Der Mann hinter dem „Nazinotstand“

Er trägt eine gelb leuchtende Jacke mit der Aufschrift „Pegizei“, Rauschebart, ein klappriges Rad – das blaue Hemd und die rote Krawatte sind „Uniform“ bei Die Partei – dazu Weste und Sakko. Dazu ein kleines Messer am Gürtel. Max Aschenbach fällt auf. Das will er auch. „Aber nur die öffentliche Person“, sagt er. „Als Privatperson stehe ich nicht gerne im Mittelpunkt, mir gefällt der ganze Trubel nicht.“
Doch Trubel hat er selbst ausgelöst, bewusst. Derzeit fährt er mit seinem Rad von einem Medientermin zum nächsten: CNN, BBC, Titel, Thesen, Temperamente, Die Zeit, russisches und ukrainisches Fernsehen – alle wollen mit Aschenbach sprechen. Er ist der Stadtrat, der den Antrag mit der Überschrift „Nazinotstand?“ eingebracht und es geschafft hat, dass eine Mehrheit der Politiker dafür stimmte. Dass es sich dabei um eine Grundsatzerklärung gegen Rechtsextremismus handelt, ist in den Hintergrund getreten. „Dresden ruft Nazinotstand aus“, wurde weltweit berichtet.
„Das habe ich mir am Wahlabend ausgedacht“, erzählt er. Ende Mai, als feststand, dass Die Partei mit ihm in den Dresdner Stadtrat einzieht. Aschenbach kam auf 3.078 Stimmen. Das sind mehr, als manche Politiker von größeren Parteien erhielten. „Eigentlich wollte ich nur die Grünen ärgern, weil ich wusste, dass sie bestimmt den Klimanotstand fordern.“ Es sollte eine Art „Erpressung“ werden: Wenn ihr für den „Nazinotstand“ stimmt, stimme ich für den Klimanotstand. „Dann hat es sich ergeben, dass das keine schlechte Idee ist“, sagt Aschenbach mit Blick auf den „Nazinotstand“. Er finde es gut, dass es nun eine weltweite Debatte darüber gibt. „Ich habe damit gerechnet, dass es bundesweit Erwähnung findet. Aber wer hätte gedacht, dass passiert, was gerade passiert?“

Ja, es werde ihm manchmal etwas zu viel, die ganze Diskussion darum, die Anfragen der Medien, die zum Teil üblen Beleidigungen in sozialen Medien und heftigen Angriffe in der Stadtratssitzung. „Eine Stunde lang nur beleidigt zu werden, ist schon krass. Aber das gehört zu meiner Rolle. Ich kann zwischen mir und der öffentlichen Person unterscheiden.“ Aschenbach ist eine Art Kunstfigur. Er ist Satiriker – geworden durch die Satire-Partei Die Partei.
Eigentlich ist Aschenbach Künstler. Der 34-Jährige wurde in Erfurt geboren. Nach dem Fachabitur in Gestaltung hat er an der Kunstakademie in Dresden studiert, dort sein Diplom gemacht. „Ich baue sehr gerne etwas.“ So hat er Maschinen entwickelt, Kisten, die krabbeln, Autos aus Klopapierrollen, und er hat ein eigenes Raumfahrtprogramm, das sich „Escape“ nennt. „Damit bereite ich meine finale Flucht vor“, erzählt er und wechselt im Gespräch immer wieder die Rolle zwischen Satire und ernsthafter Unterhaltung. Seine Maschinen bastelt er in einem kleinen Atelier in Radebeul. Beim Experimentieren mit kleinen Raketen hat er sich mal ein Loch in die Hand gesprengt. „Aber mit meiner Kunst verdiene ich nicht viel Geld.“ Er lebt von Hartz IV, die Entschädigung als ehrenamtlicher Politiker wird nun darauf angerechnet. Aschenbach wohnt in der Neustadt, mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn. Der ist fünf Jahre alt. „Deshalb baue ich jetzt vor allem mit Lego.“ Der Privatperson Aschenbach nimmt man ab, dass er ein fürsorglicher Vater ist.
