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Poetische Heimat

Der Domowina-Verlag kümmert sich seit 60 Jahren um fast jedes gedruckte sorbische Wort. Das wird am Sonnabend gefeiert.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Einen dicken Stapel Papier bringt Gestalterin Isa Brützke mit zur Besprechung. „Ich habe die Entwürfe für unser neues Kinderbuch dabei. Auf jeden Fall müssen wir über den Titel sprechen“, sagt sie in die Runde und verteilt die Skizzen auf dem Tisch. Die Ideen stammen aus der Feder von Cleo-Petra Kurze. Die Illustratorin ist unter anderem aus der Satire-Zeitschrift „Eulenspiegel“ bekannt. Nun sollen ihre Zeichnungen einen Sammelband mit Feriengeschichten aus dem Domowina-Verlag bebildern.

Kinderbücher als Herzensangelegenheit

Maria Matschie, Geschäftsführerin des einzigen sorbischsprachigen Verlags in Deutschland, setzt sich zu ihren Kollegen im Gestaltungsrat. „Kinderbücher führen die Kleinsten an unsere Sprache heran. Sie waren uns immer eine Herzensangelegenheit“, sagt die 63-Jährige. Neben ihr und der Gestalterin stecken Lektoren, Mitarbeiter aus der Herstellung und dem Vertrieb die Köpfe zusammen. Die Entwürfe für das Buch mit dem Titel „Hura prózdniny“ (Hurra, Ferien) zeigen fröhliche Kinder in Ruderbooten, aber auch Hasen im Ausnahmezustand. 15 Geschichten stehen im Band.

Alle Augen am Tisch richten sich auf die drei Ideen für den Titel. Ein Bild zeigt eine strahlende Sonne mit Wanderschuhen. Auf der zweiten Zeichnung sitzen zwei Kinder unter einem riesigen Sonnenschirm. Auf der dritten Skizze sind Wegweiser zu sehen, eine Katze sitzt dahinter, ein paar lachende Kakteen freuen sich über das Super-Sommer-Wetter. „Das ist mein Favorit. Das Bild ist so lebendig“, sagt Hersteller Thomas Scholze. Fast alle pflichten ihm bei, nur Vertriebsleiterin Manja Bujnowska ist skeptisch. Es gab schon mal einen ganz ähnlichen Titel, wendet sie ein. Maria Matschie sucht das Buch im Regal mit Publikationen aus den vergangenen Jahren.

Seit 50 Jahren Buchverlag

Die ersten Bücher mit dem Logo des Domowina-Verlags verlassen 1958 die Bautzener Tuchmacherstraße. Zuvor kümmern sich gleich mehrere Institutionen um die Herausgabe sorbischsprachiger Druckwerke. Die Nowa-Doba-Druckerei in der Töpferstraße – nach der Wende firmiert sie ins Lausitzer Druckhaus um – bringt die Tageszeitung und einige kleine Bücher heraus. Die Domowina, die sich in dieser Zeit offiziell als sozialistische nationale Organisation der Sorben bezeichnet, veröffentlicht eigene Publikationen. Im Verlag „Volk und Wissen“ entsteht Lehrmaterial auf Ober- und Niedersorbisch. Im Verlag „Junge Welt“ erscheint die Kinderzeitschrift „Plomjo“. Dieses Durcheinander soll zu einem Miteinander werden. Deshalb wird der VEB Domowina-Verlag gegründet, um unter einem Dach die sorbische Sprache im gedruckten Wort zu betreuen. Die ersten Jahre gehören Übersetzungen von Werken der slawischen Nachbarn. „Aber bald veröffentlichen hier die ersten sorbischen Autoren ihre Bücher, wie Jurij Brezan, Kio Lorenc oder Jurij Koch“, sagt die Verlagsleiterin und legt das Buch mit dem alten Wegweiser-Titel auf den Tisch. 1985 ist es erschienen, da kann man 30 Jahre später ohne Bedenken ein ähnliches Motiv wählen.

Isa Brützke bekommt den Auftrag die Wünsche mit der Illustratorin in Berlin zu besprechen. Die Gestalterin arbeitet eng mit der Lektorin zusammen. Für Kinderbücher ist beim Domowina-Verlag Veronika Sauer zuständig. Sie schaut, ob die Skizzen dem Inhalt der Geschichten entsprechen. Schließlich spricht Cleo-Petra Kurze kein Sorbisch und erhält deshalb zu jeder Erzählung eine kurze Inhaltsangabe. Spätestens Weihnachten soll der Ferien-Erzählband in den Buchhandlungen liegen.

Als Nächstes muss sich die Runde um den Gestaltungsentwurf der neuen Anthologie von Volksdichtern kümmern. Das Buch versammelt kleine Geschichten, Lieder und Gedichte vom Zirkel der Schreibenden aus Rosenthal. Vor 55 Jahren entstand diese Gruppe, angeleitet wird sie durch den sorbischen Autoren Benno Budar. Auch unveröffentlichte Texte von ihm werden in dem Band zu finden sein. „Den Aufbau der Seiten habe ich an die Grundgestaltung seiner Bücher aus unserem Verlag angepasst“, erklärt die Gestalterin. Die Idee finden alle gut, nun können sie an die Schreibtische zurückkehren.

