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Im Sammelsurium des Wojtek Kuznowicz

In Lomnitz in Polen gibt es einen urigen Alte-Dinge-Laden. Der könnte der Beginn einer Kreativ-Kommune werden.

Von Irmela Hennig & Maria Marciniak
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Wojtek Kuznowicz betreibt in Lomnitz seit fünf Jahren einen Antik-Laden.
Wojtek Kuznowicz betreibt in Lomnitz seit fünf Jahren einen Antik-Laden. © Wolfgang Wittchen

Stalin und Lenin – die Konterfeis der ehemaligen sowjetischen Staatsmänner aus kommunistischen Zeiten stehen ganz oben im Regal. Neben Lenin hängt ein rot-weißer Rettungsring. Und ein Holzstuhl versperrt den Blick auf Josef Stalins berühmten Schnurrbart. Darunter füllen Vasen, Schalen und Flaschen einen weißen Schrank. Ein Engel, dem die Arme fehlen, lehnt an einer Holzplatte. Auf dem Boden stapeln sich Zeitschriften, auf einem Rollbild wird der Blutkreislauf des Menschen dargestellt ...

Wohin soll das Auge zuerst Blicken in diesem Sammelsurium, das für manchen ein Wirrwarr, für andere eine echte Fundgrube sein wird. Ob Wojtek Kuznowicz immer den Überblick hat, gar den Durchblick? Zumindest kennt er die Geschichten der kleinen und großen Stücke. Der Schrank mit den vielen Fächern gleich am Eingang seines Antik-Ladens in Łomnica (Lomnitz) bei Jelenia Góra (Hirschberg) gehörte mal zur Ausstattung einer Hutmacherwerkstatt. Darin wurden die ganzen kleinen Notwendigkeiten aufgewahrt, die ein Meister dieser Kunst benötigt. Die halbe Tür, die an einer Wand lehnt, ist der Rest eines Brandschadens. Wojtek Kuznowicz – ukrainischer Name – wird sie herrichten, oder etwas daraus machen.

Aber an diesem sonnigen Frühlingstag ist eine andere Tür dran. Sie wird im Hof gerade grün angestrichen. Dabei hat der Antiquitätenhändler gleich zweimal Geschichte im Blick. Gegenüber von seinem Laden liegt der Lomnitzer Park mit den beiden Schlössern. Direkt neben dem Haus, nur durch eine Wiese getrennt, steht eine Ruine. Die ehemalige Mangel des Schlosses. Oder besser, die Mangel, die einen Mann einst so reich gemacht hat, dass er sich das Lomnitzer Schloss kaufen konnte, wie Elisabeth von Küster erzählt – die heutige Schlossbesitzerin. Der begüterte Mann von damals war der Leinenhändler Christian Mentzel (1667 bis 1748). Er nutzte das einstig riesige Mangelgebäude, um Stoffe zu bleichen und Leinen zu veredeln. Einst sollen die Textilien in großen Bahnen unterm Dach zum Trocknen gehangen haben, beschreibt Elisabeth von Küster.

In dieser Ruine war einst die Mangel von Lomnitz untergebracht. Hier wurde Leinen veredelt und gebleicht. Das Gebäude könnte mal ein Kreativzentrum werden.
In dieser Ruine war einst die Mangel von Lomnitz untergebracht. Hier wurde Leinen veredelt und gebleicht. Das Gebäude könnte mal ein Kreativzentrum werden. © Wolfgang Wittchen

Heute ist das Gebäude nur noch Ruine. Das Dach fehlt, außer den Grundmauern ist fast nichts geblieben. Trotzdem haben die von Küsters die Reste gekauft. Und sie haben einen Plan dafür entwickelt. Hier soll irgendwann ein Kreativzentrum für Künstler, Kunsthandwerker und andere Ideenreiche entstehen. Die von Küsters wollen so der stetigen Abwanderung junger Menschen etwas entgegensetzen. „Sie gehen und sind lieber einer unter Millionen in Berlin oder Warschau, weil sie hier das Gefühl haben, es ist nichts los“, sagt Elisabeth von Küster. Doch in einem Kreativzentrum, in dem sie sich ausprobieren und ihre Produkte verkaufen können, gebe es für sie ein Angebot.

Die von Küsters wollen mit dem Projekt das Schlossensemble weiter beleben – oder wieder komplettieren. Denn entlang des Parks befand sich einst eine Art Gutsdorf. Mit Bäckerei, Brauerei, Ställen, einer riesigen Fachwerkscheune, an deren Stelle derzeit ein historisches, aus der Nähe von Zlotoryja umgesetztes Bethaus errichtet wird. Mit Wojtek Kuznowicz, dem 53 Jahre alten Maler und Bildhauer aus Zentralpolen und seinem Antik-Laden ist schon ein Anfang gemacht für das neue Gutsdorf. In die einstige Brauerei ist eine Glasmanufaktur eingezogen. Neben dem Antik-Laden befindet sich die Galerie eines mit Wojtek befreundete Künstlers.

Das relativ niedrige Gebäude war einst vielleicht ein Kuhstall. „Hier wurde Käse hergestellt“, glaubt Wojtek Kuznowicz. Elisabeth von Küster geht davon aus, dass hier eher die Schweitzer gewohnt haben, diejenigen, die das Milchvieh betreuten und die Milch verarbeiteten. In sozialistischen Zeiten gehörte es der polnischen Variante der LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Später wurde es verkauft an Privatleute und ist nun zum Teil Wohnraum. 

Wojtek würde das Haus gern kaufen, aber das sei ihm bislang nicht gelungen. Darin leben kann er auch nicht, alles schon belegt. Und in seinem Sammelsurium ist für ihn und die Familie kein Platz. Er lebt also im nahen Sobieszów (Hermsdorf). Für alte Dinge hat er sich schon immer interessiert. Als er nach Niederschlesien kam, staunte er, was so alles auf Dachböden, in Scheunen und Höfen noch zu finden war. Einen Teil davon verkauft er nun weiter – an Polen und an Deutsche.

Während sich seine Landsleute auch für Kitsch begeistern können, denken die Deutschen praktisch, hat der Händler erlebt: „Milchkannen, Nachttöpfe, Geschirr aus Zinn – das mögen sie.“ Und für andere gibt es Handtaschen, Puppen mit und ohne Bekleidung, Spiegel, Möbel, Kaffeekannen, Teddybären, altes Putzmittel der Marke „Malki Mylawe“, Tintenfässer, Lampen und, und, und, und, und, und ...

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