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Sachsen schiebt Lehrlinge nach Stuttgart ab

Es gibt zu wenig Fahrzeuginnenausstatter fürs Freitaler BSZ. Was daraus folgt, spart keine Kosten und bringt dem Landkreis Nachteile.

Von Gunnar Klehm
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Ausbilder Michael Linné (l.) ist zufrieden, wie Lehrling Franz Kirmße in der Firma soft trim Dresden die Schablonen für Fahrzeugsitze digitalisiert hat. Der Firma wird es zukünftig schwerer gemacht, Lehrlinge zu finden.
Ausbilder Michael Linné (l.) ist zufrieden, wie Lehrling Franz Kirmße in der Firma soft trim Dresden die Schablonen für Fahrzeugsitze digitalisiert hat. Der Firma wird es zukünftig schwerer gemacht, Lehrlinge zu finden. © Andreas Weihs

Für Franz Kirmße ist es der Traumberuf. Er ist handwerklich geschickt und interessiert sich für Autos. 

Das hat er mit vielen seiner Altersgenossen gemein. Doch der 19-Jährige näht und gestaltet auch gern. So war er überglücklich, einen der wenigen Ausbildungsplätze in der Region als Fahrzeuginnenausstatter bekommen zu haben. Jetzt arbeitet er an seinen Gesellenstücken und weiß schon, dass er von seinem Ausbildungsbetrieb, der soft trim GmbH in Dresden, übernommen wird.

Neuen Lehrlingen macht das sächsische Kultusministerium die Ausbildung allerdings schwer. Kirmße erhielt seinen theoretischen Unterricht am Berufsschulzentrum (BSZ) Freital-Dippoldiswalde. „Eine Neuaufnahme von Auszubildenden ist für 2019/20 nicht vorgesehen“, teilt das Kultusministerium auf SZ-Anfrage mit. Grund dafür sei, dass es zu wenige Lehrlinge gibt. Wer Fahrzeuginnenausstatter werden möchte, muss künftig an die Kerschensteiner-Schule gehen – in Stuttgart. Das sei dann der neue, länderübergreifende Fachklassenstandort, heißt es. Das hat Folgen – nicht nur für die jungen Leute.

Die SZ analysiert die Hintergründe und zeigt, wie das Landratsamt versucht, dagegenzuhalten.

Landratsamt geht in Widerspruch

Die Leiterin des BSZ Freital-Dippoldiswalde, Ina Driesel, bedauert den Wegfall des Ausbildungsberufs, zumal die Lehre in Freital als ausgezeichnet gilt. Das bestätigen Lehrlinge und Ausbildungsbetriebe. „Wir lernen zusammen mit Raumausstattern und Polsterern die Grundlagen. Das ist sehr wertvoll und effektiv“, sagt Kirmße. Auch der General Manager von soft trim, Kai Rudolph, bestätigt die außergewöhnlich gute Zusammenarbeit. „Die Lehrer kamen zu uns in die Produktion, um zu gucken, wie Theorie und Praxis am besten miteinander verbunden werden können“, sagt er. Wie das mit einer Schule in Stuttgart laufen soll, könne er sich nicht vorstellen.

Für Landrat Michael Geisler (CDU) ist der Abzug ein Politikum, das auch Auswirkungen für die hiesige Wirtschaft hat. „Das ist mir unerklärlich, warum das Kultusministerium eine solche Entscheidung trifft“, sagt er. Der Landkreis hat im Rahmen des Anhörungsverfahrens gemäß Sächsischem Schulgesetz Widerspruch gegen diese Entscheidung eingelegt. „Es geht jetzt zwar nur um wenige Ausbildungsplätze, aber irgendwann ist ein Standort so geschwächt, dass man es merkt“, sagt Geisler.

Gerade das BSZ Freital-Dippoldiswalde habe die Herausforderungen des demografischen Wandels gemeistert, weil Nischen besetzt und Ausbildungen verzahnt wurden. „Die gemeinsame Ausbildung der Fahrzeuginnenausstatter mit Raumgestaltung oder Farbtechnik ist ein Leuchtturm im Osten“, sagt Geisler. Das dürfe man nicht aufgeben. Zumal das BSZ technisch und personell bestens ausgestattet sei.

