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Die Uhr, die sie baut, ist so alt wie sie

Lisa Erdmann und der Luxuszeitmesser Lange 1 haben eine besondere Beziehung. Wie es dazu kam.

Von Maik Brückner
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Lisa Erdmann hat Abitur gemacht und sich danach  für einen Handwerksberuf entschieden. Sie wurde Uhrmacherin beim Luxusuhrenhersteller Lange in Glashütte.
Lisa Erdmann hat Abitur gemacht und sich danach für einen Handwerksberuf entschieden. Sie wurde Uhrmacherin beim Luxusuhrenhersteller Lange in Glashütte. © Lange Uhren GmbH

Schräubchen, Stifte und Zahnrädchen liegen gut sortiert auf dem Uhrmachertisch von Lisa Erdmann. Die junge Frau strahlt Ruhe aus, lächelt und greift zur Pinzette. Sie weiß genau, wo was liegt und wo es im Uhrwerk hingehört. 

Seit zwei Jahren arbeitet sie in der Endmontage des Luxusuhrenherstellers A. Lange & Söhne. Sie bekommt die fertigen Uhrwerke des Modells Lange 1 in Einzelteilen auf ihren Uhrmachertisch. Die Teile sind gereinigt, einige auch veredelt, bei anderen muss sie Hand anlegen. Sie poliert zum Beispiel die kleinen Ringe, die sogenannten Goldchatons. Später baut sie das Uhrwerk wieder zusammen. Ihre Kollegen setzen Zeiger und Ziffernblatt drauf, schalen das Uhrwerk ein und machen eine Armbanduhr daraus.

„Ich bin die letzte Uhrmacherin, die am Uhrwerk arbeitet, bevor es ins Gehäuse kommt.“ Besteht es die Endkontrolle, geht die Uhr – in diesem Fall eine Lange 1 – in den Verkauf. Zu diesen Zeitmessern hat Lisa Erdmann eine besondere Beziehung. Dieses Uhrenmodell ist genauso alt wie sie.

Lisa Erdmann baut die Uhrwerke zusammen. Gut zu sehen ist hier die Platine mit dem typischen Glashütter Bandschliff.
Lisa Erdmann baut die Uhrwerke zusammen. Gut zu sehen ist hier die Platine mit dem typischen Glashütter Bandschliff. © Lange Uhren

In wenigen Tagen jährt es sich zum 25. Mal, dass Glashüttes Uhrvater Walter Lange die Lange 1 der Öffentlichkeit vorstellte. Damals gab es ein breites Lob von der Fachpresse. Wenig später entwickelte sich diese Uhr zum Klassiker der Firma Lange, der heute für 37 000 Euro verkauft wird.

Frohe Gesichter gab es zu jener Zeit aber auch im gut 100 Kilometer entfernten Hoyerswerda. Dort freute sich Familie Erdmann über die Geburt von Tochter Lisa. Damals ahnten die Lausitzer nicht, dass ihre Tochter 25 Jahre später den Prestige-Zeitmesser von Lange montieren wird. Doch genauso ist es gekommen.

Lisa Erdmann hat es weit gebracht. Eigentlich hatte sie nicht vor, Uhrmacherin zu werden. Während des Abiturs, das sie an Hoyerswerdas christlichem Gymnasium Johanneum ablegte, trug sie sich mit dem Gedanken, Kunstgeschichte oder Theologie zu studieren. „Ich fand es spannend“, erzählt die junge Frau.

Doch sie fand keinen Studiengang, der ihr zusagte. Deshalb schaute sie sich im Handwerk um. „Ich wollte lieber was mit den Händen tun.“ Ihr Vater riet ihr, zum Aktionstag Bildung der IHK nach Dresden zu fahren. Das tat sie. Dort kam die Schülerin am Stand der Firma Lange vorbei und konnte sich wie jeder andere Besucher auch als Uhrmacherin ausprobieren. Diese Einladung nahm Lisa Erdmann an.

