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Komm, wir schmieden uns ein Messer!

Mit Hitze, Herz und Funkenflug dengelt man sich in Stolpen seine ganz persönliche Klinge. Der Reporter testet den Werkunterricht für Große.

Von Jörg Stock
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Heißes Ding: Reporter Jörg Stock bearbeitet den Griff seines künftigen Messers, während Gerd Tannhäuser ihm assistiert. In der Stolpener Schmiede von Kalauch und Weber hält Meister Tannhäuser jeden Monat einen Messerschmiedekurs ab.
Heißes Ding: Reporter Jörg Stock bearbeitet den Griff seines künftigen Messers, während Gerd Tannhäuser ihm assistiert. In der Stolpener Schmiede von Kalauch und Weber hält Meister Tannhäuser jeden Monat einen Messerschmiedekurs ab. © Steffen Unger

Sechs Männer und sechs Hämmer. Man hat die Wahl. Nur der siebte Hammer, der ist tabu. „Das ist mein persönlicher“, sagt Gerd Tannhäuser. Und dann führt er vor, wie man ihn benutzt: Möglichst aufrecht stehen am Amboss, die Schläge nicht mit dem Unterarm führen, sondern aus der Schulter heraus. „Der Hammer fällt von alleine.“ Ein kleiner Impuls genügt, ihn ins Ziel zu führen. Und noch ein Wort zum Arbeitsschutz: Sachen, die am Schmiedefeuer liegen, könnten warm sein. Er sagt warm, meint aber mehrere hundert Grad. Also bitte nichts anfassen, ohne nachzudenken. „Das gibt sonst ganz hässliche Blasen.“

Wenn die Sonne in Stolpen aufgeht, wird in der Schmiede bei der Stadtscheune in Stolpen schon gewerkelt.
Wenn die Sonne in Stolpen aufgeht, wird in der Schmiede bei der Stadtscheune in Stolpen schon gewerkelt. © Steffen Unger

Stolpen ist noch schwer mit aufwachen beschäftigt, da brennt in der Schmiede bei den Stadtscheunen schon Licht. Es ist einer dieser Sonnabende, an denen der Schmiedemeister Gerd Tannhäuser statt ins Wochenende zu träumen ein halbes Dutzend neue Lehrlinge bemuttert. Ein langer Arbeitstag steht bevor. Ja, es wird anstrengend, sicher auch mal stressig. Aber letzten Endes ist er das gewöhnt, sagt der Meister. Hauptsache, es macht Spaß und jeder hat zum Feierabend etwas in der Hand: sein erstes selbstgeschmiedetes Messer.

Gerd Tannhäuser arbeitet seit zwanzig Jahren in der Schmiede von Kalauch und Weber in Stolpen. Metallbau ist das Alltagsbrot der Firma – Zäune, Tore, Treppen, Geländer, auch Grills. Tannhäuser aber hat sich früh auf die Metallgestaltung verlegt, also auf das freie Schmieden. Schneidwerkzeug ist seine Spezialität. An die fünfhundert Messer, so schätzt er, hat er bislang hergestellt, auch Schwerter, Beile, eine Axt. Inspiriert von einem Kollegen aus Österreich begann er 2012 mit dem Messerschmieden für Laien. Was behäbig losging, ist inzwischen zum Selbstläufer geworden. Die Kurse sind meistens schon ausgebucht, noch bevor der Termin feststeht.

Der Meister mag es, immer neue Leute, immer neue Charaktere zu treffen. Auch heute hat er sich eine bunte Mischung eingeladen: Einen Opa mit seinem Enkel, zwei junge Freizeitjäger, einen Produktentwickler für Medizintechnik und einen Zeitungsreporter. Frauen fehlen. Aber auch sie kommen zu Gerd Tannhäuser ans Schmiedefeuer. Nicht unbedingt, um sich ein Messer zu machen. Sie schmieden alles Mögliche. Nur gut aussehen muss es. Frauen haben ein anderes Formgefühl und andere Prioritäten als Männer, sagt der Meister. Für sie kommt es weniger auf die Benutzbarkeit an, als auf die Schönheit.

Die Kontur des Messers wird auf einer Schablone aus Stahlblech vorgezeichnet.
Die Kontur des Messers wird auf einer Schablone aus Stahlblech vorgezeichnet. © Steffen Unger

Die Aufwärmübung beginnt. Gerd – beim Arbeiten wird jeder geduzt – zeichnet die Kontur des Werkstücks mit Kreide an den Absaugtrichter über dem knisternden Koks. Eine kleine, mittelalterlich anmutende Klinge mit eingeringeltem Griff sollen wir herstellen. Dazu kriegt jeder ein Stück Baustahl, zehn mal zehn Millimeter Kantenlänge. Flach ins Feuer schieben, und nicht verbrennen lassen. Dann fallen die ersten Hammerschläge, etwas zaghaft noch, denn das grellrot leuchtende Metall, etwa 1 200 Grad heiß, gebietet Respekt. Der Meister fordert Courage. „Ihr könnt nichts kaputt machen.“

Ich teile mir den Amboss mit Thomas, dem Produktentwickler. Auf Arbeit befasst er sich mit feinsten Geräten für Schlüsselloch-OPs. Immerhin kann er als Mitglied eines Schnitzzirkels etwas anfangen mit Messern. Wie man sie herstellt, hat ihn schon länger interessiert. Außerdem ist Schmiedel sein Familienname. „Da muss ich ja auch mal was schmieden.“

