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Rettung für Weesensteiner Wandschmuck

Zwei Jahre dauert die Restaurierung der Goldledertapeten im Schloss. Gearbeitet wird mit Geheimrezepten.

Von Thomas Morgenroth
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Diplom-Gemälderestauratorin Ulrike Sommer aus Dresden reinigt die Oberfläche der Goldledertapete im Schloss Weesenstein.
Diplom-Gemälderestauratorin Ulrike Sommer aus Dresden reinigt die Oberfläche der Goldledertapete im Schloss Weesenstein. © Thomas Morgenroth

Die Operation findet bei Amor und Psyche im „Eckzimmer nach dem Garten“ statt. Der Patient liegt ruhig und gefasst mit dem Bauch auf dem Tisch. Er misst um die drei mal drei Meter und ist nur einige Millimeter dick. Nun wird es ernst. Jana Bösenberg setzt die Brille auf und nimmt Skalpell in die rechte Hand. Vorsichtig schabt sie im Planrechteck SI 4C einige dunkle Verkrustungen von der Haut ab. Neben ihr arbeitet sich Luise Kober auf ähnliche Weise akribisch voran.

Die beiden Frauen sind zwei von acht Restauratoren, die seit Monaten mit Feingefühl und großem Wissensschatz ein ganz besonderes Objekt im Schloss Weesenstein retten. Der Patient ist eine Goldledertapete, mit der Rudolf von Bünau und Henrica Helena Vitzthum von Eckstädt um 1720 einen Speisesaal im Schloss Weesenstein ausstatten ließen. Für diesen prunkvollen Wandschmuck, der aus zusammengenähten Karrees in den Maßen von je rund 61 mal 72 Zentimetern besteht, mussten 116 Kälber ihre Häute hergeben.

Die Weesensteiner Goldledertapete stammt wie die Tapeten im Jagdschloss Moritzburg aus Mecheln im heutigen Belgien. Sie wird auch Marot-Tapete genannt, nach dem Architekten und Kupferstecher Daniel Marot, der das damals gängige Motiv entwarf. Zu sehen ist nichts weniger als das Paradies, mit einem prächtigen Vogel sowie Früchten und Pflanzen, die in der Natur nicht gleichzeitig blühen und reifen würden. Das Leder wurde versilbert, geprägt und das so entstandene Relief ausgemalt, in strahlendem Rot und Grün, und mit einem leuchtenden Goldton.

Das Gold auf der Tapete ist kein echtes, sondern ein Lack, sagt Restauratorin Franziska Wosnitza. Was die Auffrischung nicht einfacher macht: „Es ist schwierig, das richtige Rezept zu finden. Außerdem sind die Materialien heute anders, zum Beispiel für die Tiegel, in denen der Goldlack gemischt wurde.“ Aber Franziska Wosnitza und ihre Kolleginnen haben bei der Restaurierung der Ledertapeten in Moritzburg umfangreiche Erfahrungen gesammelt und daraus Methoden für die Aufarbeitung entwickelt, die wohlgehütete Geheimnisse sind, und von denen Weesenstein jetzt profitiert.

Im Papiertapetensaal "Amor und Psyche" arbeiten die Restauratoren Luise Kober (rechts) und Jana Bösenberg an der Rückseite der Goldledertapete.
Im Papiertapetensaal "Amor und Psyche" arbeiten die Restauratoren Luise Kober (rechts) und Jana Bösenberg an der Rückseite der Goldledertapete. © Thomas Morgenroth

Fett ist der Tod des Leders

Die Goldledertapete, die noch immer prächtig wirkte, hat im Laufe der drei Jahrhunderte arg gelitten. Nicht nur unter dem Zahn der Zeit, der das Leder reißen und spröde werden lässt, sondern auch unter dem Brotkäfer, der sich vom Knochenleim ernährt, und unter einer Restaurierung von 1961, die, sagt Kai-Uwe Beger, Sachgebietsleiter des Sächsischen Immobilien- und Baumanagements, mehr Schaden anrichtete als sie Nutzen hatte. „Das weiß man heute“, sagt er. Für die Ledertapete in Weesenstein sei es ein Glücksfall, dass die umfassende Restaurierung erst jetzt stattfindet. „Wir konnten inzwischen grundlegende Erkenntnisse gewinnen.“