Entspannung in Minipausen

Das „Schrauben“ machte ihr Spaß. Kurz danach entschied sie, sich bei Lange zu bewerben. Sie bestand die Aufnahmetests und konnte 2014 mit der dreijährigen Lehre beginnen. Ihre Ausbilder legten ihr danach nahe, in die Montage zu wechseln. So kam sie in die Abteilung, in der die Lange 1 montiert wird. Mit diesem Uhrenmodell hat sich die junge Frau intensiv befasst.

„Die Lange 1, die ich heute montiere, unterscheidet sich äußerlich kaum von dem 1994 vorgestellten Modell“, erklärt Lisa Erdmann. Das Design ist fast gleich geblieben. Nur im Inneren des Modells wurden Veränderungen vorgenommen. Seit 2015 tickt dort ein neues Uhrwerk. Die Datumsanzeige schaltet um Mitternacht weiter. Und einmal aufgezogen, läuft die Uhr jetzt genau 72 Stunden. Dann bleibt der Sekundenzeiger auf 12 Uhr stehen.

Bei der Montage des Uhrwerks mag Lisa Erdmann besonders den Moment, wenn sie die mit dem Glashütter Bandschliff versehene Dreiviertelplatine – die bodenseitige Deckplatte – einbaut. „Dann sieht man so richtig, was Lange ausmacht.“ Zu ihren schwierigsten Aufgaben gehört es, die Schliffe und Polituren während der Montage nicht zu zerkratzen. Das sei nur mit Konzentration zu schaffen. 

Die Lange 1 wurde 1994 vorgestellt und ist zum Klassiker der Uhrenmanufaktur geworden. Dieses Foto entstand 2012.
Die Lange 1 wurde 1994 vorgestellt und ist zum Klassiker der Uhrenmanufaktur geworden. Dieses Foto entstand 2012. © Lange Uhren

Ihre Freunde staunen über ihr Durchhaltevermögen. „Das haben wir schon während der Ausbildung trainiert“, erinnert sie sich. „Anfangs fiel es mir schwer, mich den ganzen Tag lang hundertprozentig zu konzentrieren, aber inzwischen gelingt mir das gut.“

Kurze Entspannung bringen ihr die „aktiven Minipausen“, bei denen sie mit Kollegen zusammen einige Minuten lang Übungen zur Entspannung der Rücken-, Hals- und Augenmuskulatur macht. Oder sie schaut durch die großen Fenster nach draußen. Nur ein paar Meter entfernt erhebt sich eine bewaldete Felswand. Manchmal huscht ein Reh durch die Bäume. Auch Kletterer hat Lisa Erdmann schon beobachtet.

Förderlich ist auch die Arbeitsatmosphäre. In Lisa Erdmanns Abteilung arbeiten viele junge Menschen. „Bei uns passt das traditionelle Bild vom älteren, weißhaarigen Uhrmacher überhaupt nicht“, sagt sie. Und das ist nicht nur in ihrer Abteilung so. Von den mehr als 200 Uhrmachern bei Lange sind 30 Prozent jünger als 30 Jahre, sagt Pressereferentin Katrin Meusinger. Viele wohnen in Dresden und pendeln in die Uhrenstadt, Lisa Erdmann nicht. Seit Beginn ihrer Ausbildung wohnt die junge Hoyerswerdaerin in einem Ortsteil der Uhrenstadt. „Ich mag es eher ländlich“, sagt sie. Und das gefällt ihr auch an Glashütte.

Lisa Erdmann ist glücklich, dass sie die Lange 1 montieren darf. „Diese Uhr ist tatsächlich auch meine Lieblingsuhr, weil sie das typische Gesicht ist, das man sofort im Kopf hat, wenn man über Lange spricht.“ Sie selbst besitzt keine. „Ich stehe noch auf der Warteliste“, sagt sie und lächelt.