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Nase voll von leichten Mädchen

Die Straßenprostitution verlagert sich von Varnsdorf nach Großschönau. Die Anwohner wollen gehört werden.

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© Matthias Weber

Von G. Schröter und S. Neumann

Da läuft eine. Die junge Frau mit kurzem Rock im Batik-Look, zitronengelbem Shirt und Limoflasche im Arm schlendert die Straße entlang, von Großschönau aus gesehen kurz hinter dem Varnsdorfer Ortseingangsschild. Sie könnte auf dem Nachhauseweg vom ersten kleinen Lädchen auf tschechischer Seite sein. Aber für Rita Schaaf, Marina Schuster und Sabine Mende ist es keine Unbekannte. „Das ist die Fleißige“, rufen die Frauen. Sie sei am häufigsten hier unterwegs, steige zu den meisten Männern ins Auto, die mit ihr den Baumarkt-Parkplatz oder ein Wald- und Wiesenstück nahe der Wohnhäuser anfahren. Sie sei nicht die einzige Prostituierte hier. Nach dem Sex zögen sich die Frauen auf offener Straße wieder an und hinterließen allerhand Müll am Straßenrand, bevor sie für den Nächsten bereitstünden. Diese und noch eindeutigere Szenen bieten sich den Anwohnern und ihren Kindern jeden Tag. „Um 11 Uhr vormittags beginnt die Schicht“, sagt Mende. Und die gehe bis tief in die Nacht. Das wollen die Anwohner jetzt nicht länger hinnehmen: Sie besprühten ein Laken mit einem unmissverständlichen Spruch gegen die Freier und hängten es neben das Werbeplakat fürs Grußschinner Schiss’n. Damit wollten sie nicht nur die Kundschaft der leichten Mädchen stören, sondern endlich gehört werden. Denn sie fühlen sich nicht ernst genommen.

Woher und warum nach Großschönau kommen die Prostituierten?

„Seit über einem Jahr haben sie sich massiv an der Grenze Varnsdorf-Großschönau postiert“, sagt Anwohner Frank Schaaf. Zuvor seien sie ihrem Geschäft auf der tschechischen Seite nachgegangen. Doch „durch den ständigen Druck unserer Stadtpolizei“, berichtet Varnsdorfs Bürgermeister Martin Louka, „ist es in den letzten Jahren gelungen, das Phänomen etwas zurückzudrängen.“ Die Anzahl der Frauen aus Varnsdorf bewege sich derzeit um die 15. Nun stünden zwischen vier und sieben in Großschönau. „Und das ist auch nicht gut“, so Louka. Allerdings würden sie dahin ausweichen, wo ihre Freier herkommen. „Und die stammen nun mal zu 90 Prozent aus Deutschland“, erzählt der Bürgermeister. Das können die Anwohner bestätigen. Die Autokennzeichen verraten, dass die mutmaßlichen Freier von weiter weg kommen: Bautzen, Sebnitz, Bischofswerda, Pirna und Kamenz sind vertreten.

Was sagt die Gemeinde Großschönau zu dem Problem?

Bürgermeister Frank Peuker (SPD) bezeichnet das Thema als heikel. Vor einer Woche habe es dazu ein Treffen mit Bundes- und Landespolizei gegeben. Deutsche Polizisten seien mal mit, mal ohne tschechische Kollegen auf Streife. Damit sorgten sie für Unruhe, sagt Peuker, sodass die Prostituierten und ihre Kunden gestört würden. Allerdings betont er die Schwierigkeit, eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat nachzuweisen. „Wenn die Frau in ein Auto einsteigt“, schildert er, „und beide behaupten, sie seien Freund und Freundin – was soll man da machen?“

Seit Dezember 2001 ist Prostitution in Deutschland legal, aber reglementiert. In Tschechien seien die Gesetze hingegen hilflos veraltet, berichtet Martin Louka. Ein neuer Gesetzentwurf fordere eine teilweise Legalisierung und mehr Einfluss für die Kommunen bei der Zulassung der Prostitution, werde aber seit Jahren nicht verabschiedet. In Sachsen besagt eine Verordnung seit 2012: „In Gemeinden bis zu 50.000 Einwohnern ist es verboten, der Prostitution nachzugehen.“ Wird gegen das Verbot verstoßen, ist das eine Ordnungswidrigkeit, wiederholt sich diese, liegt eine Straftat vor.

Was kann die Polizei tun und was hat sie schon getan?

Susanne Heise von der Pressestelle der Polizeidirektion Görlitz berichtet, dass in der in der Statistik für Großschönau keine strafrechtlichen Delikte im Zusammenhang mit Prostitution oder Zuhälterei auftauchen. Es gebe lediglich die Erkenntis über eine geringe Anzahl von Frauen, die Prostituierte sein könnten.

Kämpfen auch die Grenzorte Ebersbach und Seifhennersdorf mit Prostitution?

Uwe Nikodem vom Ebersbach-Neugersdorfer Ordnungsamt hat in Ebersbach noch keine „derartigen Erscheinungen“ beobachtet. Obwohl es dort sogar zwei Grenzübergänge gibt und die Bebauung meist gleich danach beginnt. „Entsprechend fehlen auch etwas die Erfahrungen, wie man mit einer solchen Situation geschickt umgeht“, sagt er. Einen Unterschied gibt es aber: In Ebersbachs tschechischer Nachbargemeinde Jirikov seien, anders als in Varnsdorf, keine Straßenmädchen gesichtet worden, so Nikodem.

Warum fühlen sich die Anwohner trotz Polizei nicht ernst genommen?

„Ja, die Polizei ist präsent“, sagt Frank Schaaf. Er findet aber, die Beamten sollten öfter aus den Autos steigen und die offensichtlichen Freier direkt ansprechen. „Das habe ich schon selber gemacht, daraufhin war der Herr recht irritiert“, erzählt er amüsiert. Aber es könne nicht sein, dass die Bewohner so etwas selber regeln müssten, sind sie sich einig. Das Plakat habe aber Wirkung gezeigt: In jenen Tagen seien viele Kunden wieder umgedreht. Allerdings hat die Gemeinde die wilde Plakatierung schnell unterbunden. Bürgermeister Peuker betont, er sei besorgt um die Anliegen der Bürger – und lässt die von leichten Mädchen geplagten Großschönauer wissen: „Wir sind dran.“