Manchmal nützt Angst sogar

Mütter können zu Biestern werden. Väter auch. Wie gehen Kinder damit um? Wie verkraften sie die Trennung der Eltern? Wie erleben sie Angst, Wut oder Tod? Das erzählen die Bücher aus dem Klett Kinderbuchverlag Leipzig. Sie knüpfen an die Alltagserfahrung der Jüngsten an. Sie wagen sich an heikle Themen, und das aus Prinzip. Was Kinder fragen, wird hier beantwortet.
Als Monika Osberghaus den Verlag 2008 gründete, wollte sie Realität. Keine rosa Glitzerprinzessin, denn davon gibt es genug, und das wusste sie. Sie ist gelernte Buchhändlerin, hat Germanistik und Skandinavistik studiert und zehn Jahre lang die Kinderbuchseiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betreut. Vom Stuttgarter Klett-Verlag bekam sie das Angebot, einen Kinderbuchverlag zu entwickeln. Inzwischen hat sich Klett bis auf einen kleinen Anteil aus dem Geschäft zurückgezogen. Monika Osberghaus, Jahrgang 1962, ist Hauptgesellschafterin, eine einfallsreiche, wagemutige Verlegerin, Autorin und Übersetzerin.
Brauchen die Jüngsten gerade jetzt Problembücher? „Kinder spüren doch sowieso, was uns Erwachsene umtreibt“, sagt sie. „Wenn wir sie vor schwierigen Themen bewahren wollen, übertragen wir nur unser Schutzbedürfnis auf sie. Die meisten Kinder sind ganz schön stabil, sie sind lebensoptimistisch und lebensfroh. Weil sie unseren Erfahrungshintergrund noch nicht haben, gehen sie unbefangen auf die Dinge zu. Sie sind erst mal interessiert. Das sollten wir nutzen.“ Ihre Illustratoren und Texter fallen eher durch Schroffheit und Provokationslust auf als durch nette Liebenswürdigkeiten.
"Das Angsteinflößende vergrößern"
Vor einiger Zeit erschien in dem Leipziger Verlag ein Buch, das in jeder Lage hilfreich sein kann und jetzt besonders. Es erzählt von der Angst und heißt passenderweise „Das mutige Buch“. Hier gibt es keine billigen Sprüche wie: Du brauchst keine Angst zu haben. Hier können die Jüngsten lernen, dass Angst seit der Steinzeit etwas ganz Normales ist. Manchmal nützt sie sogar. Wer Angst hat vor dem knurrenden Nachbarhund, wird ihn nicht streicheln. Ist besser so. Andere Menschen fürchten sich vor Spinnen, vorm Zahnarzt, vorm Dunkeln oder vor Monstern unter dem Bett. Das Buch gibt Tipps, wie Kinder mit Ängsten umgehen können.
Darüber reden hilft schon mal. Monika Osberghaus zitiert einen Spruch vom Vater der Mumins aus der Bestsellerreihe der finnland-schwedischen Autorin Tove Jansson: „Wenn man Angst hat, muss man das Angsteinflößende vergrößern!“ Denn dann kann es sich nicht heimlich anschleichen. Dann steht es unübersehbar da. Im besten Fall kann man darüber lachen. Kinder lieben das Erschrecktwerden, meint Monika Osberghaus, „sie sind katastrophil“. Das erklärt auch den Erfolg von Pippi Langstrumpf, die furchtlos auf jedes Hindernis zugeht nach dem Motto: Mal sehen, was passiert.

In der skandinavischen Literatur entdeckt die Verlegerin schon lange mehr Mut für brisante Stoffe als hierzulande. „Dort gibt es viel schrägere und heißere Bücher, die wir uns nie trauen und auch nicht verkaufen würden.“ Als Beispiel nennt sie ein Kinderbuch, das sich mit der Alkoholsucht von Vater und Mutter befasst. „Ich fürchte, das Problem ist auch vielen deutschen Kindern vertraut. Das Buch würde ihnen echt guttun. Aber alkoholabhängige Eltern würden wohl kaum in den Buchladen gehen, sie würden das Buch wohl nicht kaufen.“
Gerade hat Monika Osberghaus ein Kinderbuch aus dem Schwedischen übersetzt und in ihrem Verlag herausgebracht. Der Titel: „Überall Popos“. Es erzählt von der kleinen Mila, die mit ihrer Mutter ins Schwimmbad geht und in der Umkleide lauter nackte Frauen sieht. Das, was die Beteiligten vielleicht als peinlich oder unangenehm empfinden, findet das Mädchen „cool“, amüsiert sich über unterschiedliche Poformen und „Schnurrhaare“.
Ein Kinderbuch sollte nicht pessimistisch enden
Gibt es überhaupt ein Tabu für die Leipziger Verlegerin? „Ein Thema, das ich nie behandeln würde, zumindest nicht für Kinder unter sieben, ist Abtreibung. Das brauchen Kinder in dem Alter noch nicht zu wissen. Es wäre eine zu schlimme Vorstellung für ein Kind, dass es vielleicht auch abgeschafft werden sollte.“ Die Verherrlichung von Gewalt wäre ebenso undenkbar. Und ein Kinderbuch über Corona? Die Verlegerin schüttelt nach kurzem Nachdenken den Kopf. „Ich möchte weder von erschöpften Ärzten und vielen Toten weltweit erzählen noch beschwichtigen. Ich frage mich immer, was lesenden Kindern zumutbar ist. Sie sollen nie verstört aus einem Buch gehen. Es sollte nicht pessimistisch enden. Kinder mögen auch keinen offenen Schluss.“
Also doch etwas heile Welt? Die Verlegerin beobachtet gerade, wie sich das Bild von einer heilen Welt ändert. Es sieht nicht mehr so aus wie in den Fünfzigerjahren. Heute zielt der Begriff auf politische Korrektheit: Manche Eltern möchten das Ideal von völliger Gleichberechtigung zwischen Geschlechtern, Klassen und Hautfarben im Kinderbuch dargestellt sehen. „Natürlich hätte ich auch gern eine buntere und gerechtere Welt, aber die lässt sich nicht herbeierzählen“, sagt Monika Osberghaus. „Und solange die Kinder auf dem Schulhof eine andere Erfahrung machen, beschäftigen wir uns damit.“
In diesen Tagen plant sie das Herbstprogramm, sechs, sieben Titel für Kinder zwischen zwei und zwölf und ihre Erwachsenen. Auch richtig schöner Quatsch findet einen Platz bei Klett Kinderbuch: alberne Reime, witzige Bilder, Sprachspielereien. Etliches lässt sich gerade jetzt von der Verlagsseite downloaden. Buchhändler bieten das Programm im Onlineshop an. Die Verlegerin hofft, dass die Bestellzahlen nicht noch weiter zurückgehen. Und sie hofft darauf, dass Eltern die unfreiwillige Pause zu Hause auch zum Vorlesen nutzen, zum Kuscheln und zum Reden über das Gelesene. „Das gehört ja alles zusammen“, sagt Monika Osberghaus und bekennt sich ausnahmsweise zu einem altmodischen Wort: behaglich.
Weitere Informationen finden Sie unter www.klett-kinderbuch.de