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Essen wie bei Muttern

In Dresdner Außenbezirken gibt es keine Gaststätten mehr, viele Gäste blieben fern. In Görlitz gibt es keine freien Plätze.

Von Franziska Klemenz
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Manja Obst (l.) und Simone Basch betreiben seit gut zwölf Jahren das „Rauschwalder Eck“. Sie kennen sich aus dem Löbauer Fleischwerk.
Manja Obst (l.) und Simone Basch betreiben seit gut zwölf Jahren das „Rauschwalder Eck“. Sie kennen sich aus dem Löbauer Fleischwerk. © Foto: Nikolai Schmidt

Zum Glück gehen viele. Zum Glück nehmen sie ihr Essen mit. Nicht, weil die Sitzbänke im Rauschwalder Eck nicht gemütlich wären. Nicht, weil Simone Basch und Manja Obst die Gäste loshaben wollten. Ihr Laden ist schlichtweg voll. „Wenn es nicht so wäre, dass viele Leute kommen und sich ihr Essen mitnehmen, würde es nicht gehen“, sagt Manja Obst. „Unsere sieben Tische würden für den Andrang zur Mittagszeit nie reichen.“

Das Rauschwalder Eck auf der Reichenbacher Straße in Görlitz gibt es seit 2006. Zuvor war es ein Grillhaus, jetzt ein Imbiss mit 13 Gerichten pro Mittag. Strammer Max, Buletten, Nudeln mit Soße – und jeden Tag ein Spezialgericht wie Paprika mit Hackfleisch-Füllung. Das erste halbe Jahr mussten Manja Obst und Simone Basch sich beweisen, seitdem läuft der Laden.

Zustände, die einige Dresdner nur noch von früher kennen. Aus DDR-Zeiten, als Wohngebietsgaststätten in Prohlis und Gorbitz noch gingen. Heute, sagen manche, bestimmten Gewalt und Anonymität die Straßenzüge ihrer Außenwohngebiete, sind die Plattenbauviertel zu Schlafstätten verkommen. Grau, leblos, karg.

Das Rauschwalder Eck ist rot. Knallrot. Nur Mario Kaulfers hebt sich von den roten Lederbänken ab. „Es ist Hammer hier, echt. Wie bei Muttern schmeckt das Essen. Wie früher “, sagt der Stammgast. „Und die haben immer nen freundlichen Spruch auf den Lippen.“ Bei den großen Handelsketten, sagt der Mittfünfziger im schwarzen Caterpillar-Pulli, vermisse er das. „Hier kannste auch in Arbeitsklamotten herkommen, musst nicht lange warten. Angestellt, zack, Essen da, immer lecker.“ Häufig verlasse er den Laden nach zwei Nachschlägen plus Ragout Fin mit Bauchschmerzen.

Simone Basch, 53, und Manja Obst, 45, kennen sich von ihrer Zeit im Löbauer Fleischwerk. Basch kochte, Obst verkaufte, die Frauen freundeten sich an. Das Fleischwerk ging pleite, die Frauen spazierten über die Reichenbacher Straße und entdeckten den leerstehenden Laden. „Ich hab dann zur Manja gesagt: Mensch, das wär een Ding, wenn wir das aufmachen. Ich kann kochen, du verkaufen, kann doch eigentlich nichts schiefgehen.“ Die Einrichtung war schon da, die beiden kochten und bedienten los. Mit niemandem sonst, sagen sie übereinander, würden sie es machen.

Ihre Gäste kommen oft aus den Wohnblöcken ums Eck, tragen Polizei- oder Sanitäteruniformen, sind in Rente oder gehen noch zur Schule. Alle zwei Wochen ist ein Pärchen, beide 85, dabei. „Eine Strecke aus Weinhübel kommen die immer zu Fuß, die andere mit dem Bus“, sagt Simone Basch.

In die Gaststätte von Mathias Weise dagegen fährt kaum jemand mit dem Bus. „95 Prozent der Gäste kommen aus dem Wohngebiet hier“, sagt der 35-Jährige, der das Nordquell in Königshufen betreibt. Mitten zwischen Plattenbauten liegt die Gaststätte, der Verkehr weit genug entfernt, um es auch im sommerlichen Biergarten idyllisch zu haben. Innen vertäfelt dunkles Holz die Wände, auf den Tischen stehen

rosa-weiß gestreifte Nelken, aus dem Radio plätschern leise ein paar Chart-Hits.

