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Hier wird Senf von Hand gemahlen

500 Jahre reicht die Geschichte der Bautzener Hammermühle zurück – am Denkmaltag beginnt ein neues Kapitel.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Auf den frischgeölten Dielenbrettern zeichnen sich dunkel die Schatten der Fensterkreuze ab. Der Holzfußboden verströmt einen nussigen Leinöl-Duft. Stephan Hierl steht in der vierten Etage der historischen Bautzener Hammermühle. Plansichterboden wird dieser Bereich genannt. Der 41-Jährige greift zu einem viereckigen Holzgestell mit bespannter, weißer Gaze. Dieser Siebrahmen befindet sich normalerweise im Inneren der Holzschränke, die hier oben stehen. „Wenn die Mühle läuft, vibrieren sie. So wird das Mahlgut gesiebt. Die größeren und mittelgroßen Kornteile werden zurück in den Walzenstuhl geführt, um erneut gemahlen und gesiebt zu werden“, sagt Stephan Hierl.

Die gelbe Senfsaat wird in der Mühle zu Senf und Senföl verarbeitet.
Die gelbe Senfsaat wird in der Mühle zu Senf und Senföl verarbeitet. © Uwe Soeder
Zwischen diesen beiden Granitsteinen wird aus der flüssigen Senf-Maische eine feste Paste.
Zwischen diesen beiden Granitsteinen wird aus der flüssigen Senf-Maische eine feste Paste. © Uwe Soeder
Die Hammermühle an der Spree in Bautzen ist ein Blickfang. 500 Jahre reicht ihre Geschichte zurück.
Die Hammermühle an der Spree in Bautzen ist ein Blickfang. 500 Jahre reicht ihre Geschichte zurück. © Uwe Soeder

In letzter Zeit steigt er häufiger die Stufen unters Dach der Mühle hinauf. Dort steht auch der Aspirateur. Die Reinigungsmaschine ist neuerdings der Senfsaat vorbehalten. In einem Sack liegen die gelben Körner bereit. Ihr großer Auftritt kommt am Tag des offenen Denkmals, am 13. September. Dann erlebt die Hammermühle eine Premiere: Die Produktion von handgemachtem Senf startet. „Bautzen, der Senf und die Mühle passen einfach wunderbar zusammen. Wir wollen zeigen, wie das Produkt entsteht“, sagt der Bautzener.

Auf seinem Weg zurück ins Erdgeschoss kommt er durch mehrere Etagen. Den Rohrboden durchzieht ein kunstvolles System unzähliger Röhren, darunter befindet sich der Mehlboden. Auf dieser Ebene wurden bis in die 90er Jahre Mehl und Schrott abgesackt. Das Herz der Mühle ist der Walzenboden in der ersten Etage. Dort wird Getreide zwischen Mahlwerken in den Walzenstühlen zu Mehl vermahlen. Der erste Mahlgang in dem großen Gebäude in der Seidau geht auf Ernst Heinke zurück. 1888 übernimmt der Müller das Grundstück an der Spree.

1493 entsteht eine Drahtmühle

Dessen Nutzung als Mühlenstandort beginnt freilich schon weit früher. 1493 lässt die Stadt Bautzen dort eine Drahtmühle errichten. 250 Jahre später wird an selber Stelle eines der wichtigsten Kapitel der Bautzener Industriegeschichte geschrieben: Der Eisenhammerschmied Johann Friedrich Clauß erwirbt 1740 das Grundstück. Einen Eindruck aus dieser Zeit vermittelt ein Bild an der Wand der Hammermühle. Es zeigt das damals noch wesentlich kleinere Ensemble, fast dörflich wirkt die Szenerie. Stephan Hierl bleibt davor stehen. „Mein Ur-Großvater Oswald Heinke hat den Wandel des Mühlenbetriebs in drei Darstellungen mit Pinsel und Farbe festgehalten“, sagt er.

