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Schwarzpulver im Briefumschlag

Lokalpolitiker werden zunehmend bedroht und attackiert, der Ton gegen sie wird rauer. Brauchen sie mehr Schutz?

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© Zeichnung: Kostas Koufogiorgos

Inzwischen eskaliert der Hass bis hin zum Mord: Ein mutmaßlicher Rechtsextremist erschoss am 2. Juni dieses Jahres den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke – wohl deshalb, weil sich der CDU-Politiker für Flüchtlinge einsetzte. Dieser Fall, der eine bisher ungeahnte Stufe der Gewalt erreicht, rückt ein gesellschaftliches Problem ins Blickfeld: Politiker, auch lokale Akteure aus der Sächsischen Schweiz, werden zunehmend bedroht und attackiert, der Ton gegen sie wird rauer. Worin liegen die Ursachen dafür und wie gehen die Mandatsträger mit solchen Situationen um?

Die Fälle: Beschimpfungen, Nötigung, Brandanschläge

Einer der schwersten Fälle liegt schon einige Jahre zurück: Im Februar 2010 zündeten Kriminelle das Auto des Links-Politikers Lutz Richter an, der inzwischen Landtagsabgeordneter ist. Es war auf der Seminarstraße in Pirna abgestellt. Seines Wissens seien die Täter straffrei ausgegangen, sagt Richter. Auch nach der Tat ebbten die Drohungen nicht ab. Erst in diesem Jahr wurde der Abgeordnete mehrfach an Info-Ständen zur Kommunal- und Europawahl verbal angefeindet, die letzte schriftliche Drohung kam am 4. Januar: ein Brief mit Schwarzpulver, geschickt an Richters Adresse im Sächsischen Landtag.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Oliver Wehner schildert, dass er mittlerweile häufiger als früher über soziale Netzwerke bedroht werde, dort werde er teils heftig beschimpft. In seinem privaten Briefkasten fand Wehner unlängst einen Brief – mit der Aufforderung, die Heimat zu verlassen.

Jens Michel, ebenfalls CDU-Landtagsabgeordneter, wurde zuletzt genötigt, etwas Bestimmtes zu tun, ansonsten werde eine Pressekampagne gegen ihn losgetreten. Auch körperlich sei er schon einmal attackiert worden, sagt Michel. Weiter ins Detail geht der Politiker aber nicht.


Bericht in der Sächsischen Zeitung vom 19. Februar 2010 über den Brandanschlag auf Lutz Richters Auto: Die Täter gingen straffrei aus.
Bericht in der Sächsischen Zeitung vom 19. Februar 2010 über den Brandanschlag auf Lutz Richters Auto: Die Täter gingen straffrei aus. © Repro: SZ

Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (Freie Wähler) erhielt vor einigen Jahren einen Drohanruf, der Anrufer verriegelte auch das Tor von Hankes Privatgrundstück mit einer Kette. Der Täter wurde inzwischen ermittelt und verurteilt.

Erst kürzlich sah sich der Sebnitzer Oberbürgermeister Mike Ruckh (CDU) mit einem Hasskommentar im sozialen Netzwerk Facebook konfrontiert. Unter seinem Klarnamen hatte ein Nutzer dort geschrieben: „Der Ruckh muss aus der Stadt gejagt werden, auch mit Gewalt!“. Auch hatte der Sebnitzer Rathauschef schon 2016 ein anonymes Schreiben erhalten, in dem gedroht wurde, ihn aus dem Rathaus oder seinem Haus zu holen. In diesem Fall gab es einen Verdächtigen, der sich in ähnlichem Duktus telefonisch auch beim Bürgermeister von Neustadt gemeldet hatte. Ob er auch den Brief gesendet hatte, konnte allerdings nicht bewiesen werden. Das Verfahren wurde eingestellt.

Der Bundestagsabgeordnete André Hahn (Die Linke) wollte sich als einziger gegenüber der SZ nicht dazu äußern, ob und wenn ja wie er bereits als Politiker bedroht wurde. „Auf dringendes Anraten des Bundeskriminalamtes“ sage er nichts zu dem Thema, teilte Hahn der SZ schriftlich mit. Es bestehe die Gefahr von Rückschlüssen auf Sicherheitskonzepte.