Weise kam mit 17 Jahren als Lehrling ins Nordquell, vor vier Jahren hat er den Laden übernommen. Ein Restaurant mit Geschmortem, ein Billardkeller mit Rauch-

Erlaubnis, Säle für Geburtstage, Firmen- und Trauerfeiern – im vollsten Fall bringt Weise 180 Menschen unter. Sieben Tage die Woche hat das Nordquell geöffnet, Heiligabend ist der einzig geschlossene Tag im Jahr. Und selbst das akzeptiert mancher Gast nur ungern. Mitarbeiterin Anke, seit 20 Jahren im Nordquell, erinnert sich an manche Beschwerde. Viele Gäste kommen seit 20, 25 Jahren. „Man begleitet die Gäste so lange, sieht sie dann irgendwann abbauen. Das ist traurig, aber gehört wohl zum Leben dazu.“ Für viele Gäste ist das Nordquell ein zweites Zuhause, mehrmals die Woche sitzen Stammtischgruppen um den ovalen Tisch neben Ankes Theke. Das Hauptbier ist natürlich Landskron, etwa 90 Prozent bestellen die heimische Sorte.

So wie Uwe. Er wohnt ums Eck, ist Stammgast, feiert bald sein 40. Firmenjubiläum im Nordquell. Wann der Laden eröffnet hat, weiß er auf den Tag genau: „Ich gehe seit dem 17. November 1990 hierher. Das ist der Tag, an dem sie eröffnet haben.“

Wann der Zeltgarten in Weinhübel eröffnet hat, weiß niemand genau. Nicht mal Uwe Wilken, dessen Urgroßvater das Haus auf der Zittauer Straße gekauft hat. Nur eins ist klar: Das Familienunternehmen gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Auch die Herkunft des Namens Zeltgarten bleibt ein Mysterium. „Man munkelt, dass die Handelsleute früher, wenn sie hier mit ihren Fuhrwerken vorbeikamen und das gesehen haben, Rast gemacht und ihre Zelte aufgeschlagen haben“, sagt der 46-Jährige.

Vor vier Jahren hat er die Gaststätte von Vater Klaus übernommen, der 1990 eröffnet hatte. Zu DDR-Zeiten konnte die Familie die Gaststätte nicht selbst betreiben, der Handelsorganisation konnte Uwe Wilkens Großmutter nicht kündigen. 1990 übernahm die Familie, baute alles um und aus. Auch heute arbeitet Vater Klaus weiter mit. Zu Feiertagen und Familienfeiern sei es gut ausgebucht, unter der Woche könnte manchmal mehr los sein, sagt Wilken.

Dass Kraftwerke nach der Wende geschlossen haben, hätte Gäste gekostet. Die Weggezogenen kämen gern zum Männertag zurück. Uwe Wilken hat sich gegen ein Leben im Westen entschieden. „Ich habe mir gesagt, es können ja nicht alle gehen.“ Vieles sei nicht einfach, aber im Großen und Ganzen doch alles gut, sagt er. Zu Arbeiten habe er mit der Wirtschaft und nötigen Sanierungen jedenfalls immer genug.

Wenn Simone Basch und Manja Obst gerade nicht im Rauschwalder Eck arbeiten, gehen sie gern zusammen feiern, reisen und essen, sagen sie. Ob es dann auch am liebsten sächsische Kost ist? Nein. Die beiden lachen. „Mit unseren Männern gehen wir gern zum Griechen.“ Statt Strammem Max kommen dann Gyros und Ouzo.

Restaurant-Chef Mathias Weise (r.) und Kellner Frank Weiß bedienen im Restaurant Nordquell am Boulevard von Königshufen vor allem Gäste aus dem Wohngebiet.
Restaurant-Chef Mathias Weise (r.) und Kellner Frank Weiß bedienen im Restaurant Nordquell am Boulevard von Königshufen vor allem Gäste aus dem Wohngebiet. © Foto: Pawel Sosnowski

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