Verlag brachte Schwung in den sorbischen Literaturbetrieb

Auf Maria Matschie wartet das Skript zu den Herrnhuter Losungen auf Niedersorbisch, aus dem ein Buch werden will. Die Verlagschefin versucht, jedes ihrer „Kinder auf Papier“ ein Stück zu begleiten. Vor 40 Jahren kam die Sorbin als Redakteurin der Kinderzeitschrift „Plomjo“ in die Tuchmacherstraße, 1986 wechselte die studierte Theaterwissenschaftlerin ins Lektorat der Belletristik. Seit nunmehr 15 Jahren ist sie Geschäftsführerin des Hauses mit 47 Mitarbeitern. Die Bautzenerin hat alle Höhen und Tiefen des Verlags mitgemacht. Die Hoch-Zeit sind für sie klar die 1970er und 1980er Jahre. Denn die Verlagsgründung bringt Schwung in den sorbischen Literaturbetrieb. „Durch das professionelle Lektorat gab es einen befruchtenden Austausch. So stieg der Anteil eigener Werke kontinuierlich – und die Leser forderten immer mehr Belletristik eigener sorbischsprachiger Autoren“, sagt die Verlagsleiterin. Mit der Wende aber bricht der Buchmarkt zusammen. Der Verlag steht kurz vor dem Aus. Die frühere Bückware wird nun in Bau- und Gartenmärkten zu Spottpreisen angeboten.

Aus dem Wandregal holt die Verlegerin ein paar der jüngeren Verlagsproduktionen. „Jede Zeit hat ihre Herausforderung. Derzeit können wir uns auf die Finanzierung verlassen, dafür sind wir auf der Suche nach Autoren, denn nicht jeder, der gut spricht, schreibt gut“, sagt Maria Matschie. Sie baut vor sich ein Leselernbuch „Durch die Stadt mit Alena“ einer jungen sorbischen Lehrerin auf, daneben legt sie den großen Roman „Paradies“ von Christian Schneider. Auch durch die letzte im Verlag veröffentlichte Werksammlung des 2017 verstorbenen Kito Lorenc blättert sie.

Ihre Auswahl entspricht dem Verlagsprogramm – vom Kinderbuch für die Kleinsten bis zur wissenschaftlichen Abhandlung auf Obersorbisch, Niedersorbisch und teilweise auch auf Deutsch.

Von Bautzen nach Japan und Übersee

Einen Überblick über die lieferbaren Titel seit dem Beginn der 1990er Jahre hat Vertriebsleiterin Manja Bujnowska. Die studierte Agrarwissenschaftlerin kommt 1991 in den Verlag und organisiert zuerst die Zeitungszustellung neu. Das gehört immer noch zu ihren Aufgaben wie die Auslieferung der Domowina-Veröffentlichungen. „Wir haben schon Pakete nach Übersee und Japan auf den Weg gebracht“, sagt sie. Der Longseller des Hauses ist das Buch „Sagen der Lausitz“. Es ist gerade in der 16. Auflage erschienen. „Die schwarze Mühle“ von Jurij Brezan ist ein Dauerbrenner.

Manja Bujnowska muss wieder los. Die Auslieferung der Schulbücher hat begonnen, auch Hersteller Michael Hanisch kümmert sich um die letzten technischen Details für das neue Lehrbuch zur sorbischen Geschichte. Rund 30 Schulbücher von der Klasse 1 bis 12 entstehen pro Jahr, darunter auch Lizenzdrucke von großen Schulbuchverlagen, die ins Sorbische übersetzt werden. Im Nebenzimmer tüfteln Isa Brützke und Hersteller Thomas Scholze an einem Kinderbuch mit einem sprechenden Stift. „Was kriecht da, was läuft da, was fliegt da“ heißt die Eigenproduktion 2.0.

Manche Wünsche sind noch offen

Nach solchen Trends halten die Verlagsmitarbeiter immer Ausschau. „Wir müssen sehen, wie es in Richtung Digitalisierung insgesamt weitergeht. Für mich gibt es nichts Schöneres als Bücher zu machen“, sagt Maria Matschie. Insgesamt verlassen 70 Titel pro Jahr das Verlagshaus. Seit seiner Gründung sind schätzungsweise 5.000 Werke erschienen. Doch die Verlagschefin hat noch Wünsche offen. Eine Geschichte des sorbischen Sports fehlt ebenso in der Liste der Veröffentlichungen wie die Geschichte der sorbischen Musik. Auch die Herrnhuter Losungen gab es bislang nicht auf Niedersorbisch. Und einen großen sorbischen Roman möchten sie und ihre Kollegen auch mal wieder herausbringen.

Tag der offenen Tür am 9. Juni: von 14 bis 17 Uhr im Domowina-Verlag und der Smoler’schen Verlagsbuchhandlung, Tuchmacherstraße

19.30 Uhr Lesung in sorbischer Sprache: Nachrichten aus der „guten alten Zeit“/ 20.30 Uhr Lesung in deutscher Sprache: „Der wunderliche Landtag – Fabeln von Handrij Zejler“/ 21.30 Uhr Internationale Folklore