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Ende einer Männerfreundschaft

Magier André Sarrasani kämpft nicht nur mit Schulden. Promi-Wirt Gerd Kastenmeier fühlt sich von ihm betrogen.

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© André Wirsig

Von Tobias Wolf, Tobias Hoeflich und Michael Rothe

Wind pfeift durch das leere Foyer des Trocadero-Zeltes von Zirkuslegende André Sarrasani am Dresdner Hauptbahnhof. Der Vorhang am Eingang zur Real-Bodies-Ausstellung flattert hin und her. Ein Plakat wirbt für die Exponate: konservierte Leichen und Organe. Kasse und Garderobe sind verwaist. Drinnen rüttelt der Sturm an Gestänge und Stoffbahnen, lässt die Glieder der plastinierten Körper erzittern.

Die wenigen Besucher verlieren sich in den abgedunkelten Räumen. Das sei immer so leer hier, sagt eine Mitarbeiterin, die aus dem Nichts auftaucht. Sarrasani hatte mit 15 000 Besuchern pro Monat gerechnet. Gekommen sind nicht einmal 3 500. Das gab der Illusionskünstler zu, als er die Insolvenz seiner Sarrasani GmbH vor einer Woche verkündet hatte. Der schwache Besuch der Ausstellung gab Sarrasani offenbar den Rest. Gut 1,2 Millionen Euro Schulden drücken das Unternehmen.

Schon länger veröffentlicht Sarrasani keine Jahresabschlüsse mehr. Die letzte umfassende Bilanz gab es für 2012: Gut 3,2 Millionen Euro Umsatz, 37 000 Euro Gewinn. Wie es bei den Zahlen jetzt genau steht, ist unklar. Der Insolvenzverwalter will sich bis Ende August einen Überblick über die wirtschaftliche Gesamtlage verschaffen. Schon jetzt ist klar: Mit Sarrasani hat noch so mancher eine Rechnung offen. So wie offenbar Gerd Kastenmeier. Der Dresdner Promi-Wirt erhebt schwere Vorwürfe gegen seinen früheren Freund und Geschäftspartner.

Kastenmeier hatte für Sarrasanis Trocadero-Dinner-Show die Menüs gekocht, fünf Jahre lang bis zur Spielzeit 2009/2010. „Am Ende hat er mich im fünften Jahr um 50 000 Euro betrogen“, sagt der 47-Jährige Spitzenkoch auf SZ-Nachfrage. „Dass er irgendwann insolvent gehen könnte, hab ich geahnt, denn ich habe in den fünf Jahren hinter den Kulissen einiges mitbekommen.“ Im ersten Jahr habe es noch schriftliche Verträge gegeben. „Ich dachte, wir sind echte Freunde geworden, deshalb gab es ab dem zweiten Jahr nur noch mündliche Verträge.“ Vereinbart worden sei demnach, dass Kastenmeier die Hälfte der Mehreinnahmen bei Erhöhungen der Eintrittspreise bekommen sollte. Die Vereinbarung habe vier Jahre gehalten. In Kastenmeiers letztem Trocadero-Jahr habe Sarrasani wegen der Marktbedingungen die Eintrittskarten nicht verteuern wollen. Doch in einer Broschüre habe Kastenmeier später entdeckt, dass Sarrasani doch erhöht habe.

„Er ist bei uns ein- und ausgegangen“

„Als ich ihn auf unsere Absprache, dass ich dann die Hälfte bekomme, hinwies, meinte er nur ,Wo steht denn das?‘ und sagte im Gespräch mit mir, ,Du bekommst aber nichts davon ab.‘“

Kastenmeier ist eigentlich ein vorsichtiger Mensch, er lässt nur wenige Leute nah an sich heran, Sarrasani sei einer davon gewesen. „Er ist bei uns zu Hause ein- und ausgegangen, hat sogar meinen Rasierer benutzt.“ Kastenmeier ist enttäuscht: „So etwas macht man nicht mit Freunden.“

Bis Redaktionsschluss konnte nicht geklärt werden, ob die von Kastenmeier geäußerten Vorwürfe zutreffend sind. Auf die Bitte der SZ um Stellungnahme ließ Sarrasani über seinen Sprecher nur ausrichten, dass er sich grundsätzlich nicht zu Details und Inhalten von Verträgen und Vereinbarungen mit Partnern äußert. Auch auf Kastenmeiers Vorwurf, Sarrasanis Geschäfte hätten auf ihn teilweise ziemlich unprofessionell gewirkt – keine Antwort.

