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Sachsens Anschieber denken um

Die Wirtschaftsförderung zählt weniger Neuansiedlungen. Ihre Bilanz stimmt trotzdem.

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Von Michael Rothe

Der Chef der Norafin Industries GmbH in Mildenau hat einen berühmten Fast-Namensvetter. André Lange fegte bis 2010 die Eiskanäle dieser Welt hinab und ist bis heute mit vier Goldmedaillen erfolgreichster Bobpilot bei Olympia. Der Firmenchef im Erzgebirge macht auch ohne „e“ am Ende Schlagzeilen: mit technischen Textilien für Hitzeschutzbekleidung, in Luft- und Flüssigkeitsfiltern, der Medizin, der Autoindustrie und am Bau. Zuletzt ließ Norafin durch die Verarbeitung von Basalt-Gestein in Vliesstoffen aufhorchen.

Zu André Langs Anschiebern gehört die Wirtschaftsförderung Sachsen (WFS). Im ersten „Lauf“ unterstützte sie Forschungs- und Entwicklungsprojekte des einstigen VEB und beförderte Messeauftritte. Im zweiten hilft sie Norafin bei der Erweiterung. Im Sommer soll die 12,5 Millionen Euro teure Halle für Produktion und Labor fertig sein. „Damit verdoppeln wir die Kapazität für unsere firmeneigene Wasserstrahl- und Nadeltechnologie“, sagt der Firmenchef, „und wir stellen unsere Nische auf eine neue Ebene.“ Ziel sei es, die Belegschaft von jetzt 100 auf bis zu 180 Mitarbeiter aufzustocken, 130 davon in Sachsen.

Wachstumshilfen à la Norafin sind zunehmend Tagesgeschäft der landeseigenen WFS. „Die Zeiten großer Ansiedlungen sind vorbei“, begründet Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) das Umdenken. „Eine Erweiterung ist mindestens so schick wie eine Neuansiedlung“, sagt WFS-Chef Peter Nothnagel. Daher sei es auch keine Schieberei, wenn er in der Bilanz nunmehr beide Posten zusammenzähle. 2012 seien das 24 Projekte, drei mehr als im Jahr zuvor. Jedoch gab es nur noch 13 Ansiedlungen. Die zwei Dutzend Projekte – darunter millionenschwere Erweiterungen der Autozulieferer TDDK in Bernsdorf bei Kamenz, Veritas in Neustadt sowie des Softwareunternehmens Comarch in Dresden – stehen für 1 215 Jobs, „konservativ gerechnet und fünf Jahre garantiert“, sagt Nothnagel. 2013 erwartet der Chef ein ähnliches Ergebnis. 262 Projekte seien in Bearbeitung, „vier Ansiedlungen sind bereits im Kasten“, sagt er.

„Erfreulicherweise nehmen Fördermittel in der Bedeutung ab“, sagt Minister Morlok. Funktionierende Netzwerke, Lieferketten, ausgebildete Fachkräfte und gute Strukturen in Forschung und Entwicklung seien wichtigere Argumente pro Sachsen, so der WFS-Aufsichtsrat – geringere Löhne „auf Dauer kein Thema“. Zudem zahle sich die „Verzahnung von Wirtschaftsförderung und Tourismusmarketing“ aus. Seit Jahren fürchten Mitarbeiter, dass WFS und TMGS fusionieren – mit allen Einsparungsfolgen. Morlok gibt gegenüber der SZ Entwarnung: „Das steht nicht auf der Agenda.“ Nothnagel und seine 49 Mitstreiter sehen sich als Brückenbauer: für hiesige Unternehmen auf dem Weg in die Welt und für Investoren auf ihrem Weg nach Sachsen. Förderschwerpunkte seien Mobilität (Autoindustrie, Bahn, Logistik), Maschinenbau, Mikroelektronik, Ernährungswirtschaft sowie Energie- und Umwelttechnik. Die WFS hilft bei der Suche nach Kooperationspartnern, Absatzmärkten, Standorten, Zulieferern. 2012 wurden dafür 7,7 Millionen Euro ausgegeben. Laut Nothnagel kamen „gut fünf Millionen als Zuschuss und der Rest über Geschäftsbesorgungsverträge mit Ministerien und Behörden“.

Norafin in Mildenau setzt weiter auf die WFS. Das Unternehmen erwirtschaftet gut 70 Prozent seiner 18 Millionen Euro Jahresumsatz durch Export und hat laut Chef Lang „noch ein bissel was vor“. Seine Anschieber stehen schon in den Startlöchern.

www.wfs.sachsen.de; www.norafin.com