Dem Satire-Politiker wird vorgeworfen, er sei verantwortungslos. Sein Stadtratskollege Tilo Wirtz (Die Linke) hat ihn wegen des „Nazinotstandes“ aufgefordert, sich zu entscheiden, ob er Satire oder Politik machen will. „Für Satire ist es nicht lustig genug“, sagt Wirtz. Als Politik sei es schlecht, was Aschenbach abliefere. „Ich finde es schön, wenn Stadträte mich auffordern, Satire zu machen“, entgegnet Aschenbach. „Ich hatte da bisher Skrupel.“
„Ich wollte die Arschlöcher ärgern, die alles kaputtmachen.“
Man müsse genau überlegen, wie man auf Aschenbach reagiert, meint CDU-Fraktionschef Jan Donhauser. „Ich bin fest davon überzeugt, er ist ein Provokateur, der das ganz bewusst macht.“ Das fange bereits bei dem Messer an, das Aschenbach offen am Gürtel trägt. „So richtig ernst nehmen kann man ihn nicht“, sagt Donhauser. „Ich bezweifle, dass er ein Interesse hat, Dresden voranzubringen.“ Vielmehr gehe es doch um seine eigene Inszenierung. Politik sei eine sehr ernsthafte Sache, sagt Grünen-Stadtrat Thomas Löser mit Blick auf Aschenbach. „Wir sind in einer Situation in Deutschland, in der wir es uns nicht verscherzen sollten.“ Für eine „Bereicherung“ hält dagegen SPD-Stadtrat Richard Kaniewski Aschenbach. „Er ist unkonventionell und spricht wichtige Themen auf eine andere Art und Weise an.“
Er sei nicht immer Satiriker gewesen, sagt Aschenbach selbst. „Das hat sich mit der Parteiarbeit ergeben.“ Vor etwa sechs Jahren kam er zu Die Partei. „Ich wollte die Arschlöcher ärgern, die alles kaputtmachen.“ Damit meint Aschenbach Politiker. „Da bot sich Die Partei geradezu an.“ Satire sei eine ernsthafte Sache, weil sie Missstände aufdeckt. Das sei sein Zugang zu Politik. Neu ist, dass ein Satiriker Teil des Politik-Systems und nicht nur Beobachter ist. „Weil Politik so uninteressant ist, ist es eine gute Möglichkeit, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen.“ Politikersprache sei es, mit vielen Worten nichts zu sagen. Er spreche eine Sprache, die jeder versteht – inspiriert von Kurt Tucholsky und Georg Kreisler.
Das Ernsthafte zeige sich daran, dass es eine Mehrheit für den diskutierten Antrag gab. „Weil alle, die leugnen, dass Dresden ein Problem mit Nazis hat, sich lächerlich machen“, meint Aschenbach. „Es ist doch absurd: Das Problem wird bejaht, aber die ganze Zeit wird über den Begriff gesprochen oder – noch alberner – über mich.“ Deshalb ist er auch nicht schockiert darüber, was er ausgelöst hat. „Wenn es Reaktionen gibt, muss es dafür Gründe geben.“ Also habe Dresden ein „Nazi-Problem“.
„Armutszeugnis für die Demokratie“
Aschenbach hat bereits in der Vergangenheit für Wirbel gesorgt. Die Partei hatte im Landtagswahlkampf Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf einem Plakat mit einem überlangen Geschlechtsteil abgebildet. Ein totes Flüchtlingskind am Strand, mit dem Schriftzug „Für einen Strand, an dem wir gut und gerne liegen“, dazu ein Teil des CDU-Logos. Auch andere Politiker wurden aufs Korn genommen. Mindestens die CDU ist stocksauer. All das geht auf Aschenbach zurück. Er hat die Plakate gestaltet. „Die Ideen entstehen in der Gruppe. Wir treffen uns und suchen die besten Witze“, sagt er. Das sei die Parteiarbeit. „Ich bringe auch Ideen ein und gestalte dann die Plakate dazu.“
So hat er sich bereits vorher unbeliebt gemacht, aber da stand er noch nicht so in der Öffentlichkeit. „Eigentlich bin ich ein harmoniebedürftiger Mensch.“ Er habe so lange wie möglich versucht, nicht in Erscheinung zu treten. Das habe sich mit der Wahl in den Stadtrat geändert. „Ich habe vielleicht ein Problem mit Kompetenzen und behaupteter Autorität.“ Da viele nicht zwischen Form und Inhalt unterscheiden können, provoziere er in diesem Bereich gerne. Satire fülle vielleicht eine Lücke. „Weil sie als einzige Form nicht darauf aus ist, gemocht zu werden.“ Deshalb treffen ihn Beleidigungen auch nicht. „Die schönsten Zuschriften beantworte ich auch.“
Und Aschenbach hat noch mehr in der Dresdner Stadtpolitik vor. „Ich will auf jeden Fall was mit Luftschiffen machen.“ Damit kenne sich schließlich auch Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) aus. „Dick“, wie Aschenbach ihn nennt, war, bevor er Bürgermeister wurde, Risikomanager bei Cargolifter. Das Unternehmen wollte Lastenluftschiffe entwickeln. 2002 ging es insolvent. „Das Konzept ist so absurd, da muss man in Dresden was draus machen.“ Und er will die Prager Straße umbenennen. Sie soll Westphal-Straße heißen, nach Hans-Jürgen Westphal – dem „Mann mit der roten Fahne“, der dort immer steht. Aber eines ist Aschenbach klar: „Jede Stimme, die eine Satire-Partei bekommt, ist ein Armutszeugnis für die Demokratie.“