SZ +
Merken

Görlitz will Wissenschaftler aus aller Welt anlocken

Am Untermarkt entsteht ein neues Forschungszentrum. Es soll in den nächsten Jahren deutlich wachsen.

Von Ingo Kramer
 5 Min.
Teilen
Folgen
Im Haus Untermarkt 20 saßen schon Kulturamt, Justiziariat und Denkmalschutzbehörde. Nun zieht ein neues Forschungszentrum ein.
Im Haus Untermarkt 20 saßen schon Kulturamt, Justiziariat und Denkmalschutzbehörde. Nun zieht ein neues Forschungszentrum ein. © Nikolai Schmidt

Jetzt geht es ganz fix: Der erste Wissenschaftler für das im November vom Bund angekündigte neue Institut kommt schon im März an den Untermarkt. Der Mann aus Kiel forscht dazu, wie man quantenmechanische Probleme besser und schneller berechnen kann. „Er wusste von Görlitz und hat sich genau darauf beworben“, sagt Michael Bussmann. Er ist selbst Physiker, arbeitet am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf – und leitet den wissenschaftlichen Aufbau des neuen Instituts im Gebäude Untermarkt 20 in Görlitz – da, wo zuletzt die Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt ihren Sitz hatte.

Das neue Institut hat einen schwierigen Namen, unter dem sich kaum einer auf Anhieb etwas vorstellen kann: Zentrum für datenintensive Systemforschung. Doch Bussmann kann ihn erklären: „Zusätzlich zur Grundlagenforschung gibt es auch Forschung zu ganz realen Dingen aus unserem Leben, zum Beispiel zum Klimawandel.“ Um zu verstehen, was Klimawandel bedeutet, braucht es verschiedene Wissenschaftsdisziplinen. In jeder Einzeldisziplin gibt es Spezialisten. Am Ende aber muss alles zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden, um die Folgen des Klimawandels kennenzulernen – die ökonomischen, die ökologischen, aber auch die sozialen Folgen. „Und das ist Systemforschung“, sagt Bussmann. Datenintensiv sei sie deshalb, weil die Spezialisten aus den einzelnen Disziplinen jede Menge Daten mitbringen. Die müssen zusammengeführt werden.

Wissenschaftler, sagt Bussmann, müssten heutzutage zusammenarbeiten, um gesellschaftlich relevante Themen zu bearbeiten: „Es gibt keinen, der von allen Gebieten Ahnung hat.“ Hinzu kommen die neuen Technologien durch die Digitalisierung: „Wissenschaftler müssen nicht nur exzellente Forscher sein, sondern auch Experten in all den Technologien werden, die sich ständig weiterentwickeln.“

Klingt kompliziert, soll aber am Ende gut nachvollziehbar sein. Der Klimawandel ist dabei freilich nur eines der Forschungsfelder. Auch in der Biologie geht es immer mehr um Systemforschung. „Es braucht interdisziplinäre Betrachtungen von der Molekularbiologie bis zur Genetik, um ein Gesamtbild zu bekommen“, sagt Bussmann.

Damit der Aufbau des neuen Forschungszentrums in Görlitz gelingt, arbeiten fünf renommierte Partner zusammen: Neben Bussmanns Helmholtz-Zentrum auch das Umweltforschungszentrum Leipzig, die TU Dresden, das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik Dresden und die Fakultät Informatik der Uni Breslau. Am Anfang wird sich das neue Institut auf die Forschungsschwerpunkte der fünf Partner fokussieren. Mit der Zeit werde Görlitz aber klare eigene Stärken entwickeln, so Bussmann: „Das wird kein Gemischtwarenladen, der alles macht.“ Wo diese Schwerpunkte liegen werden, sei auch von den Forschern abhängig, die nach Görlitz kommen werden.

Als Sitz hat das Institut das Haus Untermarkt 20 von der Stadt gemietet. Ein Kauf ist nicht geplant. „Der Mietvertrag ist in der Endverhandlung, nach jetzigem Stand sind keine größeren Umbauten, sondern nur kleinere Renovierungsarbeiten geplant“, sagt Rathaussprecherin Silvia Otto. Bussmann bestätigt das: „Baulich ist nicht viel zu tun, das Gebäude ist im guten Zustand.“ Es werde nur renoviert: „Der Teppich soll raus, und wir streichen es.“ Außerdem sei die Netzwerktechnik veraltet: „Wir brauchen einen besseren Netzanschluss.“

Klar ist allerdings auch: Langfristig ist das Gebäude viel zu klein. Es soll jetzt erst einmal für den Anfang dienen. Wenn die Mitarbeiterzahl gewachsen ist und das Gebäude aus allen Nähten platzt, ist ein Umzug in ein größeres Gebäude geplant. Welches, steht jetzt noch nicht fest. Sicher ist nur: Es soll auf jeden Fall in Görlitz sein. Und die Wissenschaftler sollen nicht über mehrere Standorte in der Stadt verteilt werden, sondern alle im gleichen Gebäude untergebracht sein.

Dass das Institut wachsen will, steht fest. Wie schnell, hängt von der Anzahl der guten Bewerbungen ab. Bussmann fällt es schwer, hier konkrete Zahlen zu nennen. Er spricht von einer Anschubphase, die bis Ende 2021 dauern soll und in der die öffentliche Hand die Finanzierung übernimmt. „Wenn wir am Ende dieser Anschubphase vier starke Forschergruppen mit insgesamt 40 Wissenschaftlern hätten, wäre das schön“, sagt er. Festlegen will er sich auf diese Zahl aber nicht – genauso wenig wie auf eine langfristige Größe. Zwar sei es das Ziel, in fünf Jahren bei 100 Wissenschaftlern zu sein, aber das sei eben von vielen Faktoren abhängig und damit eher ein Wunsch als eine feste Vorgabe.

Auch die Finanzierung für die Zeit ab 2022, also nach der Anschubphase, ist derzeit noch in der Diskussion. Klar ist aber: Das neue Institut soll auf jeden Fall langfristig bestehen: „So etwas baut man nicht für wenige Jahre auf.“ Bussmann hat auch keine Sorgen, genügend Wissenschaftler zu finden, die bereit sind, in eine relativ kleine Stadt wie Görlitz zu kommen: „Wir müssen gute Arbeitsbedingungen schaffen, dann bekommen wir Leute von überallher.“ Mit „überallher“ meint er die ganze Welt. Aktuell gebe es beispielsweise einen Bewerber aus China und einen aus Oxford.

Apropos Oxford: Das sei räumlich mit Görlitz durchaus vergleichbar: Oxford liegt eine Stunde von London entfernt, Princeton eine Stunde von New York, Görlitz eine Stunde von Dresden: „Diese Orte sind attraktiv für Forscher, weil dort interessante Wissenschaft gemacht wird.“ Hinzu komme, dass gar nicht alle Forscher Großstadtmenschen seien. Und, dass Wissenschaftler sich über Orte freuen, an denen sie von ihrem Gehalt eine Wohnung für sich und ihre Familien bezahlen können. Das sei in Görlitz definitiv möglich.

Allerdings nimmt das Zentrum für datenintensive Systemforschung nicht jeden. „Da wir fächerübergreifend arbeiten, brauchen wir Leute, die gern mit anderen Menschen zusammenarbeiten“, sagt Bussmann. Der einsame Forscher, der sich am liebsten allein beschäftigt, sei hier definitiv falsch.

Mehr zum Thema:

Groß-Institut kommt an die Hochschule
Eine Riesenchance für Görlitz

Mehr Lokales unter:

www.sächsische.de/goerlitz