Zum Beispiel, dass als Kleber nur noch Pergamentleim nach einem Geheimrezept benutzt wird, dass die alten Flicken aus Hirschleder gegen Kalbsleder ausgetauscht werden müssen, weil Hirsch und Kalb nicht miteinander harmonieren, oder dass die Verwendung von Fett dazu führt, dass Leder versprödet. „Damit treibt man das Wasser aus den Fasern raus“, sagt Franziska Wosnitza und bringt es auf den Punkt: „Omas Schuhpflege ist der Tod des Leders.“ Erst recht das in der DDR beliebte Latex-Bindemittel, das Jana Bösenberg mühsam unter den Augen von Amor und Psyche von der Rückseite der Tapete entfernt.

Andere wandfüllende Teile, die zu groß für den Tisch sind oder um eine Ecke gehen, die in der Form erhalten bleiben soll, werden an einem auf Rollen gelagerten Kasten mitten im Raum angebracht, stets mit dem Rücken nach vorn. Die Vorderseite hingegen wird direkt an der Wand aufgearbeitet, zum Beispiel von Ulrike Sommer, die die Oberfläche mit einem feuchten Schwamm und einem Pinsel reinigt. Derweil stanzt Elvira Klees mit einem Locheisen Unterlegscheiben aus Leder aus, die für die Wiederanbringung der Tapete benötigt werden, und Anna Siegel schleift Lederflicken an den Rändern dünn, damit sie sich besser an das alte Leder anpassen und nicht als störende Zutat empfunden werden.

Der Aufwand ist hoch, zeitlich wie finanziell. Zwei Jahre soll die Restaurierung des Ledertapetensaales einschließlich des Deckengemäldes dauern. Wegen der klimatischen Bedingungen, die Raumtemperatur muss mindestes 15 Grad Celsius betragen, können die Restauratoren nur zwischen Ostern und Oktober an den Tapeten arbeiten. Eine Heizung gibt es nicht. Die Kosten beziffert Kai-Uwe Beger auf insgesamt 450.000 Euro. „Wir sind heilfroh, dass wir noch vor der Coronakrise angefangen haben“, sagt er. Für ein solches Projekt wäre jetzt wohl vorerst kein Geld mehr da.

Die 300 Jahre alte Ledertapete wird von der Wand abgenommen und auf einen Kasten aufgespannt. Die Restauratoren Franziska Wosnitza (links) und Anna Siegel begutachten die Schadstellen.
Die 300 Jahre alte Ledertapete wird von der Wand abgenommen und auf einen Kasten aufgespannt. Die Restauratoren Franziska Wosnitza (links) und Anna Siegel begutachten die Schadstellen. © Thomas Morgenroth

Originale Möbelstücke

Die Fertigstellung ist für Mitte 2021 geplant. Der Ledertapetensaal wird wieder mit den originalen Möbeln ausgestattet, die unter Sachsens König Anton nach dem Kauf des Weesensteins im Jahre 1830 in das Speisezimmer kamen. Der prunkvolle Raum hieß später Prinz-Ernst-Zimmer nach dem Sohn des späteren Königs Johann, der hier 1847 mit 16 Jahren starb.

Mit der Wiedereröffnung des Ledertapetensaales wird auch die um 1816 entstandene Panoramatapete „Amor und Psyche“ wieder zu besichtigen sein. Im „Eckzimmer nach dem Garten“, das den Restauratoren derzeit als Operationssaal dient.

Detail der aus Mecheln im heutigen Belgien stammenden Goldledertapete, die um 1720 im Auftrag der Bünaus in ein Speisezimmer auf den Weesenstein kam.
Detail der aus Mecheln im heutigen Belgien stammenden Goldledertapete, die um 1720 im Auftrag der Bünaus in ein Speisezimmer auf den Weesenstein kam. © Thomas Morgenroth

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