Misshandlung in der Abschiebehaft?

Es ist der 4. Juni dieses Jahres, ein Dienstag. In der Abschiebehaftanstalt an der Hamburger Straße wird ein marokkanischer Insasse in einen besonders gesicherten Raum eingeschlossen. Zuvor soll er Mitarbeiter angegriffen haben, nachdem ihm nicht mehr ermöglicht wurde, zu rauchen. In dem Raum springt der Mann schließlich unentwegt gegen das Fenster und verletzt sich selbst. Schließlich werden ihm Hand- und Fußfesseln angelegt. Zu seiner eigenen Sicherheit erhält er einen Kopfschutz. Am nächsten Morgen darf er das Zimmer wieder verlassen. So schildert zumindest das Innenministerium den Vorfall.
Die Vorwürfe des Marokkaners, die er später vorbringt, wiegen schwerer. Er behauptet, mit den Händen auf dem Rücken im Keller gefesselt worden zu sein, gänzlich ohne Bekleidung. Mitarbeiter hätten ihm dann Essen vors Gesicht gehalten, es ihm aber nicht gegeben. Außerdem soll das Personal ihn geschlagen haben. Später wären ihm Medikamente verabreicht worden, die ihn wegtreten ließen.
Das Innenministerium weist die Vorwürfe nun zurück. Es stimme nicht, dass der Mann nackt, mit den Händen auf dem Rücken und im Keller gefesselt worden sei, heißt es auf Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke). Anhaltspunkte, dem Untergebrachten sei Essen und Wasser in der beschriebenen Weise vorenthalten worden, hätten sich nach Prüfung durch die Anstaltsleitung nicht bestätigt, so das Ministerium weiter. Auch von Schlägen ist in der Antwort nicht die Rede. Stattdessen wäre der Mann „zu Boden gebracht“ worden, um einen Angriff seinerseits abzuwehren. Dazu gebe es auch Videomaterial. Darüber hinaus habe der Insasse Medikamente gegen Schlafstörungen bekommen, die er selbst eingefordert habe. Und das weniger, als er selbst wollte. Davon könne er aber nicht weggetreten sein, sagt das Innenministerium.
Die Abschiebehaft-Kontaktgruppe, die sich für die Rechte der Insassen einsetzt, macht die zuständige Landesdirektion für das selbstverletzende Verhalten des Marokkaners verantwortlich. „Was sich zeigt, ist: Bei Menschen, die große Probleme haben, in der Ausnahmesituation namens Haft ohne Straftat die Ruhe zu bewahren, ist das diensthabende Personal der Landesdirektion null vorbereitet“, sagte Toni Kreischen von der Gruppe am Mittwoch und bezieht sich auf die Redaktion der Mitarbeiter, dem Insassen das Rauchen zu verbieten. Schon vorher hätte sich gezeigt, dass dem Mann der „Vollzug“ zusetze. Die Kontaktgruppe erwarte weitere Aufklärung, schließlich stehe Aussage gegen Aussage. Außerdem habe die Gruppe eigenen Angaben zufolge Strafanzeige gestellt.
Die Haftanstalt ist Ende 2018 in Betrieb gegangen. Untergebracht werden Flüchtlinge, die als ausreisepflichtig gelten und bei denen die Annahme besteht, sie könnten sich der Abschiebung entziehen. (SZ/sr)