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Schichtwechsel am Nordpol

Treffen an der Eisscholle: Der russische Eisbrecher bringt das nächste Team zu dem im Eis eingeschlossenen deutschen Forschungsschiff Polarstern.

Von Stephan Schön
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Treffen sich zwei Eisbrecher kurz vorm Nordpol... dann ist das  größte Polarunternehmen Mosaic auf großer Fahrt.
Treffen sich zwei Eisbrecher kurz vorm Nordpol... dann ist das größte Polarunternehmen Mosaic auf großer Fahrt. © AWI / Esther Horvath

Die größte Polar-Expedition aller Zeiten hat Schichtwechsel. Doch der kommt zu spät. Ein starker Winterorkan hat die Wachablösung am Nordpol eine Woche lang aufgehalten. Derzeit nur noch 270 Kilometer vom Nordpol entfernt liegt der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern seit Monaten im Eis eingefroren. Und forscht. Und forscht.

Seit September läuft die internationale Expedition Mosaic. Sie wird ein Jahr dauern und dabei mit einer mehrere Kilometer großen Eisscholle über den Nordpol driften. 19 Länder machen dabei mit und teilen sich die Kosten. Allein das Schiff kostet 200.000 Euro – Tag für Tag. Alles zusammen mit der Wissenschaft sind für die Mosaic-Expedition 140 Millionen Euro nötig. Die Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts AWI wird in den kommenden Monaten Daten zum Klimawandel in der zentralen Arktis liefern. Von dort gibt es wegen der extremen Bedingungen der Polarnacht bisher fast keine Messungen.

Rund 600 Personen sind im Laufe dieser Zeit direkt im Eis dabei. Das zweite Team geht nun an Bord. 100 Mann wechseln von einem Eisbrecher zum nächsten. Sie tauschten ihre Plätze auf der Polarstern mit denen auf dem russischen Versorgungseisbrecher Kapitan Dranitsyn. Der hatte sich zu Wochenbeginn  von der Barentssee bis zur Polarstern mühsam durchgekämpft. Zehn Tage krasse Eisfahrt liegen hinter dem Schiff. Und nun – kommt die Wachablösung im Eis.  

Für das neue Team wird es hart. Es steht  die dunkelste und kälteste Zeit der gesamten Expedition bevor. Doch ausgerechnet dieser Abschnitt gilt als der spannendste Fahrtabschnitt. Die Drift mit so noch nie um diese Jahreszeit dort vorhandener Technik. Es ist die Drift mit dem Eis  über den Nordpol im bisher unerforschten arktischen Winter.

Der russische Eisbrecher Kapitan Dranitsyn hat an der Eisscholle bei der Polarstern festgemacht mit einem neuen Team und viel Nachschub. 
Der russische Eisbrecher Kapitan Dranitsyn hat an der Eisscholle bei der Polarstern festgemacht mit einem neuen Team und viel Nachschub.  © AWI / Esther Horvath

Mit dem Austausch von Team und Schiffscrew geht die Expedition in die nächste Phase, um dringend benötigte Forschung am arktischen Klimasystem durchzuführen. Das Team des ersten Fahrtabschnitts indes hatte bisher vor allem mit dünnem Eis zu kämpfen. Immer wieder taten sich Spalten und Wasserlöcher auf. Und immer wieder musste wertvolles Forschungsgerät aus dem Eis geborgen werden, berichtet der Mosaic-Expeditionsleiter Markus Rex vom AWI. "Es bildeten sich mehrere Meter hohe Presseisrücken: Gebirge aus Eis, in denen sich die Schollen durch Druck haushoch übereinandertürmen. Die Gewalt dieser krachenden Eisfaltungen zeigt eindrucksvoll die Kraft der Natur, in deren Händen wir uns hier befinden", berichtet Markus Rex. "Die Eisrücken haben auch immer wieder Ausrüstung begraben, welche dann geborgen und mit großem Aufwand neu aufgebaut werden musste, und Risse im Eis stellen eine Gefahr für Mensch und Instrumente dar.“

Insbesondere ein heftiger Sturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern, der die Expedition Mitte November traf, führte dazu, dass sich die Bereiche des Eiscamps um Hunderte Meter gegeneinander verschoben. Zerrissene Stromleitungen zu den Messinstrumenten auf dem Eis waren die Folge. Notgeneratoren müssten schnell installiert werden. Auch der 30 Meter hohe Messturm des Eis-Camps war umgeknickt.