Kosteneinsparung nicht messbar

Dem Kultusministerium könnte man zugutehalten, dass es Kosten der Steuerzahler sparen will. Das ist aber gar nicht die Triebfeder für die Streichung im Berufsschulangebot. „Die Kosteneinsparung ist nicht konkret messbar“, heißt es aus dem Ministerium. Die Räume im BSZ werden wie bisher genutzt. Die Lehrkräfte unterrichten weiter die übrigen Lehrlinge der Ausbildungsklasse. Das Kultusministerium hält sich nur strikt an die Vorgaben aus dem Sächsischen Schulgesetz. Dort ist die Mindestschülerzahl für die berufsbildenden Schulen mit 16 Schülern festgelegt. „Eine Klassenbildung ist mit aktuell zwei Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr, zweien im zweiten Ausbildungsjahr und sieben im dritten Ausbildungsjahr nicht mehr zu rechtfertigen“, heißt es aus dem Ministerium zur Begründung der Entscheidung. Daran hätten auch zusätzliche Vereinbarungen mit Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen nichts geändert.

Zusatzkosten für Unternehmen

Im Landratsamt liest man die Zahlen etwas anders. Denn im 1. Lehrjahr bilden die Fahrzeuginnenausstatter mit Polsterern, Raumausstattern und Dekorationsnähern eine Klasse. Da kommen aktuell im ersten Lehrjahr 24 Auszubildende zusammen, im zweiten und dritten sind es 31 beziehungsweise 37. Spezialisten hier in der Region auszubilden, sei auch eine Art der Wirtschaftsförderung, sagt Landrat Geisler. Firmen wie soft trim würden die Region wegen der Entscheidung zwar nicht verlassen, aber es wird ihnen schwerer gemacht.


Stabile Schülerzahlen an den Berufsschulen

BSZ Pirna

Ausbildungsjahr   

2014/15 1.316 Schüler

2015/16 1.358 Schüler

2016/17 1.432 Schüler

2017/18 1.416 Schüler

2018/19 1.418 Schüler


BSZ Freital-Dippoldiswalde 

2014/15 1.420 Schüler

2015/16 1.486 Schüler

2016/17 1.463 Schüler

2017/18 1.439 Schüler

2018/19 1.381 Schüler

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Das bestätigt auch Kai Rudolph. Das Dresdner Unternehmen bildet seit Einführung des Berufs 2003 aus. Von 2001 bis heute ist die Firma vom Ein-Mann-Betrieb auf ein mittelständisches Unternehmen mit 53 Mitarbeitern gewachsen. Daran haben die gut ausgebildeten Fachkräfte einen großen Anteil. Sie bedienen einen europaweiten Markt. Um im Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen, muss nun mehr Aufwand beim Werben betrieben werden. In besten Zeiten gab es über 100 Bewerber auf eine Lehrstelle. Seit die Zahl der Jugendlichen insgesamt zurückgeht, sind es jetzt noch halb so viele. „Wenn wir dann noch sagen müssen, dass die Berufsschule in Baden-Württemberg ist, könnte es passieren, dass interessante Bewerber absagen“, sagt Rudolph. Damit das nicht passiert, würde das Unternehmen die Wunschkandidaten zwar zusätzlich finanziell unterstützen. Nötig war das bisher aber nicht.

Unterstützung von Dresden fehlt

Landrat Geisler ärgert auch, dass es von der Stadt Dresden bei Berufsschulklassen keine Kooperationsbereitschaft gibt. Es gehe nicht nur darum, dass aktuell ein Dresdner Unternehmen direkt betroffen ist.

Dresden als Standort von Autoproduktion und zahlreichen Zulieferern würde die sehr gute Freitaler Ausbildung auch gut zu Gesicht stehen. Dresden sei offenbar egal, ob im Umland Berufsschulklassen reduziert werden. „Der Konflikt zwischen Dresden und den Landkreisen hat sich verschärft“, sagt Geisler.

Weitere Berufe unter Beobachtung

Die Schülerzahlen an den beiden BSZ im Landkreis sind seit Jahren stabil. Der Landrat will mit seinem Widerspruch auch vorbeugen. „Was weg ist, ist weg“, sagt er. Laut Landratsamt steht die Ausbildung zum Polsterer sowie Polster- und Dekorationsnäher unter ministerieller Beobachtung. Sollten keine höheren Schülerzahlen zusammenkommen, soll die Ausbildung in Bayern stattfinden.

Geprüft werde auch, wie und an welchem Ort die umwelttechnischen Berufe neu strukturiert werden können. Die werden bisher auch am BSZ Pirna unterrichtet. Werden zudem die Mindestschülerzahlen bei den Elektronikern nicht erreicht, geht diese Ausbildung nach Dresden. Geisler fordert vom Ministerium, schnellstmöglich die Schulnetzplanung für die Beruflichen Schulen zu erstellen, um wenigstens Planungssicherheit zu bekommen.


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