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So lief der Machtkampf in der AfD beim Kreisparteitag

So berichtete sächsische.de über den Kreisparteitag der Blauen in Niesky.

Von Sebastian Beutler
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Sie leiteten den Wahlmarathon im Nieskyer Bürgerhaus: die AfD-Bundestagsabgeordneten Siegbert Droese (links) und Tino Chrupalla.
Sie leiteten den Wahlmarathon im Nieskyer Bürgerhaus: die AfD-Bundestagsabgeordneten Siegbert Droese (links) und Tino Chrupalla. © Matthias Wehnert

Inzwischen ist klar: Der zehnstündige Marathon zur Nominierung der AfD-Direktkandidaten aus dem Landkreis Görlitz für die Wahl zum Landtag im September am 20. Januar in Niesky wird wiederholt - ohne Öffentlichkeit. Mindestens zwei Mitglieder sind wegen der Veranstaltung ausgetreten. Das waren die Eindrücke des SZ-Reporters kurz nach der Veranstaltung: 

Die Erleichterung war dann sogar der Versammlungsleitung im Nieskyer Bürgerhaus nach einem zehnstündigen Wahlmarathon anzumerken. „Es ist vollbracht“, erklärte der Chef der Wahlkommission, als schließlich gegen 20.10 Uhr am Sonntagabend mit Mario Kumpf auch der letzte Direktkandidat für die vier Wahlkreise im Landkreis zur Landtagswahl am 1. September feststand. Doch die Freude kam zu früh, am Montagabend kassierte der Kreisvorstand die Wahlen. „Es sind Fehler beim Einlass geschehen, die zu einer Anfechtung führen könnten“, erklärte Kreisvorsitzender Tino Chrupalla. Anfang März sollen die Kandidaten nun erneut bestimmt werden. Das Vorgehen sei mit dem Landesvorstand abgestimmt worden.

Am Sonntag hatte sich nach Ansicht von verschiedenen AfD-Mitgliedern auch ein Machtkampf abgespielt. Nach Darstellung von AfD-Mitgliedern wollte eine Gruppe, die dem rechten „Flügel“ zuzurechnen sei, die Aufstellung der Direktkandidaten dazu nutzen, um dieses Führungsteam völlig neu zu mischen. Bis in die Morgenstunden des Sonntags hinein liefen die Abstimmungen, auf dem Parteitag waren die Manöver sichtbar. Auffällig oft versammelten sich Roberto Kuhnert, der Görlitzer Hagen Schmidt, Sebastian Wippel, Hajo Exner aus dem Schöpstal und der Weißkeißeler Jens Oberhoffner, der selbst von sich sagt, über Pegida und die Verbindung zu Tino Chrupalla zur AfD gekommen zu sein. Kreisvorsitzender Tino Chrupalla aber dementierte einen Machtkampf. „Mir ist davon nichts bekannt“, erklärte er gegenüber der SZ. Auch die Annullierung der Wahlen sei nicht Ausdruck, dass der Kreisvorstand mit den Ergebnissen unzufrieden ist. „Dem kann ich klar widersprechen“. Ein Mitglied der AfD steckte aber der SZ noch am Sonntagabend einen Zettel zu. Darauf stand: „Heute werden hier massive Wahlmanipulationen zugunsten radikaler rechter Populisten um Chrupalla und Kuhnert betrieben. Psychischer Druck, Vorabsprache, Zettel, Whatsapp.“

Wenn es so war, dann hatte es Folgen für die Atmosphäre. Der Gastronom Kumpf, der jüngste Kandidat der AfD, wird eigentlich zum gemäßigten Flügel der Partei gezählt, hielt aber eine der radikalsten Reden. In der Schule würde linksideologischer Blödsinn vermittelt, es gebe ein „Kartell der Staatsdiener“, gegen „Pharmakonzerne“ wetterte er, gegen „energielose Ökolobbyisten“, gegen die „Propagandasender“, sieht „islamistische Brutstätten“ von Erdogans Gnaden wie Pilze aus der Erde schießen und forderte auf, das „verschlissene Getriebe“ des Staates ganz zum Stillstand zu bringen. Auch die weitere Diskussion wurde von halbstarken Äußerungen geprägt. So fanden es Redner als erwähnenswert, die blonde Haarfarbe ihrer Kinder und ihrer Frau hervorzuheben, wie es der 42-jährige Karsten Starke tat, der für einen großen Energieversorger arbeitet und in Löbau antreten wollte. Der bekannte Lawalder Falkner Christian Siegert, wünscht sich, dass „unsere Kinder in die Schule gehen können, ohne dass dort Islamisierung gepredigt wird und sie in Moscheen gedrängt werden“. Er habe etwas dagegen, wenn seine Enkel künftig vielleicht mit einem Gebetsteppich in die Schule gehen müssten. Selbst die 61-jährige Annegret Stübner, in der politischen Wende CDU-Vorsitzende in Löbau und jetzt als Sprachlehrerin an der Hochschule Zittau/Görlitz tätig, will nicht, dass ihre Enkel „als getaufte Christen Kopftücher tragen müssen“. Was das mit der Lebenswirklichkeit im Landkreis Görlitz zu tun hat, sagten sie allerdings nicht.

