SZ +
Merken

Generalvikar empfängt Jakobspilger

Eine Pilgerreise hat den Weg zum Ziel. Doch was, wenn der Weg zu Ende ist? Wenn die gewaltige Kathedrale von Santiago de Compostela, gebaut aus vielen Pilgersteinen, aufragt und kein einziger Schritt...

Teilen
Folgen
NEU!
© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ines Eifler

Eine Pilgerreise hat den Weg zum Ziel. Doch was, wenn der Weg zu Ende ist? Wenn die gewaltige Kathedrale von Santiago de Compostela, gebaut aus vielen Pilgersteinen, aufragt und kein einziger Schritt mehr zu tun ist? „Dann fallen viele in ein Loch“, sagt Alfred Hoffmann, Generalvikar des Bistums Görlitz und seit Ende der 90er Jahre begeisterter Jakobspilger. Er selbst hat die Einsamkeit, die Dunkelheit am Ende des Jakobsweges zwar nie erlebt, die jemanden umfangen kann, der wochenlang gelaufen ist, immer ein Ziel vor Augen, oft in Gesellschaft Gleichgesinnter, am Ende wieder allein. Doch Hoffmann weiß davon.

Deshalb übernimmt er in wenigen Tagen für zweieinhalb Wochen den seelsorgerischen Dienst für die deutschen Pilger in der Kathedrale von Santiago. Er wird sie gemeinsam mit zwei Nicht-Priestern in Empfang nehmen und für diejenigen da sein, die nach den Wochen der Anstrengung und der inneren Einkehr all das aussprechen wollen, was sie auf dem Weg erlebt oder erkannt haben. Er freut sich auf alle, die sich ihm anvertrauen möchten oder Trost brauchen in ihrer Trauer über das Ende des Unterwegsseins. Sie alle haben die Möglichkeit zu Gruppengesprächen und Austausch mit anderen Pilgern. Jeden Morgen, wenn die Kathedrale noch leer ist, hält Alfred Hoffmann eine Andacht mit ihnen am Grab des Heiligen Jakobus, in der jeder persönliche Fürbitten sprechen kann. Seine beiden Kollegen laden abends zu geistlichen Rundgängen um die Kathedrale ein, in denen die zahlreichen steinernen biblischen Szenen und Figuren lebendig werden. Vormittags wird Alfred Hoffmann im Beichtstuhl diejenigen erwarten, die sich etwas von der Seele reden möchten. Und zwar nicht nur auf Deutsch, sondern der Priester versteht auch Polnisch, Englisch, Französisch und etwas Spanisch. „Manche ziehen auf ihrem Jakobsweg eine Art Lebensbilanz“, erzählt Hoffmann, „und haben dann in Santiago das Bedürfnis, eine Lebensbeichte abzulegen. Der Weg verwandelt einen Menschen ja auch.“

Auf seinen bisherigen Gruppenpilgerreisen in den vergangenen Jahren hat Alfred Hoffmann schon viele Menschen erlebt, die nach Tagen oder Wochen auf dem Jakobsweg ihr ganzes Leben wie in einem Brennglas vor sich sahen. „Andere befreien sich von einer schweren Lebenslast“, sagt er. Symbolisch, indem sie einen Stein mitnehmen und ihn im rechten Moment irgendwo ablegen, aber auch tatsächlich. So erinnert er sich an eine Frau, die nach langen Jahren der Unzufriedenheit und Verbitterung plötzlich ihrem Ehemann verzeihen konnte und sich erlöst fühlte. Und er denkt noch manchmal an den alten Mann, der in der Jugend eine Hand verloren hatte, sich nichts sehnlicher wünschte, als den Jakobsweg zu gehen, und dann dort eines Tages unbefangen wie ein Kind in den Wind rief: „Ich bin so glücklich!“

Diesmal aber führt Alfred Hoffmann keine Pilgergruppe nach Santiago de Compostela, sondern folgt zum zweiten Mal dem Angebot und Wunsch eines befreundeten Priesters aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die von dort aus initiierte Pilgerseelsorge mit zu übernehmen. Zum ersten Mal hat er 2011 in seinem Jahresurlaub diesen Dienst getan. Auch wenn es eigentlich kein Urlaub ist, sondern Alfred Hoffmann den Empfang der Pilger als Herausforderung begreift, sagt er: „Trotzdem ist es für mich sehr erholsam.“ In dieser intensiven Aufgabe fühle er sich so lebendig, dass er nach einem Sinn des Lebens nicht zu fragen brauche, sondern es gut sei, da zu sein.

Ein paar Tage Urlaub will er an den Aufenthalt in Santiago dennoch anschließen. Kann er den Weg bis dahin aus Zeitgründen zwar nicht pilgern, geht er von da aus aber weiter, bis ans „Ende der Welt“ Kap Finisterre. Da, am Atlantik, 100 Kilometer westlich von Santiago, ist der Jakobsweg dann wirklich zu Ende.