Dafür meint Kastenmeier sich sehr genau zu erinnern: Als der Magier in der Jury der RTL-Castingshow „Das Supertalent“ saß, habe das totale Chaos bei Sarrasani geherrscht. „Ich habe am Ende mit meinen Servicemitarbeitern mitgeholfen, das Zelt aufgebaut, seine Fußböden und Teppiche verlegt, um die Show abzusichern“, sagt Kastenmeier. „Ich glaube, wenn ich so arbeiten würde wie er, würde ich kein Geld verdienen.“

Ob und wie viel Gewinn Sarrasani zuletzt erwirtschaftet hat, ist unklar. Für 2013 und 2014 wurden nur sogenannte kleine Bilanzen ohne Umsatzangabe vorgelegt. Jedoch standen schon damals ein Verlustvortrag von gut 250 000 Euro, ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von 176 000 Euro und Verbindlichkeiten von fast 1,4 Millionen Euro zu Buche. Demnach waren die Eigenmittel aufgebraucht, fehlendes Eigenkapital aber nur teilweise durch ein Gesellschafterdarlehen ersetzt worden. Offen ist, ob die Gesellschaft bereits überschuldet war. Der Jahresabschluss für 2015 soll im Zusammenhang mit dem Gutachten von Insolvenzverwalter Dirk Herzig erstellt werden und bis Ende August vorliegen. Er dürfte vom schlechten Ergebnis der Real-Bodies-Schau deutlich getrübt werden.

Auch hier scheint sich Sarrasani völlig verschätzt zu haben. Er hatte wohl gehofft, mit seiner kleinen Leichen-Show im Zirkuszelt an die Erfolge von Gunther von Hagens‘ „Körperwelten“ anzuknüpfen. Dort traten sich die Gäste 2014 noch gegenseitig auf die Füße. Das erhoffte sich Sarrasani auch für Real Bodies. Er hoffte offenbar auf einen Monatsumsatz von rund 200 000 Euro – davon ausgehend, dass die Hälfte der Besucher Erwachsene sind und sich der Rest auf Kinder, Schulklassen und ermäßigte Tickets aufteilt. Doch statt 15 000 kamen rund 3 500 Besucher – demnach dürfte der reale Umsatz nicht einmal 50 000 Euro erreichen. Von Ende April bis Ende Juli würde allein das einen Fehlbetrag von mehr als 400 000 Euro bedeuten. Insolvenzverwalter Dirk Herzig hält sich dazu bedeckt. Wie hoch das Minus allein durch Real Bodies tatsächlich ausfällt, könne er momentan nicht „seriös beantworten“.

Hinzu kommen weitere 380 000 Euro Steuernachforderungen. Sarrasani hatte vor einer Woche von „nicht erwarteten“ Belastungen gesprochen. Statt sieben muss er 19 Prozent Umsatzsteuer auf seine Dinner-Show entrichten – rückwirkend ab 2009. Bis zum Bundesverfassungsgericht hatte er gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs geklagt – doch war im Mai damit endgültig gescheitert.

19 Prozent Umsatzsteuer auf alles

Steuerrechtsexperte Tino Lerche von der Kanzlei BSKP verweist auf einen ähnlichen Fall, über den der Bundesfinanzhof Anfang 2013 urteilte. Weil ein Durchschnittsbesucher eine Dinnershow als Gesamtleistung wahrnehme, können Unternehmer Show und Essen nicht getrennt abrechnen. „Stattdessen werden 19 Prozent für die Gesamtleistung fällig. Beide Teile sind bei einer Dinnershow untrennbar miteinander verknüpft“, sagt der Anwalt.

Promi-Koch Kastenmeier kann der Zeit mit Sarrasani immerhin etwas Positives abgewinnen. „Wir haben gelernt, in sehr kurzer Zeit viele Gäste gleichzeitig mit einem tollen Menü zu versorgen“, sagt er. Davon profitiere sein Catering bis heute. Persönlich bleibt er konsequent: „Herr Sarrasani ist keiner, den ich gern in meinem Restaurant sehen würde, das weiß er auch.“