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Mittelstand im Wandel kaum beachtet

Das ist nur eine der Kritiken im Lausitzer Revier. Beim Wirtschaftsstammtisch in Boxberg blieben viele Fragen offen.

Von Constanze Knappe
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Individuelle Gespräche am Rande des Wirtschaftsstammtisches in Boxberg: Andreas Winkler, Geschäftsführer der Actemium BEA GmbH Spremberg, Dr. Detlef Hamann, Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden und Fred Frahnow, Koordinator des Vereins CVJM Oberlausitz.
Individuelle Gespräche am Rande des Wirtschaftsstammtisches in Boxberg: Andreas Winkler, Geschäftsführer der Actemium BEA GmbH Spremberg, Dr. Detlef Hamann, Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden und Fred Frahnow, Koordinator des Vereins CVJM Oberlausitz. © Foto: Constanze Knappe

Boxberg. In dem mehr als 300 Seiten starken Papier der sogenannten Kohlekommission habe er das Wort Mittelstand nur ganze sechs Mal gefunden, das erklärte einer der Unternehmer mit Verantwortung für 50 Mitarbeiter am Dienstag beim Wirtschaftsstammtisch in Boxberg. 

Er beklagte, dass bei all den Gedankenspielen um den Strukturwandel der Mittelstand außen vor bleibt. Mit seiner Sorge steht er nicht alleine da, wie die Veranstaltung mit 36 Teilnehmern im Dorfgemeinschaftshaus Boxberg zeigte. Bestärkt wurde er durch Dr. Detlef Hamann. „Unternehmen brauchen Beinfreiheit“, so der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Dresden. Es ist eine ihrer Kernaussagen für den Strukturwandel im Lausitzer Revier. Die Kammer fordert, die ansässige Wirtschaft dahingehend zu ertüchtigen, „dass sie das, was wegfällt, idealerweise ganz oder wenigstens teilweise ersetzen kann“. Nur so könne der Strukturwandel überhaupt gelingen. Das beinhalte „eine besondere Förderung der einheimischen Unternehmen, damit innovative Ideen nicht im Behördendschungel untergehen“, sagte er.

Noch viele Fragen ungeklärt

Ob sich ein großer Investor in der Lausitz ansiedelt, dahinter stehe nach wie vor ein Fragezeichen. Aber auch die Befürchtung, „dass regionale Unternehmen dann ihre Fachkräfte los sind“. Nur ein Aspekt von vielen, der bei der Diskussion um die Fördermilliarden ebenso zu kurz kommt wie die Frage, wo eigentlich das Geld für den Strukturwandel herkommen soll. „Uns erscheint es wie der Handel mit ungedeckten Schecks“, erklärte Detlef Hamann.

Der Entwurf des Strukturstärkungsgesetzes sieht 26 Milliarden Euro durch Umschichtung im Bundeshaushalt und weitere 14 Milliarden Euro sogenanntes neues Geld vor. Das soll in drei Förderperioden ausgereicht werden. Allerdings, so Michael Schulz, sei eine Übernahme von nicht ausgegebenem Geld in die nächste Förderperiode nicht möglich. Dabei sei schon jetzt absehbar, dass die Kapazitäten fehlen, um Maßnahmen pünktlich umzusetzen. Auch wegen der langwierigen Planungs- und Genehmigungsprozesse, so der Geschäftsführer der Wirtschaftsinitiative Lausitz (WiL).. Der aktuelle Stand der Dinge besagt, dass Strukturhilfen erst gezahlt werden, nachdem Kraftwerksblöcke tatsächlich abgeschaltet wurden. Dabei hieß es bisher, dass erst alte durch neue Arbeitsplätze ersetzt werden. „Wir müssen höllisch aufpassen“, so der Dresdener IHK-Chef. Mit der Sicherheitsstellung von zwei Kraftwerksblöcken bei der Lausitz Energie Kraftwerk AG (Leag) in Jänschwalde seien auf einen Schlag 600 Arbeitsplätze weg, „aber weit und breit kein einziger neuer in Sicht“.

Investitionsanreize schaffen

Die Wirtschaftsinitiative Lausitz hat im Verbund mit der Lausitzrunde der Kommunen und Landkreise, dem BVMW, den Kammern in Cottbus und Dresden und weiteren Partnern Forderungen für den Strukturwandel aufgemacht. Unter anderem die nach Investitionsanreizen für die private Wirtschaft, rechtlich verbindlichen Regelungen zur Finanzierung des Strukturwandels, einem Monitoring zur Überprüfung der Stromversorgung und Sonderzuweisungen zur Entlastung der Kommunen. Denn die könnten in aller Regel die zehn Prozent Eigenanteil gar nicht stemmen. Mitbetrachtet werden müssten außerdem Fragen wie die einer Neuausrichtung der Wärmversorgung wie im Falle der Stadtwerke Weißwasser, die Fernwärme aus dem Kraftwerk Boxberg nutzen.

