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„Ich habe doch selbst alles, was ich brauche“

Manfred Arnold wollte Flüchtlingen helfen und lädt ein Ehepaar spontan zum Shoppen ein. Die SZ war dabei.

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Von Britta Veltzke

Samira Dawud hat die Hände in den Taschen vergraben und schaut sich schüchtern zwischen den Kleiderständern um. Ihr Mann Yasin geht langsam auf mehrere blaue Jacken zu – warme, gesteppte Daunenjacken mit Kunstpelz an der Kapuze. Vorsichtig streckt er die Hand aus und berührt den Stoff. Er fühlt, ob er dick genug ist für die kalten deutschen Winter. Obwohl C&A in der Elbgalerie eher günstige Kleidung anbietet, könnten es sich die Dawuds nie leisten, hier einkaufen zu gehen. Sie sind mit ihren beiden Kindern aus Nordafrika vor dem Krieg geflohen. Bomben haben ihr Haus zerstört. Die fast drei Jahre währende Flucht hat die Familie nach Riesa geführt, wo sie seit Mai lebt. Ihr Heimatland wollen sie ebenso wenig nennen wie ihre richtigen Namen. Yasin Dawud hat früher für den inzwischen gestürzten Machthaber gearbeitet. Heute befürchtet er deswegen Übergriffe von Landsleuten. Die Rückkehr in die Heimat kann sich die Familie derzeit nicht vorstellen. Dort hatten sie ein gutes Leben, erzählt Samira Dawud, die an der Universität in der Hauptstadt Informatik studiert hat, bevor das erste Kind geboren wurde. Jetzt müssen sie von Sozialhilfe leben – neue Kleider sind da nicht drin. Deswegen können sie es auch noch nicht so richtig fassen, dass sie sich nun einfach etwas aussuchen können.

Dreißig spontane Spender

Möglich macht das Manfred Arnold. Für die Dawuds ist er ein völlig fremder Mann. Arnold selbst hätte sich Mitte dieser Woche noch nicht vorstellen können, dass er wenige Tage später mit einem unbekannten Ehepaar auf Shopping-Tour geht. Und? Wie kam es dazu?

Eilig hatte der 66-Jährige aus Staucha am Donnerstag die Zeitung gelesen – die Seiten überflog er nur schnell, weil ein Arzttermin anstand. Die SZ faltete er daher zusammen und nahm sie mit. Eine kleine Meldung aber blieb nach der kurzen Lektüre hängen. „Warme Jacken dringend gesucht“ stand in der Überschrift und darunter, dass Wintersachen für neuangekommene Flüchtlinge in Riesa benötigt werden. Im Wartezimmer beim Arzt packte er die Zeitung wieder aus und las den kurzen Text noch einmal. „Da war mir klar: Ich will helfen.“ Beschwingt von diesem spontanen Entschluss meldete er sich bei Udo Röhl, dessen Nummer unter dem Artikel angegeben war. Röhl kümmert sich ehrenamtlich um die Flüchtlinge, trägt Spenden zusammen und organisiert Fahrräder. „Wahnsinn, was so eine kleine Meldung auslösen kann. Um die 30 Spender haben angerufen. Aber so was, wie das Angebot von Herrn Arnold habe ich noch nie erlebt.“ Der Rentner hatte sich dazu entschlossen, zwei Menschen auf seine Kosten komplett neu einzukleiden. Röhl musste daraufhin eine Entscheidung treffen. Wer zieht das große Los? Das war eher Zufall. Röhl hat die Telefonnummer der Dawuds – und sie nahmen gleich ab, als er anrief.

Zurück zur Shoppingtour: Yasin Dawud hat dank der Verkäuferin Ulrike Frese eine warme Jacke gefunden. Sie verbindet keine gemeinsame Sprache. Die C&A-Angestellte aus Weinböhla kennt nur ein paar Brocken Englisch, Yasin Dawud spricht Arabisch. „Wir verständigen uns mit Händen und Füßen“, sagt Ulrike Frese lachend. Das Verkaufsgespräch mit Zeigen, Kopfschütteln und Nicken macht ihr sichtlich Spaß. Und weiter geht´s nebenan bei den Mützen. Ihr Kunde stülpt sich ein gestricktes Exemplar mit Norwegermuster über. Seine Frau Samira legt die Stirn und in Falten. „Not good“, sagt die 31-Jährige, die unbedingt bald Arbeit finden will. Der Spender Manfred Arnold begleitet das Geschehen und wirft ab und an einen Kommentar in die Runde. Jacke, Mütze, Handschuhe und eine Jeans für Yasin Dawud trägt die Verkäuferin zur Kasse, bevor es in die Damenabteilung geht. Samira Dawud sucht sich einen langen warmen Mantel. Auch Schuhe benötigt sie dringend. Das Paar Stiefel an ihren Füßen ist so eng, dass unmöglich noch ein weiteres Paar Socken hineinpassen. Sie muss ordentlich daran ziehen, ehe auch der rechte Stiefel von ihrem Fuß gleitet.

Auf der Suche nach einem Kopftuch

Gleich das erste gefütterte Paar Stiefeletten passt. Ein neues Kopftuch in einem Riesaer Geschäft zu finden, ist da schon schwerer. „Wir haben nur Loopschals“, sagt Verkäuferin Ulrike Frese fast entschuldigend. Mit den Tüchern in Form eines Schlauches kann Samira Dawud eher weniger anfangen. Dann entdeckt sie aber doch noch einen kunterbunten Schal, den sie sich geübt um den Kopf wickelt. Das Spiegelbild zeigt eine lachende, junge Frau mit großen, dunklen Augen und vollen Lippen.

An der Kasse beginnt Ulrike Frese, ein Kleidungsstück nach dem anderen einzuscannen. „Aber braucht die Dame nicht auch noch eine Hose?“, fragt der Spender Manfred Arnold, als sie die Verkäuferin fast fertig ist. „Gut“, sagt sie „dann gehen wir noch mal schauen.“ Und steuert mit Samira Dawud auf einen Hosenstapel zu.

Die Summe, die Manfred Arnold am Ende in dem Laden lässt, behält er für sich. Er freut sich über den gelungenen Einkauf. „Ich wollte helfen und ich selbst habe doch alles, was ich brauche“, sagt Arnold, der bis zu seiner Rente in der Nudelbude gearbeitet hat. Die Tausenden Demonstranten, die derzeit jeden Montag in Dresden auf die Straße gehen, haben dazu offenbar eine andere Meinung. Manfred Arnold winkt ab: „Wir sind doch alle nur Menschen. Wir können alle mal in eine Situation kommen, in der wir Hilfe brauchen. Das habe ich selbst erlebt.“ Ihm sind vor drei Jahren einmal jede Menge Wasser und Schlamm über das Grundstück und ins Haus gelaufen, nachdem es stark geregnet hatte. Feuerwehr und Leute aus dem Ort halfen ihm, danach wieder Ordnung zu schaffen. Arnold möchte nun auch etwas geben. Einfach Geld spenden, wollte er jedoch nicht. „Jetzt weiß ich, dass es angekommen ist.“ Und so ist: Überglücklich halten Samira und Yasin Dawud zwei volle Taschen mit der neuen Garderobe in den Händen.