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Rentner fordern ihre Altersvorsorge zurück

Weil CDU und SPD ein Gesetz nicht zurücknehmen wollen, wächst der Unmut. Hoffnung machen andere Parteien.

Von Gunnar Klehm
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Demonstranten, die sich um einen Teil ihrer Altersvorsorge betrogen fühlen, zogen am Dienstag vors Finanzministerium in Dresden.
Demonstranten, die sich um einen Teil ihrer Altersvorsorge betrogen fühlen, zogen am Dienstag vors Finanzministerium in Dresden. © Matthias Rietschel

Annelies Hänsel ist mit ihren 76 Jahren noch gut zu Fuß. Deshalb ließ es sich die Rentnerin aus Geising nicht nehmen, mit Gleichgesinnten am Dienstag in sengender Hitze durch Dresden zu marschieren. „Wir wollen, dass uns die Politiker unser Geld zurückgeben. Das ist gestohlenes Geld“, sagt sie. Deshalb wollte sie unbedingt dabei sein. Auch wenn es sehr anstrengend war.

Der Verein der Direktversicherungsgeschädigten (DVG) hatte zu dieser Demonstration am Landtag vorbei zum Finanzministerium aufgerufen. Etwa 120 Rentner waren gekommen. Viele hatten Schilder gebastelt und pinkfarbene Leibchen übergestreift. „Man soll uns hören und nicht mehr übersehen können“, sagt Gerhard Kieseheuer. Der Vereinsvorsitzende war extra aus dem Taunus angereist. Er hat sich gefreut, dass in Dresden schon mehr Leute dabei waren als vor zwei Wochen bei einer Demonstration in Köln. „Wir sind noch nicht so kampagnenerfahren. Außerdem haben viele wegen der Hitze abgesagt“, sagt Jürgen Heinzmann, der Sprecher der sächsischen Vereinsmitglieder.

Vertragsbruch per Gesetz

Seit Jahren kämpfen die frustrierten Rentner dagegen an, dass sie auf den Auszahlbetrag ihrer Altersvorsorge aus einer Direktversicherung noch mal Krankassenbeiträge bezahlen sollen. „Ich habe ja von meinem Netto darin eingezahlt“, sagt Evelin Bär. Die Chemnitzerin fütterte den Vertrag seit 1992. Nach rund 25 Jahren freute sie sich auf die Auszahlung. Dann erfuhr sie, dass sie davon knapp 20 Prozent an die Krankenkasse zahlen solle. „Das ist doch sittenwidrig. Das ist mein Privateigentum und ein zu schützendes Gut. Das dachte ich jedenfalls bisher“, sagt sie. Mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 beschlossen damals jedoch SPD, Grüne, CDU und CSU in Bundestag und Bundesrat, dass sie auch auf schon bestehende Verträge die Beiträge erheben werden.

Nur FDP und Linke lehnten das damals ab. Da standen Annelies Hänsel, Evelin Bär und die vielen anderen noch in Arbeit. Die Brisanz der Entscheidung wurde vielen erst später bewusst.

„Es konnte sich ja keiner vorstellen, dass Politiker, die wiedergewählt werden wollen, ein Gesetz zum Vertragsbruch beschließen“, sagt Heinzmann. Er und viele andere Vereinsmitglieder – bundesweit sind es inzwischen 2.500 – haben diese Politiker auch nicht wieder gewählt. Geändert habe sich für die Rentner trotzdem nichts. Aber nicht nur für sie. „Die meisten wissen ja noch gar nicht, was auf sie zukommt“, sagt Kieseheuer. Deshalb wolle der Verein auch verstärkt junge Leute aufklären.

Die Christdemokraten haben inzwischen anerkannt, dass eine Ungerechtigkeit besteht. Ein Parteitagsbeschluss wurde gefasst, dass der Krankenkassenbeitrag für Direktversicherungen ab 1. Januar 2020 wenigstens halbiert werden soll. Dazu wurde von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Gesetzentwurf erarbeitet. Doch angeblich blockt die Kanzlerin diesen ab, sodass der Entwurf nicht behandelt wird. „Dann gehen wir eben den Umweg über die Abgeordneten“, sagt Undine Weiß, die aus Kirchberg bei Zwickau angereist war.

Wenn Jamaika gekommen wäre

Besonders bitter ist die aktuelle Lage für Reiner Korth. Er war aus Meppen fünf Stunden nach Dresden gefahren, um seinen Unmut zu äußern. 11.000 Euro hat er wegen des Gesetzes eingebüßt. „Ich bin CDU-Mitglied. Wenn Parteibeschlüsse nicht umgesetzt werden, verspielt Politik jegliches Vertrauen“, sagt er. Später wird über Mikrofon verkündet, dass die CDU-Vorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, in einer Talkshow gerade erst erklärte, dass Parteibeschlüsse bindend sind. Die Demonstranten lachen und schütteln den Kopf.

„Wir helfen gern!“, hieß es von mehreren Politikern der Opposition bei der Kundgebung vorm Finanzministerium. Sachsens Freie Wähler wollen dem Beispiel ihrer Partei in Bayern folgen und die Rückzahlung von Beiträgen über eine Bundesratsinitiative befördern, erklärte Udo Gärtner. Dazu müssen die Freien Wähler allerdings erst mal den Einzug in den Landtag schaffen. Das geht der FDP genauso. Landtagskandidat Phillipp Hartewig verwies jedoch darauf, dass die FDP das Thema sogar bei den Verhandlungen zu einem Regierungsbündnis im Bund mit CDU und Grünen aufgetischt hatte. Die Jamaika-Koalition kam bekanntlich nicht zustande.

Die Mitglieder des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten kämpfen nicht nur für sich, sondern wollen auch die Jüngeren aufklären, nicht falschen Versprechungen zu erliegen.
Die Mitglieder des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten kämpfen nicht nur für sich, sondern wollen auch die Jüngeren aufklären, nicht falschen Versprechungen zu erliegen. © Matthias Rietschel

Die Linke hatte als einzige Fraktion die Rücknahme der Beiträge im Bundestag beantragt. „Das wurde abgelehnt. Nichtsdestotrotz stehen wir weiter hinter Ihren Forderungen“, sagte Landtagsabgeordneter Nico Brünler zu den Protestierern und lästerte über die Große Koalition in Berlin. „Das ist so, als würden zwei Diebe streiten, wer das Diebesgut jetzt zurückgeben soll.“

Annelies Hänsel hört wohl, dass an der Praxis zukünftig etwas geändert werden soll. Der CDU-Vorschlag nützt ihr aber nichts mehr. „Über zehn Jahre habe ich 4.300 Euro zurückzahlen müssen“, sagt sie. Offiziell ist damit ihr Fall abgeschlossen. „Aber nicht mit mir. Ich erwarte eine Entschädigung“, sagt die rüstige Rentnerin und will auch bei der nächsten Aktion wieder dabei sein. Das sei nun mal eine Frage der Gerechtigkeit. Da dürfe niemand klein beigeben, sagt sie.

www.dvg-ev.org