Ein weiteres Relikt des Eisenhammers befindet sich im Mühlenhof. Auf einem Stein sind ein Amboss, die Initialen S.G.P. und die Jahreszahl 1767 zu sehen. S.G.P. steht für Samuel Gotthelf Petzold. Sein Enkel gilt als der Gründer des Bautzener Waggonbaus. Stephan Hierl erzählt die Geschichte und geht dabei über den Hof. Er will nach dem neugebauten Holzbackofen schauen. Dort bäckt der Kubschützer Bäckermeister Stefan Richter am Denkmaltag Kuchen und Brot. Die Kacheln des Ofens strahlen vor wohliger Wärme. Nachher will Stephan Hierl noch einen Pflaumenkuchen backen – zum Test.

Aber jetzt ruft erst einmal die Senfküche. Durch verwinkelte Gänge geht es im Erdgeschoss einmal quer durch die Mühle. Auf der anderen Seite der Mauern schmiegt sich die Spree ums Haus. Drinnen im Raum stehen ein großer Mahlstein aus Granit, ein Maischebottich aus Edelstahl und eine mannshohe Senfmühle in Ockergelb. „Darin wird die Senfsaat vermahlen. Das Mehl bildet mit Wasser, Essig, Salz und Gewürzen die Maische“, sagt der neue Bautzener Senfmüller.

Heilerde für den Orient

Nach einem Tag Ruhe schlägt die Stunde des Mahlsteins. Ganz langsam drehen sich die schweren Granitscheiben, sodass keine Hitze bei der Senfherstellung entsteht. So bleiben die ätherischen Öle erhalten. Der Senf und frisch gepresstes Lein,- Senf- und Sonnenblumenöl erweitern das Angebot der Firma „Heinke & Sohn“. Vor zwölf Jahren übernahm Stephan Hierl den Betrieb von seinem Großvater Herrmann Koitzsch – unter anderem um die Produktion von Siegelerde fortzuführen.

Das Heilpulver wird aus eiszeitlichen Lößablagerungen gewonnen, die vor den Toren der Stadt Bautzen zu finden sind. Unter dem Namen Lusatia eroberte es ab 1931 den Markt. Bis in den Orient lieferte die Hammermühle die Mineralien, die damals in keiner Hausapotheke fehlten. 1961 verbieten die DDR-Behörden die Siegelerde-Herstellung. Sie passt nicht ins Konzept der sozialistischen Planwirtschaft.

Inzwischen läuft die Produktion wieder. „Parallel zur Restaurierung der Mühle überlegen wir schon lange, wie wir das technische Denkmal wieder erlebbar machen können“, sagt Stephan Hierl und schaltet die Ölmühle an. In einem Trichter liegt die Leinölsaat. Sie braucht ein bisschen Wärme für die Herstellung von kaltgepresstem Leinöl. Ein nussiger Duft breitet sich aus. Mit der Hand am Metall der Ölmühle überprüft der Bautzener immer wieder die Temperatur. Dann drückt er auf einen Knopf. Eine Schneckenpresse zerquetscht die Leinsamen. Zäh tropft die gelbe Ausbeute auf ein Blech mit einer Schnauze. Nach knappen zehn Minuten schaltet er die Apparatur wieder ab. Er taucht einen kleinen Löffel in das Öl und macht zufrieden den Geschmackstest.

Danach kommt die Kostbarkeit luftdicht verschlossen in eine kleine, braune Flasche. Das Etikett darauf zeigt eine Bautzener Stadtansicht und rot den Schriftzug „Hammermühle Bautzen“. Mehr über deren Geschichte und die Senf-Herstellung erfahren die Besucher am Denkmaltag. Und natürlich können sie die neuen Produkte auch kosten und kaufen.

Die Bautzener Hammermühle, Seidauer Straße 2, lädt am Tag des offenen Denkmals zu Führungen ein. Der Denkmaltag findet in diesem Jahr am 13. September statt. Programm: ab 11 Uhr Backen mit Kindern, 11 bis 15 Uhr Musik mit dem Sorbischen National-Ensemble.