Der Zunder spritzt. Der Vierkant wird langsam zu so etwas wie einer Schneide. Wo er das nicht wird, hilft der Meister. Pausenlos kreiselt er zwischen den Arbeitsplätzen. Die Szene erinnert ein bisschen an Werkunterricht. Nur dass die Hämmer und die Schraubstöcke hier ein paar Nummern größer sind, als im Schulkeller. Gerd ist gern der Lehrer, demonstriert, wie man die Ecken und Kanten des Ambosses zur Formgebung nutzt, wie man das heiße Metall um die Biegegabel windet, sodass es als Griff gefällig in der Hand liegt. Bis zum Frühstück ist die Probearbeit fertig.

Ausgediente Federn von Autos, Kleinbussen, ja sogar von Straßenbahnen geben einen guten Messerstahl ab.
Ausgediente Federn von Autos, Kleinbussen, ja sogar von Straßenbahnen geben einen guten Messerstahl ab. © Steffen Unger

Ein richtiges Messer wird daraus nicht. Baustahl ist zu weich. Ihm fehlt Kohlenstoff. Aber Federstahl geht. So werden nun Spiralfedern von Autos und Kleinbussen, Werkstattabfälle, zerteilt und die Stücke mit Feuer und Hammer begradigt. Wie das Messer aussehen soll, entscheidet jeder selbst. Am klarsten scheinen die Pläne der Jäger zu sein. Spitz soll die Klinge zulaufen, aber nicht zu lang sein, damit man genug Gewalt hat. Ein breiter Rücken wäre gut, um Druck auszuüben. Vor allem soll das Messer individuell sein, sagt Jäger Stefan. Eins von der Stange kann schließlich jeder kaufen. Er sieht sein Werk auch als Zeichen seiner Naturverbundenheit. Denn das Metall, sagt er, ist ja auch ein Naturprodukt.

Mit dem Setzhammer, auf den ein Vorschlaghammer trifft, werden Griffmulde und Klinge modelliert.
Mit dem Setzhammer, auf den ein Vorschlaghammer trifft, werden Griffmulde und Klinge modelliert. © Steffen Unger

Weil mein Messer einen extra breiten Massivstahlgriff haben soll, kriege ich ein Stück Straßenbahnfeder zugeteilt, ehemals an die vier Zentimeter dick. Gut, dass Nikolas, der echte Lehrling, es mit dem Lufthammer schon zum Flachstahl verarbeitet hat. So ist die Klinge schnell heraus geschmiedet. Gerd klemmt das Werkstück in eine Zange und legt die gerundete Finne des Setzhammers an. Ich haue mit dem Vorschlaghammer oben drauf. So arbeiten wir, Schlag um Schlag, die Griffmulde und den Fingerschutz ins Metall. Mit dem breitmäuligen Schlichthammer werden Kerben und Übergänge geglättet.

Die Form steht. Eine Ahnung von einem Messer allenfalls. Aber Gerd motiviert mich: „Gefällt mir gut.“ Ab damit in den Härteofen. 856 Grad Hitze.

Zehn Minuten bleibt der Rohling in dem kleinen Höllenschlund, bis ich ihn an der langstieligen Zange – schwups! – ins Ölbad senke. Feuer schießt auf. Als das Werkstück wieder auftaucht, ist es rabenschwarz, und ziemlich hässlich. Doch die inneren Werte zählen. Die Festigkeit sollte jetzt in etwa der eines guten Küchenmessers entsprechen.

Wenn das Werkstück seine endgültige Kontur hat, wird es im Ofen auf 856 Grad Celsius aufgeheizt.
Wenn das Werkstück seine endgültige Kontur hat, wird es im Ofen auf 856 Grad Celsius aufgeheizt. © Steffen Unger

Mittag ist vorüber und die Kaffeezeit rückt heran, zu schnell, um den Kuchen schon mit der eigenen Klinge zu teilen. Die Feinarbeit ist langwierig: schleifen, schleifen, schleifen. Für einen, dessen Standardwerkzeug der Stift ist, wird selbst ein handlicher Winkelschleifer ziemlich schnell ziemlich schwer. Dazu gesellt sich die Furcht, mit zu viel Druck oder einer ungeschickten Bewegung die Schneide zu demolieren.

Es geht auf fünf zu. Draußen wird es schon wieder duster. Zeit für den letzten Schliff am nassen Stein. Gerd schnipselt mit den brandneuen Klingen Streifen von alten Konstruktionsplänen ab – seine Qualitätskontrolle. Dann gibt es Urkunden für die neuen Messerschmiede. Auch Thomas hat sein Werkstück fertig. Es hat eine breite, halbmondartige Schneide bekommen. Was er damit anstellen wird? Zum Schnitzen taugt es weniger. „Aber wir sind begeisterte Pilzsucher“, sagt er. In der Vitrine verstauben wird es jedenfalls nicht.

Das Endprodukt ist erstaunlich scharf, aber zum Rasieren taugt es nicht wirklich.
Das Endprodukt ist erstaunlich scharf, aber zum Rasieren taugt es nicht wirklich. © Steffen Unger