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Früher war mehr Schnaps

Wie schon zu DDR-Zeiten: Alkohol bleibt die Droge Nummer eins. Allerdings haben sich die Trinkgewohnheiten verändert und bessere Hilfsangebote gibt es auch.

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Aufklärungsplakat von 1959
Aufklärungsplakat von 1959 © David Brandt/Stiftung Deutsches Hygiene-Museum

Herr Bunde, wer in Fotoalben aus DDR-Zeiten blättert, findet bei Aufnahmen von Familienfeiern meist auch Bier-, Wein- und Schnapsflaschen. Welche Rolle spielte der Alkohol damals?

Eine große. Er war Droge Nummer eins – von der Wiege bis zur Bahre. Mehr als fünf Prozent der 18- bis 65-Jährigen waren in der DDR alkoholabhängig. Gelegentlich gab es Medikamentenabhängigkeit oder eine Kombination von Medikamenten und Alkohol. Dazu kam Nikotin. Viele fingen zwischen 14 und 16 Jahren mit dem Rauchen an. Da gab es allerdings kaum Unterschiede zur BRD. Rauchen gehörte einfach zum guten Ton, auch bei Familienfeiern. Dass der Genuss von Alkohol und Nikotin in der DDR so hoch war, dafür gibt es eine einfache Erklärung. Die Bürger hatten so gut wie keinen Zugang zu illegalen Drogen. Und eine Bezahlung dafür mit Mark der DDR war nicht lukrativ.

Was wurde vor allem getrunken?

Bier und Schnaps, wobei Korn und Wodka hoch im Kurs standen.

Gab es die hohe Zahl Alkoholabhängiger schon mit Gründung der DDR?

Nein. Erst in den 1950er Jahren gab es einen richtigen Anstieg.

Warum gerade da?

Weil die Nachkriegszeit, in der man sich lieber Brot als Alkohol besorgte, vorüber war. Es wurde wieder gefeiert. Alkohol bei Familienfeiern war ein Zeichen des Wohlstandes. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch wenn es jetzt viel mehr Drogen gibt, ist noch immer die Hälfte der Suchtkranken alkoholabhängig.

Helmut Bunde ist bei Diakonie und Polizei in Sachsen für die Ausbildung ehrenamtlicher Suchtkrankenhelfer zuständig. Schon zu DDR-Zeiten hat er Suchtkranke begleitet. 
Helmut Bunde ist bei Diakonie und Polizei in Sachsen für die Ausbildung ehrenamtlicher Suchtkrankenhelfer zuständig. Schon zu DDR-Zeiten hat er Suchtkranke begleitet.  ©  privat

Wie wurde in der DDR mit dieser Sucht umgegangen?

Es war weitgehend ein Tabuthema. Bis in die 1970er Jahre wurde das Alkoholproblem verdrängt. In den 1950er Jahren gab es lediglich Mahnungen zur Konsumbeschränkung. Aber es standen zur Behandlung weder Heilstätten noch populärwissenschaftliche- und Fachliteratur zur Verfügung. Fast wie eine Revolution war da 1959 die Veröffentlichung des Buches „Der Alkoholismus als soziales Problem“ von Hugo von Keyserling. 1962 folgte eine Übersetzung aus dem Tschechischen und 1979 das Buch „Der Alkoholiker, Alkoholmissbrauch und Alkoholkriminalität“ von Hans Szewczyk. Das war dann aber in einer Zeit, in der Alkoholmissbrauch in den Wohnzimmern, aber auch bei öffentlichen Veranstaltungen salonfähig war.

War das später anders?

Ja, aber erst in den 1980er Jahren. Da war in der DDR endlich die Einsicht gewachsen, sich dem Thema Suchtkrankheit intensiver zu widmen. Es gab mehr Belletristik. Fachliteratur, öffentliche Vorträge und Filme beschäftigten sich mit dem Thema. Unvergessen ist Ulrich Thein im Film „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“. Eine schonungslose Darstellung. Es wurde nicht mehr tabuisiert. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Alkoholabhängigkeit im Osten eher als Krankheit anerkannt wurde als im Westen.

Wann war das?

Das war 1968, erst in der DDR, einige Wochen später dann in der BRD.

Wie viele Frauen und wie viele Männer waren in der DDR alkoholkrank?

Mehr als 80 Prozent der Abhängigen waren Männer, heute sind es etwa 70 Prozent und 30 Prozent Frauen.

Wie erklären Sie sich das?

