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Therapeuten fordern Klarheit

Praxen im Kreis Bautzen schwanken zwischen medizinischer Verantwortung und unternehmerischem Risiko. Mit Corona fühlen sie sich allein gelassen.

Von Franziska Springer
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Aquakurse gibt es im RehaSalus derzeit keine mehr. Durch eine Übereinkunft mit ihrem Auftraggeber konnten Margrit Weißig und Thomas Wagner die Kurse absagen und das Ansteckungsrisiko so eindämmen.
Aquakurse gibt es im RehaSalus derzeit keine mehr. Durch eine Übereinkunft mit ihrem Auftraggeber konnten Margrit Weißig und Thomas Wagner die Kurse absagen und das Ansteckungsrisiko so eindämmen. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Ein Satz, so selbst- wie missverständlich: „Medizinische Einrichtungen bleiben weiterhin geöffnet“, heißt es, seit die Corona-Pandemie dafür sorgt, dass gesellschaftliches Leben auf ein Mindestmaß eingeschränkt wird. Aber was zählt unter diesen Begriff – und was nicht?

Offenbar fragten sich das zahlreiche Menschen im Landkreis, denn in vielen medizinischen Einrichtungen, wie etwa dem Therapiezentrum RehaSalus in Großpostwitz, standen die Telefone nicht mehr still. „Ständig riefen uns Leute an und wollten wissen, ob wir noch offen haben. Die Antwort lautet ganz klar: Ja“, sagt Margrit Weißig, Geschäftsführerin von RehaSalus.

„Dienste, die vorbeugen, heilen oder nachversorgen, zählen zu den sogenannten medizinischen Einrichtungen und damit zur kritischen Infrastruktur“, erklärt Margrit Weißig. Jedoch: „Wir betreuen ja Kunden und Patienten gleichermaßen“, sagt sie und meint: „Wir bieten hier normalerweise auch Aquakurse, Rückenschulen und dergleichen an. Das sind Präventionskurse. Sie sind medizinisch nicht zwingend notwendig.

Wer jedoch etwa einen diabetischen Fuß hat oder ein Lymphödem, das droht, mit Wasser vollzulaufen, den kann ich auch in Zeiten von Corona nicht unbehandelt lassen. Das sind aber Hochrisiko-Patienten. Die muss ich besonders schützen, solange mir ihre Behandlung nicht ausdrücklich untersagt wird.“

Schriftliche Antwort von der AOK

Nun läge es nahe, Maßnahmen, die medizinisch nicht zwingend notwendig sind, bis zum Ende der Coronakrise zu unterbrechen, um solche Risikogruppen nicht unnötig zu gefährden. Diesen Gedanken hatte auch Margrit Weißig. So wandte sie sich hilfesuchend an das Gesundheitsamt und die Agentur für Arbeit.

„Wir wollten klare Entscheidungen, haben vor dem Gesundheitsamt gestanden und geklingelt, aber niemand hat mit uns gesprochen.“ Die Agentur für Arbeit habe ihr auf ihre Anfrage nach Kurzarbeit geantwortet, wenn sie vorhandene Arbeit eigenmächtig absage, wäre die Kurzarbeit vorsätzlich herbeigeführt. Eine Entschädigung hätte sie in diesem Fall nicht zu erwarten.

Letztlich hätte sie sich in ihrer Not an die Krankenkasse AOK gewandt. „Sie sind unser größter Auftraggeber. Dort hat man uns verstanden und schließlich schriftlich die Durchführung von Präventionskursen und Reha-Sport ausgesetzt. Dadurch greift nun die Kurzarbeiter-Regel. In diesem Fall hat der Unter den Ober geschlagen“, sagt Margrit Weißig.

