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In Leipzig trägt man jetzt Kleider aus Kabelbindern

Mit den „Designers Open“ ist Leipzig mal wieder internationale Drehscheibe für Gestaltungsideen der Zukunft. Das Thema heißt auch hier: Mehr Nachhaltigkeit.

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Innovativ, nachhaltig, wenn auch wenig alltagstauglich – Kunst eben: Das Model Anne präsentiert ein Kleid aus Kabelbindern. Entworfen wurde es von Laura Krettek, der jungen Frau auf der Staffelei.
Innovativ, nachhaltig, wenn auch wenig alltagstauglich – Kunst eben: Das Model Anne präsentiert ein Kleid aus Kabelbindern. Entworfen wurde es von Laura Krettek, der jungen Frau auf der Staffelei. © Peter Endig

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Nachhaltigkeit, sagt Niels Holger Wien, muss nicht Verzicht bedeuten. Modernes Design kann ökologisch sein und trotzdem heutiger Ästhetik und heutigem Wissensstand entsprechen – ohne Öl, Kohle und Plastik. „Die meisten Materialien für ihre Dinge müssen die Designer heute erst neu finden“, sagt der Trendforscher aus Halle. „Vorhandene Produkte werden komplett hinterfragt und neu gedacht.“ 

Niels Holger Wien gilt als Experte für innovative Farbtrends und Mode. Er ist zugleich einer der Kuratoren und Redner für die 15. Designers Open – eine Art Zukunftsmesse für Gestaltung, die am Wochenende in Leipzig über die Bühne geht. Mehr als 160 Gestalter aus zehn Ländern zeigen in der Kongresshalle am Zoo drei Tage lang innovative und nachhaltige Designideen und Trends, die weit über Sachsen hinausweisen. Titel: „DO! Future Matter“.

Laura Krettek und Leonie Löhr sind zwei von ihnen. Die Modedesignerin und Künstlerin Laura Krettek, 29, stammt aus Riesa, wurde in Dresden zur Bekleidungstechnischen Assistentin ausgebildet und hat in Schneeberg Design und Kunst studiert. Heute gestaltet sie in Leipzig ausgefallene Designs für Musikvideos, Fotoshootings und Messen, unter ihren Kunden sind große Namen der Branche. Doch ihre Materialien sind ökologisch: Wiederverwertete lange schwarze Kabelbinder zum Beispiel, aus denen sie ein Kleid gefertigt hat. Für die Designers Open hat sie zudem unter ihrem Label „Lauramo“ Accessoires entworfen, die für viele Kundinnen auch wirklich tragbar sind: eine Handtasche aus Korkleder zum Beispiel.

Leonie Löhr mit ihrem „Rollpferd“ aus Eichenholz. Die Räder halfen früher einem Senioren-Rollator vom Fleck.
Leonie Löhr mit ihrem „Rollpferd“ aus Eichenholz. Die Räder halfen früher einem Senioren-Rollator vom Fleck. © Peter Endig

Leonie Löhr denkt ähnlich. Mit ihrem Chemnitzer Label Okulat entwirft und fertigt die Bildhauerin seit zwei Jahren Möbel und Inneneinrichtungen aus ökologisch angebautem Holz aus regionalen Wäldern. Auf die Designers Open bringt sie indes eine andere Eigenkreation mit: ein höhenverstellbares Rollpferd für Kinder aus Eichenholz. Die Ohren sind aus dem Baumpilz Zunderschwamm, die Mähne aus Kokosfasern, und die Räder sind gebraucht: Sie taten zuvor an Rollatoren von Senioren ihren Dienst. „Ich wollte keine neuen Räder kaufen, sondern lieber etwas verwenden, das sonst auf dem Müll landen würde“, sagt die 30-Jährige, die aus Lindau am Bodensee stammt, zeitweise in Schneeberg studiert hat und nun in Chemnitz ihre Heimat gefunden hat. „In der Stadt gibt es viel mehr Platz als in Berlin und dazu viel Potential“, sagt die Designerin. Serienreif ist ihr Rollpferd allerdings noch nicht.

Die jungen Frauen gehören zu Sachsens Kultur- und Kreativwirtschaft, zu der nach Zahlen des Vereins „Kreatives Sachsen“ 10.000 Unternehmen in zwölf Teilbranchen zählen. Auf der Leipziger Messe werden aber auch internationale Projekte zu sehen sein: Das belgische Label „EcoBirdy“ zum Beispiel gestaltet seit vorigem Jahr Kindermöbel aus recyceltem Kunststoff – der wiederum recycelbar ist. Der britische Designer Gavin Munro lässt die Äste von Weiden so wachsen, dass daraus elegante und funktionale Stühle werden. Designer des „Gwangmyeong Upcycling Art Center“ in Südkorea verwandeln indessen Elektronikschrott in neue Kunst.

„Vor dem Hintergrund des Klimawandels müssen Designer neue Akzente setzen und neue Antworten auf die Zukunft geben“, sagt Deliane Träber, die Verantwortliche bei der Leipziger Messe, die die Designers Open seit 2013 ausrichtet. So präsentieren Trendforscher in einer eigenen Ausstellung innovative Produkte wie einen Rucksack aus Bananenfasern oder einen Stuhl mit Sitzschale aus Wollkomposit. „Hier ist garantiert alles nachhaltig und zukunftsorientiert“, sagt Träber.

Zu sehen sind auf der Designer-Messe vier unterschiedliche Bereiche: Möbel und Einrichtungen, Mode und Schmuck, Forschung und Industrie sowie Grafik und Medien. Dazu gibt es ein dichtes Programm mit einer Designnacht zur Eröffnung am Freitag, mit Modenschauen und Preisverleihungen, Vorträgen und Workshops. Auch Besucher können kreativ werden und in einem Workshop Abfall in Kunstwerke verwandeln. Darüber hinaus öffnen acht unterschiedliche Ausstellungsorte und Galerien in der Stadt ihre Tore. Darunter die sogenannte „Pilotenküche“ – ein Austauschort für Künstler in einem unsanierten, 100 Jahre alten Fabrikgebäude der früheren Dietzold-Werke, in dem jährlich 50 Kreative aus der ganzen Welt zusammenkommen und in kleinen Ateliers arbeiten.

Messe Designers Open vom 25.-27. Oktober in der Kongresshalle am Zoo, Leipzig