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Ein Schloss als Zentrum für Gesundheit

Das erste Landambulatorium der DDR erlebt eine Renaissance. Doch wie holt man Ärzte aufs Land?

Von Birgit Ulbricht
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Das Alte Schloss in Zabeltitz war das erste Landambulatorium der DDR. Im Jahr 1954 kam dann das erste Landambulatorium als kompletter Neubau – und zwar in Schönfeld. Jetzt soll in Zabeltitz ein Gesundheitszentrum entstehen.
Das Alte Schloss in Zabeltitz war das erste Landambulatorium der DDR. Im Jahr 1954 kam dann das erste Landambulatorium als kompletter Neubau – und zwar in Schönfeld. Jetzt soll in Zabeltitz ein Gesundheitszentrum entstehen. © Fotomontage: Kristin Richter

Großenhain. Ein Traum wird wahr. Das gute alte Landambulatorium könnte mit neuer moderner Gestalt wieder ins Leben der Menschen zurückkehren. Die Stadt hat jedenfalls nach jahrelanger Vorarbeit mit einem mutigen Schritt den Weg dafür freigemacht. Sie gibt eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. An wen, das muss erst noch eine Ausschreibung zeigen. 

Der Beschluss zu diesem Schritt ist schon die ganz hohe Schule. Denn hier hat sich die Stadt Großenhain nicht mal eben im Kämmerlein gedacht, was nett wäre. Dem Stadtratsbeschluss ist ein Behördenmarathon mit Gröditz, Wülknitz, Lampertswalde, Zeithain, Röderaue, dem Amt Schradenland, sämtlichen sächsischen Ministerien, dem Landratsamt, Kliniken und nicht zuletzt der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen vorausgegangen. 

Letztere ist ganz entscheidend, wie die Linken-Stadträtin und frühere Landtagsabgeordnete Kerstin Lauterbach in ihrem Plädoyer am Mittwochabend zu bedenken gab. Nur wenn die Kassenärztliche Vereinigung einschätzt, dass die ländliche Region nördlich von Großenhain und im südlichen Brandenburg medizinisch unterversorgt ist, hat Großenhain überhaupt die Möglichkeit, ein Gesundheitszentrum zu planen. 

Die Ärzte dann aufs Land zu holen, wird noch einmal eine Hausnummer für sich, wie Stadtbaudirektor Tilo Hönicke zugab. Aber um diese Aufgabe komme die Stadt nicht herum. Einmal, weil das historische Gebäude da ist. Zum anderen, weil ein medizinischer Versorgungspunkt einfach gebraucht wird. Mit Bedacht wollen Stadt und Stadträte dieses Zentrum nicht Ärztehaus, sondern Gesundheitszentrum nennen. Denn überlegt wird auch, ob man hier eine Tagespflege für Senioren und vielleicht andere, weitere Gesundheitsbranchen unterbringen könnte. Auch eine Notfallversorgung – keine Notfallambulanz – ist der Stadt wichtig. 

In welcher Form das Alte Schloss dann geführt werden könnte, durch einen freien Träger oder eine Kapitalgesellschaft, wie Stadtrat Kai-Uwe Schwokowski fragte, das alles ist noch völlig offen. Klar ist nur und das stellte Oberbürgermeister Sven Mißbach klar, „das wird in Sachsen etwas völlig Neues sein“. Vor allzu viel Neuem warnte Schwokowski gleich und erinnerte an die Hochzeit, als man sich die ersten Naturbäder angesehen habe und auch etwas „ganz Neues“ machen wollte. Doch damit ist dieses Projekt sicher nicht vergleichbar. Denn hier spielen völlig andere Behörden und Verbände mit, die ihre gesetzlichen Vorgaben machen. Dementsprechend klingen die Pläne für das Gesundheitszentrum bei genauem Hinhören auch schon anders als die erste Pläne von einem Ärztehaus im August 2015. Da wurden gerade die Möbel aus dem Jägersaal geräumt. 

Der Ortschaftsrat hatte das letzte Mal im Alten Schloss getagt. Denn Dr. Ronald Mai, der eine Praxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Schloss führt, übernahm die komplette Etage für seine Praxis. Für fünf Ärzte und eine Prophylaxehelferin drei Behandlungszimmer und einen OP bei etwa hundert Patienten am Tag und nur neun Sitzgelegenheiten im Wartezimmer – das war nun wirklich zu eng. Er habe, wie er schmunzelnd betonte, eine Profilneurose und neige als immer noch Forschender in der Dresdner Uniklinik zu kollegialem Tun. Sprich, Dr. Mai wollte nicht allein bleiben in seinem Schloss. Als Kiefer- und Gesichtschirurg ist der fachliche Austausch mit HNO-Arzt, Neurologe, Augenarzt und Anästhesisten geradezu Pflicht. Nichts sei so schlimm, wie ein Spezialist, der über Jahre allein vor sich hinarbeite, so Dr. Mai zu seinem Credo. In Zabeltitz werden nicht nur Kiefer-Operationen ausgeführt, sondern auch Gesichtsoperationen nach Unfällen oder Tumorerkrankungen.

„Das ist keine Beverly-Hills-Praxis, sondern eine ganz bodenständige Chirurgie, auch für Kassenpatienten“, erklärte Dr. Mai. Der Mediziner will renommierte Kollegen aufs Land holen, statt, dass die in die Städte abwandern. So könnte Zabeltitz zum Versorgungszentrum von überregionaler Bedeutung aufsteigen. Seine Praxis zieht bereits Patienten aus einem Umkreis von gut 70 Kilometern an. 

Mai selbst genießt diesen überregionalen Ruf längst. Er organisiert internationale Tagungen, forscht an der Dresdner Uniklinik und kooperiert mit einem Schweizer Labor für Implantatforschung, das er selbst als junger Mediziner bei seinem alten Ordinarius mit aufgebaut hat. Dass die Praxis auch wirtschaftlich in Zabeltitz laufen wird, das hatte ihm in der Zeit der ersten Planung ausgerechnet ein Analyst vorgerechnet, der sonst ausschließlich für Mc Donalds arbeitet. Doch Ärzte wirklich zum Umzug zu bewegen berührt nicht nur Lebensplanung, sondern auch die gesetzlichen Vorgaben für die Vergabe von Facharzt-Sitzen. 

Riesa-Großenhain – als eine Betrachtungsregion für die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen – gilt bei einigen Fachärzten als überversorgt, bei anderen als unterversorgt. Der Standort Zabeltitz kann deshalb von vornherein für manchen Mediziner je nach Fachrichtung nur eine Zweigniederlassung sein. Da sind noch viele Verhandlungen mit den Kassen nötig. Da klingt der Umbau des Schlosses fast machbarer: Von 20 bis 30 Millionen ist die Rede. Doch das kann ohne hochkarätige Förderung über EU, Bund, Land nicht gehen.

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