Darf man sich über einen vierten Platz freuen?

Nach dem Zieleinlauf ist der Ablauf streng geregelt. Die drei erstplatzierten Teams stellen sich für das klassische Jubelfoto vor der Fotografentraube auf, schreien ein „Yeahhh“ in die Kamera und recken ihre Ski in die Höh’. Die deutschen Skilangläuferinnen gehören nicht dazu, aber sie veranstalten ihre ganze persönliche Siegerehrung und feiern am Donnerstag ihren vierten Platz wie eine Medaille.
„Ich bin überwältigt. Dass wir überhaupt um eine Medaille mitfighten konnten, macht mich megastolz und lässt auf mehr hoffen“, sagt Katharina Hennig. Für die Frauenstaffel war es die beste Platzierung seit WM-Silber 2009 in Liberec. Die Oberwiesenthalerin Hennig hatte mit Victoria Carl, Sandra Ringwald und Laura Gimmler beim Sieg der Schwedinnen vor Norwegen bewiesen, dass sie als Team zurück in der Weltspitze sind.
Im bisher wärmsten Rennen dieser WM, das offiziell bei 14,5 Grad, aber in der Sonne weit über 20 Grad stattfand, lief die Sprintfünfte Carl ein mutiges Rennen, wechselte als Viertplatzierte auf Hennig, die ihr Team auf Rang drei vorlief. Ringwald, die Erfahrenste, baute den Vorsprung auf Verfolger Russland zeitweise auf 14 Sekunden aus, aber ist dann am „letzten Berg den Heldentod gestorben“, wie Peter Schlickenrieder beobachtete. Trotzdem habe sie nur mit einer Minilücke übergeben, lobte der Cheftrainer. Schlussläuferin Gimmler hielt lange gegen die Weltklasseläuferin Natalja Neprjajewa mit, ehe auch sie die Kräfte verließen. Dazu stürzte sie in der steilen Abfahrt kurz vor dem Ziel. „Ich bin schneller gelaufen, als ich konnte“, sagte sie – doch auch ohne dieses Malheur hätte es nicht mehr zu Bronze gereicht.
"Man muss Platzierungen auch mal relativieren“
Bis zur Heim-WM in Oberstdorf hat das Team exakt 728 Tage Zeit, wie der Cheftrainer ausgerechnet hat, „und da werden wir jeden davon nutzen“. Schlickenrieder herzte nacheinander seine vier Frauen. „Zwischenzeitlich haben die Mädels mit einer Medaille gerechnet, das hat man gesehen. Aber das fühlt sich an wie Bronze“, so der 48-Jährige. Der vierte Platz sei nicht hoch genug zu bewerten, „wenn man sieht, wen wir alles hinter uns gelassen haben“, wie die US-Amerikanerinnen und die Finninnen.
Mit Schlickenrieder, der seit diesem Winter der Chef der Langläufer ist, weht ein positiver Wind im deutschen Langlauflager. Auch den Dopingskandal, der am Tag zuvor in Seefeld aufgeflogen war, wollte er an sein Team gar nicht ranlassen. „Das ist momentan kein großes Thema. Es ist eher etwas, was wir im Frühjahr mal aufarbeiten“, meint er: „Es ist wichtig, dass wir eine Wertediskussion führen. Man muss Platzierungen auch mal relativieren.“
Der Olympia-Zweite von 2002 forderte erneut dazu auf, Erfolg nicht nur an den nackten Ergebnissen zu messen. „Ob du am Ende des Tages 27-mal Olympiasieger oder zehnmal Vierter geworden bist, ist scheißegal. Wichtig ist, dass man das Ding miteinander macht. Es muss klar sein, dass der Erfolg nicht alle Mittel heiligt.“

Schon vor Beginn der Wettbewerbe in Seefeld, als nur Kriminalbeamte von der geplanten Doping-Razzia wussten, hatte Schlickenrieder das Thema auf die Agenda gesetzt. „Wenn sich ein Sportler nur danach bemisst, welche Platzierung er erreicht, ist das gefährlich. Denn kommt das Ergebnis dann nicht, zerfällt das komplette Selbstwertgefühl.“ Ihm sei es wichtig, verstärkt wieder Werte wie Teamgefühl, Kameradschaft in den Mittelpunkt zu rücken. „Etwas gemeinsam zu schaffen“, betont er – „mit fairen Mitteln“.
Daher findet es der Bayer nicht gut, wenn in manchen Ländern „Olympiasieger Millionäre werden und nicht mehr arbeiten“. In Deutschland sei das ja anders. Als Langläufer müsse man schon einen positiven Vogel haben, weil der Sport enorm anstrengend ist, „aber du niemals deinen Lebensabend davon bestreiten wirst“.
Kein guter Tag für Frenzel
Dass die deutschen Kombinierer eine Stunde später den achten Platz von Lahtis Vierfach-Weltmeister Johannes Rydzek nicht feiern, überrascht dann aber auch nicht. Den Sieg vom Norweger Jarl Magnus Riiber nahmen sie trotzdem gelassen. „Wir haben zwei Goldmedaillen im Sack, da dürfen auch die anderen mal was gewinnen“, meinte Bundestrainer Hermann Weinbuch beinahe gönnerhaft. In der Kombination durfte erstmals seit der WM 2015 bei einem Großereignis eine andere Nation als Deutschland über Gold jubeln, und sogar erstmals seit mehr als zehn Jahren gab es keine WM-Medaille in einem Einzelwettbewerb. Kein Beinbruch für Weinbuch.
Auch Rekord-Weltmeister Eric Frenzel, der in Seefeld schon zwei Titel gewann, erwischte als 16. keinen guten Tag. Am Ende sparte er noch „ein paar Körner“ für die Staffel am Samstag. „Wenn wir unsere Leistung vor allem wieder auf der Schanze zeigen, ist alles drin“, sagte der Oberwiesenthaler. Dann wollen sich die Kombinierer auch wieder zum Jubelfoto aufstellen – aber möglichst nicht als Vierte.
