdem fahren jedes Jahr viele Rettungsschwimmer aus der Region an die Küste. Die Erfahrung, die sie dort sammeln, kommt der Heimat zugute, sagt Steffen Schewitzer, Landesleiter der Wasserwacht Sachen. „Wenn wir an die wachsende Zahl der Bademöglichkeiten in den Seenlandschaften denken, haben wir ausreichend Einsatzmöglichkeiten.“

Marcel und Paul sind schon als Kinder der Wasserwacht beigetreten. Inzwischen haben sie das goldene Rettungsschwimmerabzeichen und diverse Zusatzqualifikationen. Einen Posten am Ostseestrand bekommen sie trotzdem nicht automatisch. Um den Job, meist ausgeschrieben von küstennahen Rettungsdienstverbänden, muss man sich bewerben. Allerdings sind gewisse Einsatzziele Tradition. So fahren Freitaler Wasserretter gern auf den Darß, nach Zingst. Marcel, der auch der Studentischen Wasserwacht Dresden angehört, hilft in deren Stammrevier, den Stränden von Warnemünde und Markgrafenheide. Im Prinzip, sagt er, kann sich jeder überall bewerben. „Aber es macht mehr Laune, wenn man schon ein paar Leute kennt.“

„Eine schöne Sache.“ Rettungsschwimmer Paul Rademacher im Sommereinsatz auf dem Darß. 
„Eine schöne Sache.“ Rettungsschwimmer Paul Rademacher im Sommereinsatz auf dem Darß.  © privat

Der Einsatz am Meer unterscheidet sich vom Dienst am Stausee oder im Freibad nicht nur durch die grandiose Natur und die große Gemeinschaft der Freiwilligen. Auch durch völlig andere Gefahren. Während Winde und Strömungen in einem Badebecken praktisch keine Rolle spielen, können sie an der See tückisch sein. „Da ist man ganz schnell ganz weit draußen“, sagt Paul. Auch an den Buhnen wird es gefährlich, vor allem für Nichtschwimmer. Strömendes Wasser kann den Sand dort metertief ausspülen. Wem die Wellen gerade bis zum Bauch gingen, der kann im nächsten Moment schon versunken sein.

Die Rettungsschwimmer wohnen in Strandnähe, in der Regel ohne großen Luxus. In Zingst nutzen sie Teile eines Jugendhotels. In Markgrafenheide stehen die Betten in Containern. Dienstbeginn ist für gewöhnlich morgens neun Uhr. Mit Rettungsgerät, etwa der populären „Baywatch-Boje“, Schwimmflossen, aufgeladenem Funkgerät, Fernglas und Wasserflasche geht es auf den Turm. Die Strände sind kilometerlang. Eine Turmbesatzung, in der Regel zwei Leute, muss mehrere Hundert Meter im Auge behalten. Wie geht das?

Indem man sich auf diejenigen konzentriert, die weiter draußen sind. Marcel hat sich angewöhnt, in kurzen Abständen die Köpfe der Schwimmer zu zählen. Im Gewusel an der Wasserlinie hingegen hat er keine Chance, jeden zu beobachten. Dort helfen die Badegäste mit. In den meisten Fällen, sagt Marcel, wird man durch sie alarmiert. Dabei geht es selten um Ertrinkende, viel häufiger um Notfälle an Land. Kreislaufprobleme sind sehr geläufig. Etwa einmal pro Woche ist mit einer Reanimation zu rechnen, schätzt Marcel. Auf diesem Gebiet, sagt er, muss ein Rettungsschwimmer absolut fit sein.

Nicht immer aber sind die Strandbesucher am Wachturm an der richtigen Adresse mit ihren Meldungen. Manche missverstehen die Retter als Badepolizei, die einzuschreiten hat, wenn jemand verbotenerweise die Möwen füttert oder seinem Kind keinen Sonnenhut aufgesetzt hat. Besonders Neulinge, das ist Marcels Erfahrung, lassen sich von forsch auftretenden Urlaubern leicht im Beschlag nehmen. „Da muss man cool bleiben und drüber stehen.“ Die Hauptsache sei nun mal, auf dem Turm zu sitzen und aufs Wasser zu gucken.

Und das ist anstrengend genug. Die glitzernden Wellen ermüden die Augen. Deshalb wechselt sich das Team am Fernglas ab. In ruhigen Phasen kann auch mal eine Übung die Routine aufbrechen. Möglichst schnell samt Rettungsutensilien ins Wasser zu kommen und während der ersten Schwimmbewegungen auch noch die Flossen anzuziehen, will trainiert sein.

Als Rettungsschwimmer verdient man praktisch nichts. Das Wachgeld geht im Wesentlichen für die Selbstversorgung drauf. Auch wird mancher Euro in der Cocktailbar oder im Club ausgegeben. Das ist erlaubt, solange die Dienstkleidung dabei auf dem Zimmer bleibt und man selbst am nächsten Morgen wieder „rettungsfähig“ ist. Für Marcel hat das Vergnügen diesmal Grenzen: „Nach Dienst noch mal ins Wasser springen, und dann ab an den Laptop.“ Eine Aussicht, die ihn nicht schreckt. Die Gesellschaft muss ihre Aufgaben verteilen, sagt er. Er hat seine Aufgabe auf dem Wachturm gefunden. „Ich finde es schön, diese Verantwortung zu tragen.“

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