Das Grundproblem: Rauer Ton im Schutz der Anonymität

Der Ton von Internet-Kommentaren sei eindeutig rauer geworden, sagt Oliver Wehner. Dennoch seien seine Erfahrungen mit den sozialen Netzwerken meist positiv, weil der konstruktive Austausch überwiege. Auch Mike Ruckh sieht sich zunehmend Hasskommentaren im Internet ausgesetzt. Lutz Richter spürt hingegen keinen Anstieg von Bedrohungen gegen ihn in den sozialen Netzwerken, jedoch sei dort insgesamt der Ton rauer geworden. Und Jens Michel konstatiert, dass erst wegen der Anonymität in den sozialen Netzwerken die Bedrohungen häufiger geworden seien.

Der Umgang: Aushalten, ignorieren oder Strafanzeige stellen

Sebnitzer OB Mike Ruckh sowie seine Familie mache so etwas betroffen. Den Facebook-Kommentar, ihn mit Gewalt aus der Stadt zu jagen, hat Ruckh als direkten Aufruf zu einer strafbaren Handlung gegen seine Person bewertet und deswegen Strafantrag gestellt. Gewöhnen will er sich an solche Grenzüberschreitungen nicht. „Ich lasse das auch nicht einfach so laufen“, sagt Ruckh. Hier seien die Ermittlungsbehörden und die Strafverfolgung gefragt. Sie müssten Zeichen setzen. Oliver Wehner hat sich als Politiker an mitunter raue Diskussionen gewöhnt. Für seine Familie sei das dagegen schwerer. „Meine Frau kommt aus den USA. Pauschaler Ausländerhass stimmt sie traurig“, sagt Wehner.

Die Gegenstrategie: Sachlich bleiben und deeskalieren

Oft hätten Täter das Gefühl, einen Volkswillen zu vollstrecken, glaubt Lutz Richter. Zudem würden viele davon ausgehen, straffrei davonzukommen. Als Beispiel nennt der Linke-Landtagsabgeordnete die eingeschlagenen Fenster im Büro der Linken in Pirna. Die Fälle seien straffrei ausgegangen. Vor allem kurz vor Wahlen häufen sich laut Richter Drohungen und Übergriffe. Dabei komme es immer auch auf das Thema an. „Beim Thema Geflüchtete sind in der politischen Kultur Dämme gebrochen“, äußert er. CDU-Mann Jens Michel sieht die Verantwortung auch bei den Politikern selbst. „Wir müssen nicht als Scharfmacher auftreten“, fordert er. Alle seien gemeinsam aufgerufen, zu deeskalieren. Oliver Wehner ist überzeugt davon, dass Egoismus zur Verrohung beitrage. Einige Menschen würden nur die eigene Position sehen. Der Blick auf die Perspektive des anderen fehle.

Die Auswirkungen: Mehr Schutz für betroffene Politiker

Dass es einen hundertprozentigen Schutz nicht geben kann, in diesem Punkt sind sich alle Politiker einig. Dennoch: Demokratie und Demokraten dürften sich keinesfalls zurückziehen, betont Lutz Richter. Politiker müssten ansprechbar und präsent sein. Er würde sich jedoch einen besseren Schutz für Kommunpolitiker wünschen. Bei Wahlen werden in anderen Ländern beispielsweise nicht die Privatadressen der Kandidaten veröffentlicht. Richter würde das als besserer Schutz der Privatsphäre befürworten. Der Linke-Landtagsabgeordnete ist überzeugt, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen friedlich sei und Gewalt ablehne. „Manchmal muss diese Mehrheit aber auch den Mund aufmachen“, sagt er. Mehr Sachlichkeit und Lösungsorientiertheit wünscht sich Jens Michel. Der CDU-Landtagsabgeordnete fordert vor diesem Hintergrund eine positive Veränderung des allgemeinen Klimas in der Gesellschaft.