Und doch gelang den Strippenziehern kein Durchmarsch. Kuhnert blieb zwar ohne Gegenkandidat, Wippel setzte sich gegen einen aus Oberschlesien eingewanderten Deutschen mühelos durch. Doch vor allem sollte Silke Grimm der als aussichtsreich geltende Löbauer Wahlkreis entrissen werden. Dafür kandidierte Hajo Exner, 51 Jahre alt, Unternehmer, gegen sie. Exner kam im November 2016 zur AfD, leitet die Görlitzer Regionalgruppe und präsentierte sich gemäßigt: mehr Einkommen, höhere Kaufkraft, Entbürokratisierung, gemeinsames Lernen der Kinder bis zur zehnten Klasse. Doch unterschätzte die Parteispitze die landsmannschaftlichen Unterschiede zwischen dem Nord- und dem Südkreis: Exner sah zwischenzeitlich wie der Sieger aus, erhielt mehr Stimmen als Frau Grimm und unterlag aber doch noch im entscheidenden Wahlgang. Und das sogar zweimal, weil die erste Wahl über drei Wahlgänge komplett wiederholt werden musste. Ganz ähnlich auch in Zittau. Dort wollte die Gruppe um Kuhnert Jens Oberhoffner als Kandidaten durchsetzen. Der Weißkeißeler ist 46 Jahre alt, lebt aber die meiste Zeit als Vertriebsmitarbeiter einer Schweizer Dentalfirma in Krakau. Er fühle sich als Oberlausitzer, erklärte er auf Vorbehalte von Mitgliedern aus der Süd-AfD. Hans-Gerd Hübner, realpolitischer Fraktionschef im Kreistag, zog wutentbrannt seine Kandidatur zurück. Er hatte auch nur wenige Stimmen erhalten„Was sollen wir anfangen mit einem aus Krakau“, entrüstete er sich. Und so war der Weg für Kumpf frei.

Das alles ist nur Makulatur. Derweil begannen die ersten Mitglieder der AfD über einen Austritt nachzudenken. Von einer Austrittswelle unter den 220 Mitgliedern zu sprechen, ist aber verfrüht. Was das für das Wahljahr bedeutet, ist offen. Dabei hatte Jörg Domsgen aus Zittau, der früher mal Mitglied von SED/PDS war, die Richtung vorgegeben: Es handele sich um eine „Schicksalswahl“. 

Vertrauter Chrupallas für Weißwasser:

Der 55-jährige Roberto Kuhnert stammt aus Bad Muskau, lebt jetzt in Weißwasser. Bis zum politischen Umbruch 1989 im Tagebau bei der Umsetzung schwerer Technik tätig, arbeitet er nun als selbstständiger Baudienstleister. Seine Frau leitet das Büro von AfD-Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla in Weißwasser. Ohnehin ist die Nähe zwischen beiden besonders groß. Kuhnert trat Ende 2015 in die AfD ein, führt jetzt die Regionalgruppe rund um Weißwasser. Ohne Gegenkandidat erhielt er 82 Prozent der gültigen Stimmen. 

Wippel geht in Görlitz auf Nummer sicher:

Sebastian Wippel will Görlitzer OB werden. Falls das nicht klappt, will er aber auch am 1. September für die Landtagswahl im Görlitzer Wahlkreis antreten – gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der Wähler solle entscheiden, wo er künftig tätig sei, erklärte Wippel auf Fragen, ob er so wenig Zutrauen habe, OB in Görlitz zu werden. Der 36-Jährige ist seit 2014 Landtagsabgeordneter, arbeitet in Teilzeit als Polizeikommissar. Erste politische Erfahrungen sammelte er bei der FDP, ehe er im März 2013 in die AfD eintrat. 

Silke Grimm will in Löbau antreten:

Sechs Wahlgänge waren nötig, ehe nach aufreibenden Stunden feststand, dass Silke Grimm wie vor fünf Jahren als Direktkandidat im Löbauer Wahlkreis antritt. Ein Pyrrhussieg für die 51-jährige Mitinhaberin eines Zittauer Bus- und Reiseunternehmens, wie seit Montagabend feststeht. 2014 war die gebürtige Seifhennersdorferin über die Liste der AfD in den Landtag eingezogen, auch sitzt sie für die Rechtspopulisten im Kreistag. Sie zählt zum realpolitischen Flügel der Partei, in die sie früh eintrat – bereits im März 2013.

Mario Kumpf will in Zittau antreten:

Der 32-Jährige Koch wollte erst im Wahlkreis Löbau zur Landtagswahl antreten. Weil er im innerparteilichen Ringen dort gleich im ersten Wahlgang ausschied, kandidierte er dann im Zittauer Wahlkreis. Weil sich die Zittauer Kandidaten mit einem Bewerber der Parteispitze aus Weißkeißel beharkten, lag er am Sonntagabend vorn. Dieses Kunststück muss er nun wiederholen. Kumpf wohnt in Ebersbach-Neugersdorf, betreibt mit seiner Familie eine Gaststätte in Friedersdorf an der Spree und führt ein kleines Tourismusunternehmen. 

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