Zwar sei seither wieder etwas Ruhe bei RehaSalus eingekehrt, wirklich zufrieden ist Margrit Weißig aber nicht: „Diese Entscheidung gehört einfach nicht zu einer Krankenkasse. Und sie gehört auch nicht zu uns. Wir sind genau an der Schnittstelle zwischen Mediziner und Unternehmer. Ich muss hier 75 Leuten Lohn und Brot geben und dennoch medizinisch verantwortlich handeln.“

Ihre größte Sorge sei es, Dinge entscheiden zu müssen, die sie nicht zu entscheiden hätte, und damit ihr Unternehmen langfristig in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen. Ihre Forderung: „Wir brauchen klare Ansagen!“

Massive Absagen

Mit ähnlichen Problemen wie RehaSalus sind derzeit Praxis-Betreiber im gesamten Landkreis Bautzen konfrontiert. Ergotherapeutin Annett Weise aus Bischofswerda berichtet etwa von massiven Absagen durch ihre Kunden. Sie hat Verständnis: „Die Angst vor Ansteckung ist hoch. Das ist ja auch realistisch.“ Durch das Besuchsverbot für Altenheime dürfe sie dort keine Therapien mehr durchführen. Auf Weisung des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten und der Krankenkassen-Verbände habe sie außerdem alle Gruppentherapien abgesagt.

In ihrer Praxis werden Patienten nur noch einzeln behandelt – und auch nur dann, wenn sie keinerlei Symptome zeigen. „Natürlich bringt das erhebliche Umsatzeinbußen mit sich“, sagt Annett Weise. Diese könnten sich in den kommenden Wochen – etwa bei einer Ausgangssperre – noch verschärfen. Auch das Aussetzen nicht zwingend notwendiger Therapien sei dauerhaft fragwürdig: „Eine Therapiepause von vier Wochen ist sicher in vielen Fällen möglich. Aber bleibt es dabei? Wenn wir plötzlich über ein Vierteljahr sprechen, wird es kritisch.“

Aline Wollscheid betreibt die Physiotherapie-Praxis im Kamenzer Fitnessstudio und Gesundheitszentrum InJoy. Als Letzte hält sie dort die Stellung. Das InJoy zählt zur Sparte der Freizeiteinrichtungen und hat deshalb vorerst geschlossen. Die Absage der Kurse war hier einfacher als anderswo: „Der Rehasport wird ausschließlich über das InJoy angeboten“, erklärt Aline Wollscheid. In ihrer Praxis betreut sie derzeit nur noch einzelne Patienten. Das Ansteckungsrisiko sei deshalb überschaubar. Dennoch sagt auch sie: „Wir Praxen hängen so bisschen in der Luft.“

Sabine Rötschke vom Landratsamt Bautzen hat Verständnis für die Sorgen der Praxisbetreiber: „Ich verstehe all diese Bedenken völlig. Die Therapieeinrichtungen sind Mischformen, weshalb es hier schwieriger ist, konkrete Aussagen zu treffen als anderswo. Aus dieser Richtung kommen derzeit ganz viele Anfragen, die auch für uns nicht einfach zu bearbeiten sind.“

Landratsamt verweist auf Freistaat

Den vielfachen Forderungen nach einem Papier mit klaren Bestimmungen könne das Landratsamt nicht nachkommen: „Das muss der Freistaat regeln. Uns sind hier die Hände gebunden.“ Dennoch würden die Mitarbeiter im Landratsamt all diese Anfragen sehr ernst nehmen: „Wir versuchen mit einem wirklich großen Stab, alle Anliegen zu bearbeiten. Das können wir nicht immer zufriedenstellend, deshalb bin ich wirklich froh, dass die Kassenverbände selbstständig eine Lösung herbeigeführt haben.“

Gleichzeitig wirbt Rötschke auch um Verständnis. Das Landrats- und insbesondere das Gesundheitsamt seien derzeit völlig überlastet. Viele Mitarbeiter arbeiten derzeit bis zu zehn Stunden täglich. Rötschke verspricht, dass die Sorgen der Einzelnen auch dann nicht in Vergessenheit geraten, wenn die Ausbreitung des Virus eingedämmt und der Normalzustand allmählich wiederhergestellt ist: „Im Ernstfall halten wir zusammen! In diesen Krisenzeiten sind wir alle gleich.“

Dana Kostroa, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in Bautzen, rät allen betroffenen Praxen, die Kurzarbeit in jedem Fall anzuzeigen. Eine besondere Regelung bei Verdienstausfall durch die Absage medizinisch nicht zwingend notwendiger Angebote gebe es derzeit nicht. In solchen Fällen gelten die allgemeinen Bestimmungen zum Kurzarbeitergeld. Dieses stünde solchen Unternehmen zu, die infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erheblichen Arbeitsausfall zu verzeichnen hätten.

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