Inzwischen ist alles wieder aufgebaut. "Wir verlassen ein flexibel und modular aufgebautes Forschungscamp, in dem alles funktioniert und misst“, sagt Expeditionsleiter Rex. Er verlässt die Polarstern und wird dann ab April wieder auch vor Ort die Leitung selbst übernehmen. 

Die SZ berichtet aus dem Eis

Mit dem fünften Team dann, im arktischen Sommer, wird auch ein sächsischer Forscher die wissenschaftliche Fahrtleitung bekommen. Andreas Macke, Institutsdirektor vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos) in Leipzig hat Erfahrung mit Eisschollen. Er leitete 2017 die Polarstern-Expedition Pascal, mit an Bord war die SZ für  vier Wochen. Und die SZ ist auch bei Mosaic dabei. Nicht auf dem Schiff, aber im März mit den Polarflugzeugen von Spitzbergen aus. Dann, wenn Meteorologen der Uni Leipzig dort ihre Flugkampagne starten.

Doch auch jetzt schon sind Wissenschaftler vom Tropos an Bord. Auch für sie ist Schichtwechsel. Es geht um Wolken und Wolkenkerne, also Aerosole. Es geht um Turbulenz und Temperatur, um Wasser und Eis. Einfach um all das, was letztlich in der Atmosphäre wetterbestimmend ist. Und es gibt eine erste große Überraschung aus dem Tropos-Messcontainer an Bord.

Die Atmosphäre der zentralen Arktis ist mit Feinstaub aus Sibirien und Nordamerika belastet. Das hat die Auswertung der ersten Lidar-Messungen ergeben. Dabei kam erstmals ein sogenanntes Mehrwellenlängen-Lidar während der Polarnacht in der zentralen Arktis zum Einsatz. Es kann mit seine Laser-Pulsen vom Boden aus Staubpartikel in Höhen von bis zu 14 Kilometern messen. Erste Daten zeigen mehrere Schichten bei fünf, sechs und zwölf Kilometern Höhe mit Staub aus menschlichen Quellen und von Waldbränden, teilte jetzt das Tropos-Team mit. Die Daten seien ein Indiz dafür, dass die obere Atmosphäre der Region um den Nordpol im Winter stärker verschmutzt ist als bisher angenommen.

Das Lidar arbeitet auch jetzt, viele andere Forschungsarbeiten laufen derzeit während der Übergabe aber nur eingeschränkt. Aber noch vor dem Wochenende wird der russische Versorgungseisbrecher das Eis-Camp wieder verlassen. Dann steht eine ganz neue Herausforderung vor den Neuen auf der Scholle am Nordpol: Sie werden eine Eisscholle mit dem Forschungscamp übernehmen, die sie nie zuvor bei Tageslicht gesehen haben. 

Das Team der Biogeochemie am Bohrloch im Eis.
Das Team der Biogeochemie am Bohrloch im Eis. © AWI / Esther Horvath
Fracht wird umgeladen auf dem Hubschrauberdeck.
Fracht wird umgeladen auf dem Hubschrauberdeck. © AWI / Esther Horvath
Schon Monate vorab wurden die meisten der Container gepackt. 
Schon Monate vorab wurden die meisten der Container gepackt.  © AWI / Esther Horvath
Die Frachtübergabe von Eisbrecher zu Eisbrecher ist eine logistische Höchstleistung.
Die Frachtübergabe von Eisbrecher zu Eisbrecher ist eine logistische Höchstleistung. © AWI / Esther Horvath
Eisbohrkerne werden von den Biogeochemikern  verpackt und dann zur Polarstern gebracht.
Eisbohrkerne werden von den Biogeochemikern  verpackt und dann zur Polarstern gebracht. © AWI / Esther Horvath