Frauen mit Alkoholfahne waren und sind nicht gern gesehen. Früher griffen Frauen lieber zu Medikamenten, um sich in einen Rauschzustand zu versetzen. Heute ist bei ihnen vor allem Crystal Meth sehr beliebt.

Ist der Anteil der Suchtkranken an der Gesamtbevölkerung heute anders?

Der war zu DDR-Zeiten genau so hoch wie heute. Man geht von bis zu zehn Prozent der Erwachsenen aus, die suchtkrank sind. Allerdings sind zum Alkohol verschiedene Drogen dazugekommen. Und das veränderte das Konsumverhalten der Menschen. Unterschiede gibt es in der Altersstruktur. In der DDR war der Altersdurchschnitt der betreuten Abhängigen höher. Er lag so um die 40 bis 45 Jahre. Aktuell gibt es zwei Altersgruppen, die sich in Behandlung befinden: Die Jüngeren, vor allem Drogenabhängige, sind durchschnittlich 25 Jahre alt und die Alkoholabhängigen 45 Jahre, wobei das Alter hier tendenziell nach oben geht. Die Dunkelziffer der Suchtkranken ist heute wie früher drei- bis viermal so hoch im Vergleich zur Anzahl derjenigen, die behandelt werden.

Heute sehen Aufklärungsplakate so aus
Heute sehen Aufklärungsplakate so aus © Dt. Haupt- stelle für Suchtfragen

Welche Drogen sind dazugekommen?

Seit der Wende werden vor allem Crystal-Meth – häufig kombiniert mit anderen legalen oder illegalen Drogen – und mit steigender Tendenz Cannabis konsumiert. Während in der DDR der preiswert zu bekommende Schnaps eine große Rolle spielte, sind es heute mehr Bier, Sekt und Wein. In Sachsen haben wir aktuell bei mehr als 50 Prozent der Suchtkranken eine Alkoholabhängigkeit und bei über 25 Prozent eine Abhängigkeit von illegalen Drogen. Hinzu kommen Glückspiel- und Online-Sucht. Mehr als zehn Prozent der Menschen, die betreut werden, sind dabei Angehörige – Partner, Eltern oder Kinder, die von der Abhängigkeit mit betroffen sind. Wir sprechen hier von einer Co-Abhängigkeit.

Und wie ist das beim Nikotin?

Da gibt es positive Entwicklungen. Durch das 2007 verabschiedete Bundesnichtraucherschutzgesetz, das Verbot des Rauchens in öffentlichen Einrichtungen und Gaststätten, sowie den Verkauf von Tabakerzeugnissen erst ab 18 Jahren ist die Nikotinabhängigkeit deutlich zurückgegangen.

Wie wurden Suchtkranke zu DDR-Zeiten behandelt?

Suchthilfe blieb jahrelang kirchlichen Hilfsstrukturen wie Innerer Mission und Caritas sowie den psychiatrischen Kliniken überlassen. Dort wurden für Suchtkranke Behandlungen zur „Entgiftung“ oder zur „Langzeitbehandlung“ angeboten. Es gab Einrichtungen der „Langzeitbehandlung mit Arbeit“ oder eine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie. Später entwickelte sich die Suchtkrankenhilfe im Gesundheitswesen. In den Polikliniken gab es eine psychiatrische Versorgung, wo die Suchtkrankenhilfe mit angegliedert war. In manchen Orten entstanden Gesprächsgruppen. In den 1990er Jahren entwickelten sich in großen Städten wie in Dresden sogenannte „Therapeutische Klubs“, wo sich Suchtkranke trafen. Es gab die Arbeitsgemeinschaft zur Abwehr der Suchtgefahren, die mit unterschiedlicher Intensität flächendeckend im Land tätig war.

Wie änderte sich das nach der Wende?

Therapien, vor allem Einzel- und Gruppengespräche sowie Arbeitstherapie, die es in der DDR schon in Ansätzen gab, wurden ausgebaut. Es gibt zusätzliche Angebote in Ergo-, Bewegungs-, Psycho- und Physiotherapie. Selbsthilfegruppen entwickelten sich in Größenordnungen erst nach der Wende. Heute sind allein in Sachsen etwa 300 aktiv. Dazu gibt es Suchtkliniken mit Langzeittherapien, Angebote für Entgiftungen und ambulante Betreuungen.

Das Gespräch führte Gabriele Fleischer.

Hier gibt es Hilfsangebote.