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Riesas rostige Eiche

Erst sollte es ein Riese mit Achterbahn werden, dann ein Affe. Nun steht die Elbquelle in Riesa – und das seit 15 Jahren.

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Von Britta Veltzke

Der Fahrradtourist neigt den Kopf, um die rostige Skulptur noch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dann dreht er sich um, geht drei Schritte auf seinen Drahtesel zu – schaut sich erneut um, zögert, kramt schließlich aber doch die Kamera aus seiner Fahrradtasche. Und: Klick. Sein Foto zeigt die Elbquelle, die vor genau 15 Jahren eingeweiht wurde. Der Radler aus der Nähe von Bremen fühlt sich an einen Totempfahl erinnert – eine jener monumentalen Skulpturen, wie sie nordamerikanische Indianer aufstellten, um den Rang in ihrem Stamm klarzustellen. „Es könnte aber auch ein Marterpfahl sein. Obwohl“, sagt er nachdenklich: „Dafür ist die Skulptur eigentlich zu riesig.“ Damit schwingt er sich auf sein Fahrrad – und weg ist er.

Riesig ist genau das richtige Stichwort. Nachdem der Architekt Auguste Triet die Idee für den Riesenhügel hatte, wollte Riesas Ex-Oberbürgermeister ebenfalls etwas „Riesiges“ für den Platz davor: „Mir schwante eine Riesen-Skulptur, die so groß sein sollte, dass man sie in einer Blickachse vom Kino bis zum Riesenhügel aus sehen kann. Aus Sicht vom Bahnhof das Tor zur Stadt. Je größer, desto besser.“ Das war aber nicht alles. Eine kleine Achterbahn um die Skulptur konnte sich Köhler damals ebenso vorstellen wie eine Sommerrodelbahn. Der befreundete Architekt hielt das jedoch für „Quatsch“ – genau wie die Vorstellung Köhlers ein Hotel zu bauen, das komplett auf dem Kopf steht (samt Stuck auf dem Boden und Teppich an der Decke). Triet hatte eine andere Idee. „Was wir brauchten, war eine Skulptur eines prominenten Künstlers, durch den Riesa in ganz Deutschland bekannt wird“, sagt er. Und natürlich hatte Triet auch schon einen solchen Promi im Kopf. „Ich habe den Jörg im Studium kennengelernt“, erzählt der Düsseldorfer mit rheinländischem Zungenschlag. Mit „dem Jörg“ ist niemand geringerer gemeint als Jörg Immendorff, der vor allem in den 90er Jahren nationale und internationale Kunstpreise einheimste.

Wo liegt eigentlich Riesa?

Immendorff, der noch nie zuvor in seinem Leben von einer Stadt namens Riesa gehört hatte, sagte schließlich zu. Der erste Entwurf zeigte einen grinsenden Affen mit Weltkugel über dem Kopf. Mit dem Wissen, das dem Geldgeber, der WGR schmackhaft zu machen, musste Köhler erst mal schlucken. Kaum war der Aufsichtsrat überzeugt, kam die Hiobsbotschaft: Das Fundament für den riesigen Affen wird zu teuer. Zweiter Entwurf: Ein riesiger Kopf, aus dem Gegenstände wachsen. Auch hier stimmte der Aufsichtsrat zu. Diesmal legte aber im Nachhinein die Gießerei ihr Veto ein: Das „Ding“ war einfach zu groß. Bevor Köhler den dritten Entwurf präsentierte, muss das Wort „Immendorff“ bei WGR-Geschäftsführer Roland Ledwa zum Tabuwort geworden sein – so zumindest schreibt es Köhler in seinem Buch „Mr. Riesa“. Der Aufsichtsrat stimmte schließlich auch dem letzten Entwurf zu. Und so ist das Abbild heute in x-facher Vergrößerung mitten in Riesa zu sehen – fast so, wie Wolfram Köhler sich die Skulptur vorgestellt hatte. Aber eben nur fast so. Denn: Die tote Eiche erschien ihm zu negativ für eine Stadt wie Riesa, die nun wieder aufblühen sollte. Und so überzeugte er den Künstler, doch wenigstens ein Blatt an der Spitze sprießen zu lassen, das neben der angestellten Leiter, den Aufbruch, das Leben, die Hoffnung symbolisieren sollte. Immendorff hat sich, wie sein Bekannter Auguste Triet erzählt, zähneknirschend darauf eingelassen. „Am Ende hat er dann aber doch seinen eignen Willen durchgesetzt, ist mit der Hebebühne hochgefahren und hat das Blatt wieder abgeflext“, erzählt er. „Im Nachhinein sage ich: Hätte man sich das Ding besser mal unter den Nagel gerissen. Ich weiß nicht, wo das Blatt heute abgeblieben ist.“

Wolfram Köhler hingegen hält das für eine Legende, die über die Jahre hinweg entstanden ist. „Immendorff war bei der Einweihung durch seine Krankheit schon derart geschwächt, dass er das Blatt gar nicht mehr hätte absägen können.“ Auch Roland Ledwa hat seine eigene Variante der Geschichte: „Das abgesägte Blatt liegt oben auf der Elbquelle“. Na, was denn nun? Und so schaltet sich noch ein Herr in die Diskussion ein: Stadtmaskottchen Gunter Spies. Und er muss wissen, wo das Blatt abgeblieben ist – schließlich hat er selbst nachgeschaut. „Ich bin mit Gerti Töpfer mal auf einer Hebebühne hochfahren. Es liegt tatsächlich oben auf dem Stamm, allerdings wurde das Blatt nicht abgesägt, sondern einfach nur umgebogen.“ Und so ist das einzige vitale Element an der verrosteten Eiche von unten kaum zu sehen.

Überregionale Beachtung

Sei´s drum. Für Wolfram Köhler markierte die Woche vor dem Tag der Sachsen im Jahr 1999 einen Wendepunkt in der Geschichte Riesas: Riesenhügel, Arena und Elbquelle wurden damals kurz hintereinander eingeweiht: „Vor der Wende war die Stadt grau und dreckig. Niemandem war klar, wie es hier weitergeht und vor allem, was aus dem total verbauten Stahlwerk wird. Riesa war eine totgesagte Stadt und dann so was: Neubauten, Kunst, der Tag der Sachsen. Für die Stadt und die Riesaer war das einfach enorm!“

Tatsächlich fand die Skulptur überregionale Beachtung: In Zeitungen und im Fernsehen, Ministerpräsident Kurt Biedenkopf reiste ebenso an wie die ehemalige ARD-Auslandskorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz, die die Eröffnungsrede hielt. Darin beschäftigte sie sich vor allem damit, die Investition für das Kunstwerk gegenüber Kritikern zu rechtfertigen. Krone-Schmalz war das als Kind eines Orchestermusikers in der Nachkriegszeit gewohnt. An Kunst zu sparen hieße doch, „dass wir uns guten Gewissens kein Museum, kein Theater und keine Skulptur mehr leisten können, solang das Geld nicht für existenzielle Dinge reicht – also nie“, sagte sie damals in Riesa. Wie viel die Elbquelle tatsächlich gekostet hat, darüber schweigt Roland Ledwa bis heute. „Kultur ist nicht wirtschaftlich“, sagt er.

Die Elbquelle rostet indes weiter – ganz so, wie es sich Immendorff vorgestellt hat. „Rost ist ein Schutz“, sagt der Architekt Auguste Triet. Und so wird die Elbquelle noch viele Geburtstage vor sich haben.