In einer Anhörung am 16. Oktober im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie werden je ein Arbeitnehmervertreter der Leag, der IHK Cottbus und der WiL sprechen. Allerdings, so dämpft Michael Schulz die Erwartungen, habe jeder nur fünf Minuten Redezeit.

In der Region ist man sich einig. Einen Strukturwandel, wie ihn die Menschen vor 30 Jahren erlebten, darf es nicht noch einmal geben. Die flächenmäßig größte nichtstädtische Gemeinde in Sachsen sieht ihre Entwicklung nach wie vor mit der Braunkohle: in Festigung und Ausbau der Arbeitsplätze in Bergbau und verarbeitendem Gewerbe, dem Breitbandausbau und der Revitalisierung der Altstandorte des Bergbaus. Hinzu kämen die weitere Entwicklung als Tourismusstandort sowie die Festigung regionaler Wertschöpfungsketten in Handwerk, Land- und Forstwirtschaft unter dem Slogan „Boxberger kaufen hier“. Die Gemeinde Boxberg mit ihren 4 492 Einwohnern und Unternehmer haben diese strategische Ausrichtung festgeschrieben. „Die Region hat nur eine Chance, wenn es Industriearbeitsplätze gibt, die sind selbsttragend und fördern die Entwicklung“, bekräftigte Kraftwerksleiter Carsten Marschner. Behördenarbeitsplätze seien ja schön und gut, aber eben immer von anderen abhängig, sagte er.

Kritik am Infrastrukturpaket

Kritisch sieht Dr. Detlef Hamann das Infrastrukturpaket, welches von der Ortsumfahrung Krauschwitz bis zum sechsspurigen Ausbau der Autobahn A4 reicht. Er habe keine Ahnung, was die Autobahn mit der Kohle zu tun hat. „Von einer schicken Umgehungsstraße kann keiner leben und die Elektrifizierung der Bahnstrecke Dresden – Görlitz hätten wir längst machen müssen“, erklärte er.

Die Entwicklung der Infrastruktur mit Maßnahmen wie dem Ausbau der Autobahn sei das Wichtigste. Ohne dem brauche man über Neuansiedler und Rückkehrer in den Industriestandorten gar nicht zu reden, konterte Bernd Waldau, Vertreter der Staatskanzlei und lange Jahre Stadtrat in Weißwasser. Ihm widersprach jener Unternehmer, der in all den Diskussionen die ortsansässige Wirtschaft zu wenig betrachtet sieht. „Wir sind kernbetroffen. Die Autobahn hilft uns da nicht“, sagte er.

Andreas Winkler, Chef der Actemium BEA GmbH Spremberg, die eine Niederlassung in Mühlrose betreibt, resümierte: „Wenig Antworten auf viele Fragen.“ Den Unternehmer mit 250 Mitarbeitern treibt die Sorge um, dass er seine Leute im Elektrogewerk künftig „auf Montage weit weg schicken muss, weil hier keine Arbeit mehr da ist“. Auch werde es immer schwerer, den 20 jungen Leuten im Unternehmen, ob im berufsbegleitenden Studium oder in der Lehre, eine Perspektive zu geben. „Wir versuchen, neue Wege zu gehen. Die aber sind nicht in der Region“, erklärte er.

Viel zu viele Akteure

Die Diskussion mache eine gewisse Hilflosigkeit sichtbar, so Fred Fahrnow aus Senftenberg. Der Koordinator des Vereins CVJM in der Oberlausitz mit Sitz in Görlitz hat eine gewisse Resignation der Menschen festgestellt, „die einen Einbruch wie vor 30 Jahren befürchten“. Detlef Hamann sieht die Geduld der Menschen auf eine harte Probe gestellt. „So lange, wie Planungsprozesse dauern, erlischt irgendwann der Glaube, dass was passiert.“ Damit steige die Gefahr, dass die Menschen wieder die Region verlassen. Und er gibt zu bedenken: „Das Lausitzer Revier, wie es gerne bezeichnet wird, gibt in Berlin kein richtig tolles Bild ab.“ Dr. Detlef Hamann bemängelte, dass es viel zu viele Akteure in der Lausitz gibt und damit in Berlin die Frage aufkommt, wer eigentlich wen vertritt. Das sieht auch der Kringelsdorfer Unternehmer Armin Hoffmann so. „Wir diskutieren an viel zu vielen Stellen. Dann fehlt die Kraft, etwas zu Ende zu bringen“, sagte er. Das führe dazu, dass Firmen oder auch Gemeinden nicht mehr richtig planen könnten. Geredet werde seit Jahren sehr viel, ohne dass konkrete Ergebnisse sichtbar sind.